Unter dem Titel „Wohnen auf der Partymeile – Tourismus in Berliner Quartieren“ diskutierte der AK Linke Metropolenpolitik am vergangenen Mittwoch auf einer Veranstaltung über die Folgen des Tourismus für die Stadtentwicklung. In der Ankündigung hieß es:
„Die Kulturszene der Stadt nimmt inzwischen einen wichtigen Platz im Berliner Stadtmarketing und der Tourismuswerbung ein und zieht Touristen aus aller Welt an. Auch abseits der Touristenmeilen in Berlin Mitte (…) führen die wachsenden Touristenströme allerdings zunehmend zu Problemen und Unmut der Anwohner/innen. Neben Lärmbelästigungen durch Kneipen, Clubs und Feiernde auf öffentllichen Plätzen berichten Anwohner/innen in einigen Wohngebieten inzwischen von Verdrängungsprozessen, sowie Lärm- und Müllproblemen durch entstehende Hostels und Ferienwohnungen.“
Die Veranstaltung sollte einer Bestandsaufnahme der durch den Tourismus ausgelösten Probleme und der Diskussion möglicher Lösungsansätze dienen. Als Experten geladen waren Johannes Novy (Doktorand am Center for Metropolitan Studies an der TU Berlin), Gerhard Buchholz (Berlin Tourismus Marketing GmbH) und Olaf Möller (Club Commission Berlin). Vorschläge für Lösungsansätze blieben am Mittwoch Mangelware, dennoch bot die Veranstaltung tiefe Einblicke in die Problemlagen des Tourismus.
Insbesondere die beiden Vertreter der Berliner Tourismus Marketing GmbH und der Club Commission boten einen (unfreiwilligen) Anschauungsunterricht für die beschränkten Handlungslogiken von Lobbyorganisationen der Tourismusbranche. So stellte der Vertreter von Berlin Tourismus Marketing (BTM) klar, dass die Aufgabe der Gesellschaft exakt dem entspricht, was der Name vermuten lässt.
Auch Olaf Möller von der Club Commission konnte sich trotz der Verdrängungsgefahren nicht zu einer tourismuskritischen Position durchringen:
„Wir wünschen uns Tourismus. Ohne die Gäste würde es keine 200 bis 300 Clubs in der Stadt geben.“
Berlin Tourismus Marketing – Der Name ist Programm
Die Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) wurde 1993 als Nachfolgeorganisation des Fremdenverkehrsamtes gegründet um ein flexibles Instrument der Tourismusförderung zu entwickeln. Zu 25 Prozent ist das Land Berlin Gesellschafter der Tourismuswerber – die anderen Anteile halten Partnerhotels und andere Institutionen der Tourismusindustrie. Aufgabe sei es, Tourist/innen nach Berlin zu locken, so Gerhard Buchholz auf der Veranstaltung. Eine Auseinandersetzung mit den Tourismusfolgen ist in der Aufgabenbeschreibung nicht vorgesehen:
„Unser Job ist getan, wenn die Leute am Hauptbahnhof aussteigen oder in Schönefeld gelandet sind“
Die Berlin Tourismus Marketing GmbH macht diesen Job sehr gut. Insbesondere die steigenden Gästezahlen werden auch auf das erfolgreiche „Berlin-Marketing an den Quellenmärkten“ (Buchholz, BTM) zurückgeführt. Seit 1993 sind die jährlichen Übernachtungen von 2,5 Mio. auf über 19 Mio. im Jahr 2009 gestiegen. Im laufenden Jahr wird mit dem Durchbruch der 20 Mio.-Grenze gerechnet. Auch die Kapazitäten der mittlerweile 750 Hotels, Hostels und Beherbergungsstätten ist deutlich gestiegen. Die Zahl der Betten ist von 43.000 (1993) auf 108.000 (2010) gestiegen – bereits geplant oder im Bau sind weitere 12.000 Betten. Der Jahresumsatz der Branche wird auf etwa 9 Mrd. Euro geschätzt. Tourismus ist seit 2008 der gewichtigste Wirtschaftszweig der Stadt. Nach Angaben der BTM werden etwa 235.000 Festangestellte im Hotel- und Gastgewerbe beschäftigt. Über die Konditionen dieser Arbeitsverhältnisse und Anzahl von prekäre und informell Beschäftigten gab es leider keine genaueren Auskünfte.
Richtig profitieren kann die Tourismusindustrie vor allem von Übernachtungsgästen – während Tagesbesucher etwa 60 Euro in der Stadt lassen, sind es bei denen, die auch Übernachtungen buchen etwa 200 Euro pro Tag. Bei sogenannten Businessgästen sind es sogar 250 Euro pro Tag. Strategie der BTM ist es vor allem, die Zahl der Übernachtungen zu steigern. D er durchschnittliche Aufenthalt der Tourist/innen beträgt 2,5 Tage – beim sogenannten Kulturtourismus sind es 4,5 bis 5 Tage Verweildauer in der Stadt. Entsprechend nehmen die kulturellen Angebote der Stadt einen großen Raum der Marketingstrategien ein. Auch die geschätzt 106.000 Veranstaltungen und Kongresse pro Jahr tragen zum Geschäft mit dem Tourismus bei. Für die Veranstalter solcher Tagungen sei das ‚pre- and post convention program‘ wichtig, um die angestrebten Teilnahmezahlen zu erreichen, so Buchholz – in Zusammenarbeit mit der BTM werden deshalb Business-Veranstaltungen vor allem in den ‚hippen‘ Innenstadtbezirken gebucht. Auch Großereignisse wie die Berlin Fashion Week oder die im September geplante Berlin Music Week werden von der BTM unterstützt und beworben. Insbesondere die Subkultur trage zur großen Attraktivität Berlins bei:
„Die Möglichkeit, einen angesagten Club über eine Kellerluke zu betreten, lockt jede Menge unternehmungslustiger junger Leute in die Stadt. Der Berlinbesuch wird da regelrecht zum Abenteuer.“
Für den Anteil der Tourismus am wirtschaftlichen Erfolg der Berliner Clubszene liegen keine konkreten Zahlen vor, doch Olaf Möller von der Club Commission stellte klar:
„Wir wünschen uns Tourismus. Ohne die Gäste würde es keine 200 bis 300 Clubs in der Stadt geben.“
Die mit der Club-Kultur verbundenen Konflikte mit den Nachbarschaften führte Möller vor allem auf das Versagen bezirklicher Genehmigungsbehörden zurück, die wie im Fall des Knaack-Clubs in der Greifswalder Straße (Prenzlauer Berg) mit der Baugenehmigung für einen Wohnungsneubau die späteren Lärmbeschwerden provozierte. Ein gerichtliche Entscheidung gab mittlerweile dem Knaack-Club Recht und beschied dem Bauherren und dem Bezirk „Rücksichtslosigkeit“, weil sie Gegebenheiten der Bestandsnutzungen bei der Planung des Bauprojektes nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg lehnte jedoch vergangene Woche einen Eilantrag gegen die Baugenehmigung für das benachbarte Wohngebäude ab. Der Ausgang der gerichtlichen Entscheidung ist weiter offen.
Tourismus und Gentrification
Im konkreten Fall des Knaack-Clubs waren es exklusive Eigentumswohnungen, die mit den Auswirkungen der Club-Kultur in Konflikt gerieten – daraus die Clubs als generelles Aufwertungshindernis zu sehen, geht aber nicht auf. Denn gerade der Ruf Berlins als coole Stadt der Nachtszene trägt wesentlich zur Attraktivierung bei. Verbunden mit den im internationalen Vergleich geringen Lebenshaltungs- und Wohnkosten ist Berlin zu einem Magnet für den internationalen Tross von Künstler/innen, Kreativen und Aussteiger/innen geworden. Johannes Novy brachte in diesem Zusammenhang den Begriff der „hypermobilen kreativen Klasse“ in die Diskussion ein und erklärte die „temporäre Mobilität“ zum eigentlichen Problem der Stadtentwicklung. Die wachsende Zahl von zeitlich beschränkten und oft projektgebundenen Aufenthalten im Bereich der wissenschaftlichen Forschung, der Kreativwirtschaft oder im Kulturbereich seien mit den traditionellen Instrumenten der Tourismusforschung nicht zu erfassen. Doch gerade diese „hochmobilen urbanen Milieus“ seien es, die mit ihrem Freizeitverhalten und ihrer vergleichsweise hohen Mietzahlungsbereitschaft die Aufwertung in Gebieten wie Kreuzberg und Neukölln beschleunigen. Eine „temporären Mobilität der Kreativen“ kann die klassischen Pionierphasen der Gentrification verändern. Die traditionelle Etablierung von subkulturellen Milieus und Alternativkulturen ging oft mit dem Aufbau eigener Nachbarschaftsstrukturen einher, die in späteren Aufwertungsphasen die Kerne von Anti-Aufwertungs-Protesten bildeten. Die vielfach beschriebene Tragik von den Anti-Gentrification-Pionieren ging zumindest implizit von einer gewissen zeitlich-räumlichen Stabilität der Pionierszenen aus. Der von Johannes Novy beschriebene Übergang zu ‚temporären Mobilitäten‘ stellt diese Bedingungen in Frage. Auch der schneller Umschlag von Mieterwechseln in den betroffenen Quartieren kann zu einer Beschleunigung der Aufwertung beitragen.
Strategien für eine sozial- und stadtverträglichen Tourismus
Obwohl von allen Referenten und auch durch Erfahrungsberichte aus dem Publikum eine große Einigkeit darüber bestand, dass Tourismus (auch) ein Problem darstelle, wurden keine konkrete Vorschläge unterbreitet.
Johannes Novy schlug vor zwischen unmittelbaren (Lärm, Schmutz, Umwandlung in Ferienwohnungen) und stadtentwicklungspolitischen Auswirkungen (Gentrification) zu unterscheiden. Seine Forderungen nach einem „vertäglichen und zuträglichen Tourismus“ und einem veränderten Leitbild („Weg von der Wachstumsorientierung“) blieben weitgehend unbestimmt. Auch der Vorschlag einer nachbarschaftsbezogenen Gewinnbeteiligung am Tourismus (z.B. Stadtführungen, bei der junge Migrant/innen ihren Kiez vorstellen) konnte nicht alle überzeugen.
Die konkretesten Vorschläge hatte Gerhard Buchholz mitgebracht. Doch statt um einen stadtverträglichen Tourismus ging es ihm um eine tourismusverträgliche Stadt. So forderte er Toilettenhäuschen an touristisch besonders belasteten orten (Gandarmenmarkt, Reichstag) und verwies auf die Initiative „Service in the City“. Plätze wie der Alexanderplatz sollen für eine bessere Aufenthaltsqualität öfter gereinigt, Trinkwasserbrunnen an öffentlichen Plätzen aufgestellt und die Mehrsprachigkeit der Taxifahrer (Stichwort: „Qualitätstaxi“) gefördert werden.
Überlegungen, Touristenströme zu lenken, um die für Anwohner/innen anstrengende Konzentration zu vermeiden, wurden als eher unrealistisch eingeschätzt. So bemüht sich die BTM bereits seit längerem zusammen mit den Bezirksämtern die sogenannten „Bezirksjuwelen“ zu bewerben – eine spürbare Entlastung für die innerstädtischen Tourizonen ist bisher nicht zu beobachten. An Beispielen wie den für die Anwohner/innen unerträglichen „Pub-Crawls“ in der Oranienburger Straße (organisierte Sauftouren großer Gruppen mit Freigetränken in den beteiligten Bars und Kneipen) oder den Spontanparties auf der Admiralsbrücke in Kreuzberg wurde deutlich, das es nicht um die Steuerung des Tourismus gehen kann, sondern schlicht um die Durchsetzung der geltenden Standard für Lärmschutz.
Auch für das Problem der illegalen Umwandlungen von Miet- in Ferienwohnungen (es geisterte die Zahl von etwa 10.000 Wohnungen durch den Raum) helfe weniger ein anderer Tourismus als vielmehr die Wiederbelebung der Zweckentfremdungsverbotsverordnung oder die Aufstockung des Personals in den bezirklichen Bauämtern.
Auch für die touristisch ausgelösten Aufwertungsdynamiken gab es keine tourismusbezogenen Strategievorschläge sondern ganz allgemein die Forderung nach einer anderen Stadtpolitik. Eine Erweiterung der städtische Tourismuspolitik über das Wirtschaftsressort hinaus könnte zumindest ein Schritt sein, die Verantwortung für die quartiersbezogenen Tourismusfolgen überhaupt zu vergeben. Bisher beschränkt sich die Tourismuspolitik auf die Förderung touristischer Angebote – die Lösung der damit einhergehenden Probleme wird den anderen Verwaltungen und vor allem den Bezirken überlassen.
Ob die Ungleichverteilung zwischen privatem Nutzen (Tourismusindustrie) und öffentlichen Kosten durch eine Umlage (z.B. Bettensteuer) ausgeglichen werden kann und wie diese Einnahmen eingesetzt werden könnten, blieb weitgehend undiskutiert. Klar blieb allein, dass es vielfach nur Halbwissen gibt. Die einzigen Zahlen zum Tourismus in Berlin kommen von der Branche selbst – eine fundierte Tourismusfolgenabschätzung findet nicht statt. Kritik am Berlin-Tourismus kann deshalb schnell als anekdotenhafte Erzählung übergangen werden. Hier sind der Berliner Senat, aber auch die Berliner Hochschulen gefragt.
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hey… bin auf grund von nachforschungen zum thema auf eure seite gestossen und schon sehr positiv überrascht und lese mich hier quer und beet durch euren blog…
würden bei diesem artikel gerne wissen, von wem er geschrieben wurde und obs ne option für quellenangaben gibt, das wäre klasse…
vielen dank schon mal im voraus und n ganz lieben gruss…
alex
Hallo Alexander, schön, dass Dir das Blog gefällt. Autorenangaben findest du bei „über diesen Blog“. Alle Beiträge sind von mir geschrieben und du kannst es wie jede andere Internetquelle auch zitieren. Wenn nicht anders angegeben, sind es Originalbeiträge für das gentrificationblog.
Beste Grüße,
Andrej