Berlin: „kleinsträumige Gentrification“ in Neukölln

Im Neuen Deutschland gibt es zwei Artikel zu den aktuellen Stadtentwicklungstendenzen in Neukölln. DerAustellungsbericht  „Auf Dauer kommen Reiche“ stellt die Austellung „Wer macht die Stadt für wen?“ (pdf) der Kiezgruppe Neukölln vor (noch bis zum 31.8. im »New Yorck«, Mariannenplatz 2 in Kreuzberg zu sehen:

»Wer macht die Stadt für wen?«, lautet der Titel einer Ausstellung, in der es um die Veränderungen in Neukölln, insbesondere im Norden, geht. Seit zwei, drei Jahren mausert sich der einstige »Schmuddelbezirk« zum neuen In-Kiez, rund um Reuter- und Weserstraße eröffnen Galerien, Ateliers, Szenekneipen und Cafés. Doch schon machen sich Ängste breit: Droht eine Gentrifizierung, also eine Aufwertung des Kiezes mit Mieterhöhungen und der Verdrängung alteingesessener Bewohner? Inwieweit ist die Entwicklung von der Politik gesteuert und wie kann man ihr entgegenwirken?

Mit diesen Fragen hat sich eine Gruppe von (Nord-)Neuköllnern beschäftigt, die als Studierende und Akademiker selbst Teil dieses »Aufwertungsprozesses« sind und sich dennoch – oder eben deshalb – gegen die Gentrifizierungstendenzen in ihrem Kiez wehrt. Ihre These: Die Aufwertung von Stadtteilen wird immer auch von der Politik mit angestoßen, zum Beispiel über die Festlegung von Sanierungsgebieten und die Förderung von Projekten, die den Kiez positiv in die Medien bringen und so das Image verbessern sollen.

Als Kontrast zu den Thesen der Ausstellung gibt es in der selben Ausgabe des Neuen Deutschland noch ein Interview mit Sigmar Gude: „Gentrifiziertes Neukölln? Sigmar Gude sieht keine Verdrängungstendenzen“.

Sigmar Gude vom Stadtplanungsbüro Topos bestätigt in dem Gespräch die neue Attraktivität von Neuköllner Wohngebieten für Studierende, will diese Zuzüge jedoch noch nicht als Gentrification verstanden wissen:

allein, weil da der eine oder andere Akademiker hinzieht, von Gentrifizierung zu sprechen, finde ich falsch.

Probelm der Veränderungen in Neukölln sei weniger der Zuzug von Gentrifiern, sondern vor allem die Mietsteigerungen in den bisher preiswerten Marktsegmenten.

Die Mietsteigerung lag hier mit vier Prozent deutlich höher als im Berliner Durchschnitt von 1,1 Prozent. Die Bewohner des Richard-Kiezes haben mir z.B. gesagt, dass sie die Schließung des Tempelhofer Flughafens mit Skepsis sehen, weil sie Mieterhöhungen fürchten. Fallen die Belastungen durch den Flugverkehr weg, wäre das ein Argument für die Eigentümer, die Mieten zu erhöhen. Das sind die Dinge, die für die Leute dort viel wichtiger sind als so eine abstrakte Angst, da würden jetzt die Heerscharen gut verdienender Yuppies einfallen.

Gentrificationdynamiken mit tatsächlichen Verdängungsprozessen  gebe es – so Sigmar Gude:

augenblicklich (…) wirklich nur kleinsträumig, an ganz bestimmten Ecken, nicht vergleichbar mit der Entwicklung in Mitte oder Prenzlauer Berg.

4 Gedanken zu „Berlin: „kleinsträumige Gentrification“ in Neukölln

  1. Im Schillerkiez organisiert sich zur Zeit ebenfalls eine fatale Mischung zur sogenannten Aufwertung des Kiezes. Das dortige Quartiersmanagment hat das Strategiepapier „Taskforce Okerstraße“ für ein Netzwerk zw. Polizei, Ämtern und QM geschriebem das nur so von Intervention, Rassismus, Xenophobie, Antiziganismus sowie sozialer Inkompetenz strotzt.

    Das ist allerdings auch kein Wunder, schließlich steckt hinter dem QM Schillerkiez (wie in weitere QMs in Nordneukölln – nämlich Reuter-, Flughafen, & Rollbergkiez) die Sanierungs- und Baufirma Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft mbH (BSG) mit Sitz in Potsdam. Die Chefin des QM Schillerkiez ist gelernte Architektin. Der Geschäftsführer der BSG ist Chef der Architektenkammer in Berlin. Weitere Verantwortliche in der BSG sind zumeist Wirtschaftsingenieure und Stadtplaner. Soziale Berufe kommen nicht vor und werden deshalb offenbar lediglich als Ressource von Außen betrachtet. Im Vordergrund steht „Sanierung von Gebäuden und Stadtentwicklung“. Die Selbstbeschreibung spricht Bände (siehe http://www.quartiersmanagement.de/kurzportrait.php).

    „Die Schwerpunkte liegen in der Beratung von öffentlicher Verwaltung und privaten Bauherren bei öffentlich geförderten oder frei finanzierten Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie bei der Planung und Durchführung von Wohnungs- und Industriebauten.“

    Wenn mensch nun das Papier, daß die Verdrängung von Migrant_innen, RRoma und sozialen Randgruppen, die in Zusammenarbeit mit der Polizei, des Jugend- und Schulamtes sowie anderen sicherheitsrelevanten Akteuren beschreibt ohne jede soziale Analyse zu führen, zum Hintergrund der BSG hinzunimmt, bleibt eine erschreckend (neue) Facette der Gentrifizierung übrig. Nämlich nicht nur die Verdrängung durch bauliche Aufwertung, Zuzug und Mieterhöhung, sondern durch Repression gegen migrantische, ziganistische und soziale Randgruppen.

  2. … was das Papier zur TASK FORCE OKERSTRASSE nicht besser macht. es bleibt ein antiziganistisches, xenophobes, sozial inkompetentes papier.

    außerdem ist die ASUM nicht besser als das Unternehmen BSG. Die ASUM ist ebenfalls eine GmbH, die seit 1992 im Friedrichshain erfolgreich „erhebliche Instandsetzungs- und Modernisierungsrückstande im Wohnungsbestand“ beseitigt hat und so „erforderliche“ soziale Veränderungen durch „eine umfassendere Steuerung von sozialen Prozessen in der städtebaulichen Erneuerung und damit einhergehend die Entwicklung von gebietsspezifischen Strategien und Arbeitsweisen“ vorangetrieben hat.

    Besser läßt sich Gentrifizierung wohl nicht bürokratisch verdreht beschreiben. Genau dasselbe will das QM Schillerpromenade. Soziale Selektierung, bauliche Sanierung und strukturelle Aufwertung. Verdrängung breiter Schichten ist das Ergebnis. Neu ist, daß hierzu eine TASK FORCE gebildet wird, die aus Ämtern, Sicherheitsorganen und privaten Bauunternehemen besteht, die gemeinsam agieren.

  3. Pingback: Für die Öffnung von Tempelhof! Gegen Gentrifizierung! « Analyse, Kritik & Aktion

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