Die Diskussion um die Berliner Stadtpolitik nimmt immer skurrilere Züge an. Die CDU und der rbb sprechen vom „Roten Terror“ (Video), Volker Ratzmann sieht „Kieztaliban“ am Werk und die jungle world macht es nicht unter den „Roten Khmer“. Aufhänger sind fast immer die Brandanschläge auf Autos, gemeint sind vielfach jedoch die notwendigen Diskussionen um die Miet- und Verdrängungsdynamiken in den Berliner Innenstadtbezirken (siehe Interview mit Aktivist/innen der „wir-bleiben-alle“-Kampagne)
Wurde vor ein paar Wochen noch über steigende Mieten, Verdrängungseffekte und Hartz-IV-freie Zonen geschrieben, hat sich zumindest die öffentliche Debatte deutlich in einen vorgeblichen Sicherheitsdikurs verlagert. Den Artikeln der letzten Woche folgend, bietet Berlin ein Bild zwischen Belfast und Beirut: umkämpfte Räume und unübersichtliche Akteurskulissen: Linke gegen Reiche, Alteingesessene gegen Jungfamilien, Ossis gegen Schwabe und die FDP gegen Hartz IV. Wenn das so weitergeht, wird Ulfkotte bald seinen nächsten Bestseller schreiben müssen…
Nun hat der Tagesspiegel auch noch einen Brand auf der Baustelle der Baugruppe „Börse“ in Prenzlauer Berg in den Kontext von Stadtteilprotesten gestellt („Wachschutz für Ökohaus“) und die Debatte um die Baugruppen neu entfacht. Die taz hat darin auch gleich einen neuen Konflikt entdeckt: Linke gegen Linke und schreibt über „Die verdrängte Debatte„:
Ruhender Pol und Stimme der Vernunft in all dem Chaos: die Diakonie! Die hält sich nicht mit Scheinkonflikten auf sondern fordert sinnvollerweise für Berlin flexible und ortsteilspezifische Richtwerte für Hartz-IV-Wohnungen: „Ich will so wohnen, wie ich will“
Mehr zur Baugruppendiskussion in der taz: „Die verdrängte Debatte„:
Linke Gegner der Gentrifizierung wettern gegen linke Baugruppen. Szene diskutiert eigene Rolle bei Aufwertung. (…) Zusehends geraten sogar Baugruppen, die sich zu Teilen selbst als links verstehen, ins Visier der Gentrifizierungsgegner. Damit wird – nach jahrelangem Schweigen – auch diskutiert, wie Szeneprojekte selbst zur Verdrängung beitragen.
Die Baugruppen-Kritik sei dabei in der linken Szene durchaus umstritten. statt sich an den Baugruppen abzuarbeiten, so gibt die taz linke Debatten wider, sollten lieber tatsächliche Gegner benannt werden: „Miethaie, Spekulanten und Stadtentwicklungspolitiker, die Instrumente wie Milieuschutz nicht ausreichend anwenden.“ Auch der Mediaspree-Aktivist Carsten Joost wird von der taz als Kritiker der Baugruppenkritik angeführt. Als ginge es nicht um aktuelle stadtpolitische Verschiebungen, erklärt die taz die aktuellen Auseinandersetzungen als eine Arrt „nachholender Reflektion“ zur Rolle von linken Haus- und Wohnprojekten bei der Kiezaufwertung. Es sei das Schreckgespenst der „Yuppisierung“ im Prenzlauer Berg und Teilen Kreuzbergs, das diese Diskussion losgetreten habe. Um das argumentative Chaos zu ordnen, gibt es zum Abschluss des Beitrags wie so oft noch einen O-Ton von „Expertenseite“. Bitte sehr, ganz wie es sich für Soziologen gehört, schön ausgeglichen die Kritik an der Kritik der Baugruppenkritik…
Der Soziologe Andrej Holm sieht Baugruppen denn auch zwiespältig. Zwar sei deren Zahl in Berlin bisher so gering, dass sie nicht nachweisbar zur Verdrängung beitragen würden. Baugruppen stünden aber für einen Trend der Individualisierung und Privatisierung im städtischen Raum. Oft gehe der Einzug der Bewohner in Eigentumsprojekte mit ihrer Entpolitisierung in stadtpolitischen Diskussionen einher, so Holm.
Einfach alles Party. Wer nimmt diese Diskussionen eigentlich noch ernst? Ratzmann hier, Wowereit da, Gysi dort und etwas Autonomie und „Gentrifizierung – die Umwandlung von Arbeitervierteln in teure Szenekieze“. Arbeiterviertel? Eine Stadt die seit 15 Jahren eigentlich nur noch eine Alibiindustrie hat, wo soll die bitte eine Arbeiterschaft haben?
Hier werden Schlachten aus dem Anfang letzten Jahrhundert geschlagen.
„Vor einem Jahr wurde der Berliner Soziologe Andrej Holm festgenommen. Wochenlang saß er unter Terrorverdacht in U-Haft. Längst arbeitet er wieder an der Humboldt-Uni – und bei den Studenten hat sich herumgesprochen, wer da vor ihnen sitzt.“ RAF und sonstiges, oder mal wieder Osma Ben Ladin?
„Oft gehe der Einzug der Bewohner in Eigentumsprojekte mit ihrer Entpolitisierung in stadtpolitischen Diskussionen einher, so Holm.“
Stimmt … und wenn die Kinder die Schule hinter sich haben, interessieren sich die engagierten Eltern nicht mehr für Schulpolitik, mit der Legalisierung des besetzten Hauses verschwindet das Interesse an dem Erhalt von selbstorganisierten Freiräumen, die TürkInnen gehen nicht mehr gegen Diskriminierung auf die Straße, wenn sie endlich aus dem Ghetto raus und nach Schöneberg gezogen sind, StudentInnen hören auf sich in die Bildungspolitik einzumischen, wenn sie ihren ersten Arbeitsplatz haben und Spezialisten sehen manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr 😉
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