Hamburg: IKEA macht Gentrification zum New Urban Mainstream

Ikea-Altona-1024x577Die Aufwertungsorientierung der Hamburger Stadtpolitik kennt offenbar keine Grenzen. Hafencity, IBA-Wilhelmsburg und jetzt auch noch ein riesiges Möbelkaufhaus mitten in Altona.
IKEA plant auf dem Gelände des sogenannten Frappant den Neubau eines IKEA-Marktes (etwa 40.000 qm Bruttogeschossfläche). Allein das Verkehrsaufkommen der täglich zu erwartenden 10.000 Besucher/innen wird für die Nachbarschaft eine enorme Belastung darstellen.

Doch die Gründe für die nun gestartete Kampagne „Kein IKEA in Altona“ gehen über die Befürchtung von Stau und Verkehrsbelastungen hinaus. Im Mittelpunkt der Proteste steht zum einen die anstehende Verdrängung der über 100 Künstler/innen, die in verschiedenen Ateliers des ehemaligen Kaufhausgebäudes eine Basis für ihre Arbeit und Ausstellungen gefunden haben. Zum anderen werden eine allgemeine Aufwertung des Quartiers und insbesondere steigende Gewerbemieten befürchtet.

In einem offenen Brief an den IKEA-Konzernchef Ingver Kamprad heißt es schön formuliert:

Hej Ingvar,
ja, wir alle haben schon mal bei dir gekauft. In unseren Wohnungen stehen deine Bücherregale, deine Milchkaffeebecher, deine Kinderbetten. Du bist preiswert, das ist wahr, doch eine alte Volksweisheit lautet: Billig ist teuer. Das merken wir jetzt. Mitten in Altona, da wo wir wohnen, möchtest du eines deiner Möbelhäuser bauen. Ehrlich gesagt, das passt uns überhaupt nicht und wir wollen es verhindern. Nimm dir ein paar Minuten Zeit, damit wir dir erklären können, warum.
Zunächst mal ein Rat: Glaub unseren Politikern kein Wort! Diese Menschen haben eine gestörte Wahrnehmung von der Wirklichkeit in unserem Viertel. Sie halten das Frappant-Gebäude, das du für dein Möbelhaus abreißen möchtest, für einen „Schandfleck“. Das stimmt aber nicht. Im Frappant arbeiten über hundert Künstler, Theaterleute und Musiker. Wir haben dort in den letzten Jahre großartige Parties gefeiert und jede Menge spitzenmäßige Konzerte und Ausstellungen gesehen, mit kaum Geld und viel Einsatz aus dem Boden gestampft. Das ist unseren Politikern aber nicht nur herzlich egal, sie machen den angeblichen „Schandfleck“ auch noch dafür verantwortlich, dass die angrenzende Fußgängerzone „unattraktiv“ sei. Schon vor Jahren haben sie per Expertise feststellen lassen, dass es ihr an „Aufenthaltsqualität“ fehle, dass sie „unbelebt und ungastlich“ sei. Sie behaupten dort, dass unsere Flaniermeile „nicht mehr die Funktion eines Bezirkszentrums sowie eines wichtigen Zentrums für das öffentliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben einnimmt.“ Wie gesagt, Ingvar, glaub ihnen kein Wort! Setz dich an einem beliebigen Sommernachmittag ins Eiscafé Filippi oder vor Dat Backhus und du wirst mit eigenen Augen feststellen: Jede x-beliebige deutsche Kleinstadt würde sich die Finger lecken nach so viel Leben. Jede Menge Leute sind hier unterwegs, Normalos und Freaks mit und ohne Kopftuch, Punk und Alkis mit und ohne Hunden, Opis und Omis, Kinder und Jugendliche.
Tatsächlich meinen unsere Politiker auch garnicht „Leben“. Was sie meinen, steht in ihrer Expertise: „Der Funktionsverlust – insbesondere der Großen Bergstraße – manifestiert sich in einer anhaltend sinkenden Kaufkraftbindung.“ Klingt kompliziert, ist aber eine ganz einfache Logik: Es kann noch so viel auf der Straße los sein – wenn nicht genug verkauft wird, behaupten sie, es gäbe dort kein „Leben“. Lächerlich, nicht wahr? Aber so geht eben die Standortlogik neoliberaler Politik: Nur wo ordentlich abgemolken wird, ist es schön. Alles andere ist hässlich.
Deshalb sind unsere Politiker auch so begeistert von der Perspektive, dass dein Möbelhaus unserer Fußgängerzone eine „Belebung“ und „Aufwertung“ verpasst. (…)

Die Nachbarschaftsinitiative gegen den IKEA-Neubau in Altona sammelt inzwischen Unterschriften für ein Bürgerbegehren (pdf) gegen das geplante Bauprojekt und nutzt das Instrument der Bürgeranhörungen um ihrem Protest Gehör zu verschaffen. Eine erste Bürgeranhörung zu Thema fand am 17. September statt und lockte 750 Nachbar/innen in die Aula der Louise Schroeder Schule. Einen Bericht von der Veranstaltung gibt es bei Altona.Info: „IKEA Bürgeranhörung: ‚Full House‘ in Hamburg-Altona“. Aussagekräftiger noch aber ist der folgende Videomitschnitt:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=dCTdpXseFN4&feature=player_embedded]
Bis auf den Vertreter der LINKEN sind alle anwesenden Parteien für das Projekt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Bezirksversammlung sieht sich mit IKEA auf dem Weg zur sozialen Gerechtigkeit:

„Ich halte es für eine soziale Lösung, wenn man tatsächlich Geschäfte hinbringt, die Waren zum bezahlbaren Preis verkaufen. Das ist für mich eine soziale Lösung.“

Gesche Boehlich von den Grünen will mit IKEA gleich das ganze Quartier retten:

„Es handelt sich hier um ein Sanierungsgebiet. (…) In dieses Sanierungsgebiet werden in den nächsten 20 Jahren 30 Mio. Euro fließen, weil festgestellt wurde, dass dieser Stadtteil dem Niedergang geweiht ist. Und dieses Geld soll es verhindern“.

Der CDU-Mann Uwe Szczesny blieb eher sachlich und verspricht einfach:

„Und wir werden alles tun damit IKEA sich hier ansiedeln kann“.

IKEA in Hamburg als Katalysator eines New Urban Mainstream

IKEA ist also von einer breiten Zustimmung der politischen Klasse in Hamburg Altona getragen. Damit steht das IKEA-Projekt nicht nur für die neue Strategie des Möbelkonzerns, statt auf der grünen Wiese nun auch in den Innenstädten eigene Verkaufsstellen zu erreichten, sondern bietet vor allem eine Bestätigung, dass Gentrification tatsächlich Teil des neuen städtischen Mainstreams geworden ist. Galten in den 1980er und 1990er Jahren Antiqitätengeschäfte und exklusive Innenausstatter noch als totsichere Indikatoren für einen Gentrificationprozess, ist die Aufwertungdynamik heute mit IKEA zu bewerkstelligen. Die aktuellen Aufwertungsdynamiken scheinen sich nicht mehr auf kleine exklusive Inseln im Stadtraum zu beschränken, sondern erfassen große Teile der Innenstädte. Dass in Folge dieser Skaleneffekte der Gentrification das Besondere verloren geht ist dabei Teil des Prozesses. Vielleicht ist es auch genau das, was Sharon Zukin schon 1990 als neuen sozialräumlichen Prototyp der Konsumption bezeichnet hat. IKEA ist für alle da – und Gentrification soll es auch sein, zumindest was die steigenden Mieten betrifft.

Zukin, Sharon 1990: Socio-Spatial Prototypes of a New Organization of Consumption: The Role of Real Cultural Capital’, in: Sociology, vol.24 no.1, pp. 37―56

Bild: http://www.ringfahndung.de

5 Gedanken zu „Hamburg: IKEA macht Gentrification zum New Urban Mainstream

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  4. Wann merken die Leute endlich, dass IKEA keine günstigen und schon gar nicht billigen Möbel verkauft? Was man dort bekommt, ist zusammengeschusterter Müll, der das Prädikat Möbel kaum verdient.
    Jeder A&V bietet schönere Möbel zu einem ähnlichen Preis. Möbel mit Charakter und Geschichte. Allein der Boykott dieses Ladens kann ein kleines bisschen helfen, obwohl ich die Daumen drücke, dass er gar nicht erst anrücken darf.

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