Hamburg: „Mit Gentrifizierern über Gentrifizierung reden“

Aus Hamburg gibt es Medienschelte für die Lokalredaktion der taz. Auf dem no-bnq-Blog heißt es in Vorabinformationen zur Informationsveranstaltung:

Die taz-hamburg bleibt dabei ihrer Linie treu: die neue urbane Bewegung sorgt in der Stadt und weit darüber hinaus für Schlagzeilen, doch LeserInnen der ehemals alternativen Tageszeitung erfahren davon nichts. “Mit Gentrifizierern über Gentrifizierung reden” – so ließe sich die Haltung der Redaktion zusammenfassen. Neulich lud man zum Gespräch ins Gentrifizierungsprojekt “Haus III&70″ und versuchte vergeblich in letzter Minute kritische Stimmen aufs Podium zu hiefen. Die hatten sich im Vorfeld vernetzt – und sagten der tendenziösen Veranstaltung ab.

Den konkreten Anlaß für diese Einschätzung lieferte ein ausführliches und fast unterwürfig geführtes Interview mit dem Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Mitte Markus Schreiber (SPD). Der durfte in dem Interview „Fast alle können dort bleiben“ seine Vorstellungen von der Entwicklung in St. Pauli ausbreiten und die guten Absichten der Investoren im so genannten Bernhardt-Nocht-Quartier loben:

taz: Herr Schreiber, derzeit entsteht in Hamburg ein Bündnis aus Künstlern und Einwohnern, das für bezahlbare Mieten und gegen soziale Vertreibungen kämpft. Seit Wochen halten Künstler das Gängeviertel besetzt. (…) Was wäre Ihre Lieblingslösung für Viertel und Künstler?

Markus Schreiber: Ich wollte das Viertel immer als altes Stück Hamburg erhalten, denn so viel gibt es davon nicht mehr. Sollten die Künstler das hinbekommen, dann muss ich neidlos anerkennen, dass sie mehr geschafft haben als wir. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir ihnen bezahlbare Ateliers zur Verfügung stellen – aber ich frage mich: Wo kann man eigentlich Kunst machen? Ist es wichtig, dass das in der Nähe St. Paulis passiert? Oder geht das in Wilhelmsburg auch? Dort bieten wir gerade Künstlerräume an – aber da will kein Schwein hin.

Warum gerade Wilhelmsburg?

Weil wir dort eine Internationale Bauausstellung vorhaben, und da soll etwas vorgezeigt werden. Wir wollen die Künstler nutzen, um eine Atmosphäre zu schaffen. Die Künstler kommen zuerst, dann wird der Stadtteil aufgewertet. Gentrifiziert. Die sind die Vorhut. (…) Wir wollen den Stadtteil verändern, ohne die Bewohner zu verdrängen. Die Menschen, die mit ihren Kindern dort wohnen, sollen über Bildung qualifiziert werden. Damit sie höhere Bildungsabschlüsse bekommen und sich dann die Wohnungen weiter leisten können, die vielleicht ein wenig teurer werden.

Auf St. Pauli hat das nicht funktioniert. Dort sind die Mieten inzwischen so hoch …

… wie in Eppendorf, ja. Sich dagegen zu wehren, dass Stadtteile aufgewertet werden, ist schwer. Und ich kann nicht sagen, dass der Bezirk daran vollkommen unschuldig ist. Wir wollen, dass St. Pauli schöner und interessanter wird. Aber wir versuchen dabei, sicher zu stellen, dass die Bevölkerung nicht ausgetauscht wird.

Aber das passiert gerade.

Städte sind lebende Organismen: Wenn sich an der einen Stelle etwas ändert, dann gibt es an einer anderen etwas Neues. Leute, die mehr Geld haben und trotzdem nach St. Pauli ziehen, machen das, weil es so bunt ist. Ein bisschen rumpelig, verrucht, dreckig, kreativ. Aber wenn sie nach ein paar Jahren nur noch Journalisten und Werbetexter treffen, ist es nicht mehr spannend. Ich treffe Leute, die als Student nach St. Georg gezogen sind, dann ihren Abschluss gemacht haben und nun sagen, das Viertel dürfe sich nicht mehr verändern – nachdem sie selbst damals die Werftarbeiter vertrieben haben. Das finde ich falsch.

Hä? Wenn ich das Argument richtig deute, sollen sich die Jungakademiker/innen nicht gegen die Aufwertung wehren, damit es in St. Pauli wieder schön bunt und rumpelig wird. Wie das gehen soll, bleibt vorerst das Geheimnis von Markus Schreiber – aber vielleicht ist es auch nur ein etwas wirrer Gedanke, der da zum Ausdruck gebracht wird. Dass scheint naheliegend, denn da er als Bezirksamtsleiter „nicht an einer Verdängung schuld sein“ will, hat er sich einen starken Partner für eine soziale Stadtentwicklung gesucht: die umstrittenen Investoren des umstrittenen Bernhard-Nocht-Quartier.

Können Sie verstehen, dass Menschen um ihren Kiez kämpfen – wie derzeit die Bewohner der Bernhard-Nocht-Straße?

Dort haben sich Investoren wie Osmani jahrelang einen Scheißdreck um die Immobilien gekümmert. Jetzt gehören sie Köhler & von Bargen, und die Bewohner fragen sich verständlicherweise, ob sie dort wohnen bleiben können. Doch das werden sie: Der Investor wird, so hat er es uns erzählt, heute verkünden, dass fast alle in ihren Wohnungen bleiben können. Ohne Mieterhöhung. Bis auf die Bewohner eines Hauses neben der „Kogge“, das abgerissen wird. Denen werden Wohnungen auf St. Pauli zu entsprechenden Mieten angeboten – es ist nicht so, dass alle nach Jenfeld ziehen müssen.

via Christoph Schäfer (danke!)

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