Der Vormarsch des lange gemiedenen und teilweise inkriminierten G-Worts hält an. In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung gibt es einen ausführlichen Artikel zu den Aufwertungsprozessen und Protesten im Hamburger Schanzenviertel: „Jenseits der Krawalle„. In der Unterzeile begrüßt Autor Till Briegleb den sich formierenden Widerstand gegen die Aufwertungspläne:
Hamburg will das Schanzenviertel in eine Shoppingmeile verwandeln – endlich formieren sich auch zivile Gegner
Jenseits der obligatorische Abgrenzung zu „Autonomen“, „Polit-Hooligans“ und „zugereisten Krawallmützen“ liest sich der Text wie ein Loblied auf die Stadtteilinitiativen im Schanzenviertel. Selbst die Aktionstage gegen Gentrification finden eine positive Erwähnung im Text:
Auf einem Netzwerktreffen im alternativen Stadtteilzentrum Centro Sociale auf dem Schlachthofgelände kamen jetzt rund 20 Initiativen aus ganz Hamburg zum Rütli-Schwur zusammen. Unter dem Slogan „Recht auf Stadt“ waren hier die 200 Künstler, die das Gängeviertel besetzt halten, ebenso repräsentiert wie Gruppen, die gegen ein neues Ikea-Kaufhaus mitten in Altona oder die Vernichtung eines Grünzugs in Eimsbüttel, wo Eisvögel und Buntspechte leben, antreten. Dieses heterogene Bündnis eint die Erfahrung, dass Stadtentwicklungspolitik in Hamburg im Zweifel gegen die Interessen der Bevölkerung und für das nächste Immobilienprojekt entscheidet – und dass dagegen endlich organisiert vorgegangen werden müsse.
Soviel Sympathie von Seiten eines Meinungsmediums wie der Süddeutschen mag verwundern, doch der Artikel verrät uns auch, warum sich die breite Mitte der Gesellschaft gegen Gentrification organisieren sollte. Kritisiert wird die unternehmerische und investorenfreundliche Politik der Hamburger Regierung:
Denn genau diese Haltung zur profitablen Rundumerneuerung schafft die verderbliche Dynamik der Gentrifizierung, mit der eine Stadt wie Hamburg sich ihrer Identität, Attraktivität und Kreativität beraubt. Zwar gibt es kein Recht darauf, dass alles so bleibt, wie es immer war. Aber inspiriertes Lebensgefühl hat nichts mit frisch gestrichenen Fassaden und genügend Parkplätzen zu tun, sondern mit einer Atmosphäre der Möglichkeiten. Für diese sind die Bewohner weit bessere Scouts als die Makler.
Das eigentliche Problem – so der Artikel – seien gar nicht die steigenden Mieten und die Verdrängung, sondern die Zerstörung des inspirierenden Lebensgefühls. Die tatsächlich schmerzhaften Einschnitte der Aufwertung seien daher auch im Gewerbebereich zu beobachten:
Was sich in diesem Zeitraum aber sehr spürbar verändert hat, ist die Situation des Einzelhandels und die Art und Menge der Besucher, die er anlockt. Statt schrammeligen Gitarrenläden, düsteren Antiquariaten und Musikkneipen im Souterrain locken nun Markengeschäfte von Adidas oder Vodafon, Nobel-Optiker und -Restaurants, internationale Modelabels und coole Kneipen jeden Tag Tausende meist junger Touristen zum 24/7-Vergnügen. Verschwunden sind fast alle Imbissbuden, eröffnet hat gerade der erste McDonald’s.
Ist ja auch wirklich gemein, wenn die Stadt ihre bildungsbürgerlichen Qualitäten verliert und vom 08/15 Touri-Pöbel erobert wird. Um dies zu verhindern sind sogar Allianzen mit Aufwertungsgegner/innen denkbar.
Der Grimm, der sich gerade in Hamburg formiert, hat deswegen auch nur an seinen Rändern etwas mit dumpfen Feindbildern und Bock auf Randale zu tun. In seiner Mehrheit besteht diese Bewegung aus Leuten, die die Stadt vor sich selbst retten wollen.
Bleibt nur zu hoffen, dass die dann nicht doch wieder über steigenden Mieten diskutieren wollen…
Ich finde, der SZ-Artikel ist gelungen mit ein paar präzisen Formulierungen. Schön, dass er hier erwähtn wird, sonst hätte ich ihn gar nicht bemerkt! ;0)
So wusste ich auch nicht, dass es inner Schanze nen MacDoof gibt. Ich bin schon länger nicht mehr oft dort – mir ist es auf dem Galaostrich und so viel zu Vorstädterisch!
klar, du hast schon recht mit deiner analyse und es ist ja auch immer dasselbe… aber immerhin, oder? ist das nicht ähnlich wie beim antifaschismus – ein breites bündnis gegen gentrifizierung wäre doch erstmal zu begrüßen, bei letztlich unterschiedlichen politischen analysen und zielen? außerdem denke (oder hoffe) ich ja, das anti-gentrification-aktivismus wirklich ein thema sein oder werden könnte, das viele interessiert und anhand dessen man eine breitere öffentlichkeit mit linken analysen/politiken bekannt machen kann…