Berlin: Schöner Wohnen in Räumen der Benachteiligung

Eine Woche unterwegs in Österreich habe ich die RBB-Abendschau und ihre Reihe „Schöner Wohnen in Berlin“ verpasst. Täglich wurde ein „Aufsteiger-Kiez“ vorgestellt, der von den Redakteur/innen als kommendes Wohnquartier der jungen Kreativen ausgemacht wurde.

Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain sind bevorzugte Wohngegenden. Junge Kreative und Intellektuelle wollen hier leben. Aber es gibt kaum noch erschwinglichen Wohnraum und so entstehen dort neue In-Kieze, die bisher nicht als gute Wohnlage galten. In dieser Woche stellen wir Ihnen die „Aufsteiger-Kieze“ vor.

Die für die Reportagen ausgewählten Quartiere lesen sich wie ein Stadtplan von Gentrification-Verdachtsgebieten:

Merkwürdig nur, dass bis auf eine Ausnahme alle hier beworbenen „Aufsteiger-Kieze“ in oder direkt angrenzend an die erst kürzlich ausgerufenen Aktionsräume Plus liegen und als besonders benachteiligt gelten:

Die Ergebnisse des jährlichen „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ haben gezeigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Gebiete in ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen im Vergleich zu anderen Gebieten Berlins benachteiligt sind. Hier gibt es überdurchschnittlich hohe Anteile an Arbeitslosen sowie Empfängerinnen und Empfänger staatlicher Unterstützungsleistungen; die Bildungs- und Gesundheitschancen für Kinder und Jugendliche sind vergleichsweise niedrig.

 

Die RBB-Schöner-Wohnen-Reportagen folgen einem simplen Muster: Der Ruf ist schlechter als das Viertel und trotz bestehender Vorurteile lässt es sich dort ganz gut leben. Junge Leute (sogar mit Kindern) ziehen zu, modernisieren Häuser und Wohnungen oder schließen sich zu Baugruppen zusammen. Neue Läden ganz nach dem Geschmack der Zuziehenden machen auf und werden zu den Heimstätten eines kiezig-urigen Lebensgefühls jenseits des Bionade-Biedermeier-Feelings in Mitte und Prenzlauer Berg. Das scheinbar Unerwartete der Kiez-Reportagen spiegelt letztlich die gängigen Vorurteile: ein Latte-Macchiato-Cafe im eher prolligen Moabit, Bio-Curry-Wurst in der Döner-Hochburg Kreuzberg, ein toller Kinderladen im von Ostdeutschen dominierten Treptow und ein zufriedener Makler im Problemquartier Neukölln…

Aus den Untersuchungen von Barbara Lang („Mythos Kreuzberg„) und Sharon Zukin („Naked City„) sind die Prozesse der symbolischen Aufwertung als Voraussetzung und Instrument der Inwertsetzung längst bekannt. Veränderte Stadtteilimages und die Kreation einer neuen Authentizität werden dabei als Voraussetzungen für höhere Mietforderungen und immobilienwirtschaftliche Investitionen angesehen.

Vor diesem Hintergrund löst sich auch der scheinbare Widerspruch von amtlich deklarierten Problemquartieren und den von der RBB-Abendschau beschreibenen Aufsteiger-Images auf. Denn die zentralen Ziele der Aktionsräume Plus sind ja

die Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen, die Bewältigung der städtebaulichen Folgen von demografischen und ökonomischen Strukturveränderungen (…) und die Stärkung von quartierbezogenen Images

Zumindest Letzteres ist mit den RBB-Schöner-Wohnen-Reportagen schon mal geglückt und auch das ‚Plus‘ im Programmnamen der „Aktionsräume Plus“ bekommt eine vollkommen neue Bedeutung: als Plus bei der Miete.

6 Gedanken zu „Berlin: Schöner Wohnen in Räumen der Benachteiligung

  1. ich lebe in einer stadt mit 7000 einwohnern (ehem. mehr als 10000) das ezentrum ist „entvölkert“ – die geschäfte sind vor die stadtmauer gelegt und natürlich ein riesiges areal mit allem üblichen – kik, rossmann, euro-teddy oder so .. – ) der lückenbau, der sicher gut und sinnvoll ist, macht mir trotzdem sorge – diese wohnungen sind „altengerecht“, nicht zu groß, aber doch teurer als es sich ein „normaler“ rentner leisten kann – angeblich sollen alle bauvorhaben innerhalb es stadtzentrums solch wohnraum schaffen
    ich finde es falsch, aber unsere „stadtplaner“ sehen das anders – für sie ist es kein problem, wenn ein versorgungsfahrzeug anfährt usw – all diese vorstellungen seheich sehr kritisch, denn in 15 jahren werden sich rentner diese wohnungen nicht leisten können und schon gar nicht die lebensmittelanlieferung . . .
    gibt es eine studie oder ähnliches, was diese probleme erwähnt, berücksichtigt?

    würde mich über einen tipp freuen – lg heike

  2. Pingback: CENTRO SOCIALE » Blog Archive » die tagesnotizen

  3. Ist schon spannend, was die da für Kieze rausgesucht haben. Ich bin aus dem F’hain geflüchtet, war mir irgendwie zu hipp, touristisch und versoffen und bin wahrscheinlich nicht die erste, die sich zur Flucht Pankow ausgesucht hat… und was ist schön daran? Es wirkt so herrlich normal. Man hat normale läden und keine hippen kneipen, heimlichen bar- und café-tipps und die konzerte finden noch in alteingesessenen Bürgerinitiativen statt.

  4. Pingback: stadtnachrichten montag 7 märz « from town to town

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