NIMBY – Not In My Backyard – sind Formen von Protestbewegungen, die in der Regel im Eigeninteresse von Anwohner/innen und/oder Eigentümer/innen allgemeine städtische Nutzungen in ‚ihren‘ Vierteln verhindern wollen. Oftmals werden solche NIMBY-Mobilisierungen von Haus- und Grundstückseigentümer/innen getragen, die im Bau einer Müllverbrennungsanlage, einer psychatrischen Einrichtung oder eines Obdachlosentreffpunkts nicht nur eine Verschlechterung der Lebensqualität sehen, sondern auch einen Wertverlust ihrer Grundstücke befürchten.
Solche Aufstände der Mittelklasse verfolgen im Gegensatz zu den oftmals politischen Forderungen sozialer Bewegungen vorrangig eine „quality of life“-Agenda und werden meist von artikulationsfähigen und ressourcenstarken Mittelschichten getragen.
Kreuzberg: Gewerbetreibende gegen Drogenszene
Der Tagesspiegel berichtet unter der Schlagzeile „Nachhbarn gegen Fixerbusse“ zum wiederholten Male von Anwohnerprotesten gegen die Drogenszene bzw. den bezirklichen Umgang mit ihr. Nach der Schließung einer Anlaufstelle in der Dresdner Straße und verschiedenen gescheiterten Versuchen, einen nahegelegenen Ersatzstandort zu schaffen, setzt die Sozialverwaltung von Friedrichshain-Kreuzberg zumindest vorübergehend auf ein mobiles Betreuungskonzept. Dieses Vorgehen trifft nicht bei allen Anwohner/innen auf Zustimmung:
Rund 50 Anwohner boykottieren mit einer Sitzblockade die Ankunft von drei Bussen am Kottbusser Tor. Dreimal in der Woche sollen hier mobile Hilfsstationen für Junkies ein paar Stunden lang stehen.
Als Paradebeispiel für NIMBY-Mobilisierungen in Berlin verbinden sich in den Protesten verständliche Argumente gegen die als ungerechtfertigt angesehen Belastungen mit den ökonomischen Interessen der Aktiven. In Kreuzberg sind es weniger die Hausbesitzer, als vielmehr die Ladenbetreiber, die eine weitere Etablierung der Drogenszene verhindern wollen:
Vor allem die Anwohner aus den beiden Neubaukomplexen wollen hier keine „Fixer-Attraktion“ vor der Tür. Dabei arbeiten die mobilen Hilfsstationen für Junkies seit 15 Jahren am Ort, bislang auf der anderen Seite des Kottbusser Tors, 20 Meter weiter. Eine Initiative von Bürgern und Gewerbetreibenden hat sie kürzlich dort vertrieben. Der Urin und die Spritzen seien nicht mehr erträglich, hatten sie erklärt. Einige Ladenbetreiber haben Fahrradständer in den Boden geschraubt, so dass die Busse nicht mehr auf den bisherigen Platz können.
Mitte: Baugruppen gegen Neubauplanungen
Ein anderes Beispiel für den neuen Berliner NIMBYismus kann aktuell in Berlin Mitte beobachtet werden. In den Hauseingängen, der an den Mauerstreifen angrenzenden Straßen nördlich des Arkonaplatzes, wurden in den vergangenen Tagen Informationsblätter angebracht, die unter der Überschrift „Bürger, wehrt euch gegen den Bebauungssplan B1-40!“ dazu aufrufen, Einwände gegen den vorliegenden Bebauungsplan zu formulieren und an die Senatsverwaltung zu senden. Inhaltlich geht es gegen die Neugestaltung des Berliner Gedenkstättenkonzepts und Neubaupläne an der Bernauer Straße. Insbesondere hinsichtlich der geplanten Wiederherstellung des sogenannten Postenwegs auf dem Mauerstreifen wird mit einer Einschränkung bei der Nutzung der Anwohnergärten gerechnet. Von den geplanten Neubauten hingegen werden Sichteinschränkungen und Verschattungen befürchtet.
Soweit ist ein Aufbegehren gegen die Bebauungspläne mehr als verständlich. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Initiative dafür von Bewohner/innen eines erst kürzlich fertiggestellten Baugruppenhauses (Living in Urban Units) ausgeht. Noch nicht einmal vollständig eingezogen, werden die momentanen Qualitäten des Grundstücks (freier Blick auf den Mauerstreifen) verteidigt. Ob die Baugruppe auch Proteste der Anwohner/innen auf der gegenüberliegenden Straßenseite akzeptiert hätte, denen sie die Sonne und die Sicht genommen hat?
Dass ausgerechnet ein Eigentumswohnprojekt nachfolgende Bebauungspläne mit dem Argument kritisiert, durch den Ausbau der Mauergedenkstätte würde eine „Neue Berliner Mauer“ entstehen, mutet zumindest sonderbar an. Sind es doch vor allem die wachsenden sozioökonomischen Unterschiede, die den sozialen Äquator zwischen Mitte und Wedding markieren. Eine soziale Grenzziehung, die eben auch durch die überwiegend hochpreisigen Neubauprojekte der vergangenen Jahre verfestigt wurde.
Auch in diesem Beispiel verbinden sich durchaus verständliche Gestaltungswünsche mit den ökonomischen und eigentumsbezogenen Interessen einer Mittelschicht. Die Verteidigung von Lebensqualitäten in Hinterhöfen, die wegen der Baustellenreste noch nicht einmal genutzt werden können, ist jedenfalls ein Novum und steht für die selbstbewusste Gestaltungsansprüche der neuen EigentümerStadtbürger.
Dazu passt dieser Beitrag der Tagesschau:
http://www.tagesschau.de/inland/kiezkaempfe100.html
Schöne Grüße,
Stefan
Die Baugruppe LUU ist keine reine Eigentümergemeinschaft. Die Hälfte der Wohnungen sind Genossenschaftswohnungen und gerade die haben den Protest gewaltig forciert!!