Am Mittwoch bin ich zu einer Podiumsdiskussion beim Center for Metropolitan Studies (CMS) der TU Berlin mit dem schönen Titel „Baugemeinschaften und Stadtpolitik“ eingeladen:
Podium u.a. mit: Mary-France Jallard Graetz (Projekt am Urban, Berlin), Winfried Hermann (MdB, Wahlkreis Tübingen), Dr. Stefan Krämer (Wüstenrot Stiftung), Dr. Gerd Kuhn (Universität Stuttgart), Thorsten Tonndorf (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung), PD Dr. Christoph Bernhardt (Moderation)
Zeit: Mittwoch, 09.12.2009, 18 Uhr
Ort: TU Berlin, Raum MA 005, Straße des 17. Juni 136
Ziel der Veranstaltung ist es:
eine (kritische) Bestandsaufnahme der wachsenden Verbreitung der Baugemeinschaften, der damit verbundenen Wirkungen in der Quartiersentwicklung und der darauf ausgerichteten Strategien der öffentlichen Verwaltung vorzunehmen.
Wir dürfen also gespannt sein.
Der Zeitpunkt der akademische Debatte um die Baugemeinschaften ist dabei keineswegs zufällig, hat sich doch schon seit einigen Monaten im Schatten der allgemeinen Diskussionen um Gentrification und Verdrängung in Berlin eine regelrechte Baugruppendebatte entwickelt. Auslöser für die Diskussion waren Proteste von Kiezinitiativen in Alt-Treptow, die sich zunächst gegen die Zerstörung mehrerer Pappeln auf einem künftigen Baugruppenbaugrundstück wandten. Doch schnell wurden deutlich, dass es nicht nur um ein paar Bäume, sondern um die ganze Palette von Stadtentwicklungsthemen ging: Auswirkungen von Neubauprojekten auf die Mietentwicklung in der Nachbarschaft, soziale Exklusion in Eigentumswohnungsprojekten, eine verfehlte (bzw. nicht vorhandene) Wohnungspolitik und die Mitwirkung linker/alternativer/akademischer Milieus an Aufwertungsentwicklungen. Insbesondere die Beteiligung von einigen aktiven und ehemaligen Mitstreiter/innen der Gruppe Fels („Für eine linke Strömung“) gab den Anstoß für eine emotionale (und nicht immer sachlich geführten) Diskussion um das Verhältnis von allgemeinen politischen Einstellungen und den konkreten stadtpolitischen Handlungen.
Hier ein kleiner Überblick verschiedener Positionspapiere:
Auch hier auf den gentrificationblog gab es bereits einige Artikel zum Baugruppenthema:
Berliner-Baugruppen-Streit: Was bisher geschah…
1. Akt: Bereits im Sommer haben „AktivistInnen von diversen radikalen Projekten gegen Gentrifizierung, Mieterhöhung und Verdrängungen in den Kiezen in Zusammenarbeit mit der Kiezinitiative ‚Karla Pappel gegen Mieterhöhung und Verdrängung Alt-Treptow“ einen Offenen Brief an die Gruppe Fels geschrieben: „Gentrifizierung hat viele Gesichter – auch das von Fels?“ (pdf)
Baugruppen werden in diesem Offenen Brief als Teil einer allgemeinen Aufwertungsdynamik eingeordnet und als mittelständische und privatisierte Krisenstrategie interpretiert:
Dieser zumeist akademische Mittelstand schafft in der Krise Lösungen – für sich selbst. Er macht seine zunehmend unsicheren Geldvermögen zu vergleichsweise sicherem Immobilieneigentum.
Insbesondere angesichts von über 500.000 Hartz-IV-Empfänger/innen in Berlin werden die „Spießerträume von privaten Eigenheimen in Ufernähe“ als Entsolidarisierung kritisiert.
2. Akt: In einer Antwort der Gruppe Fels „Immer diese Widersprüche“ (pdf) wird sich hauptsächlich an den polemischen Passagen des Offenen Briefes abgearbeitet, ohne auf die dort formulierten Fragen zur Entpolitisierung der Wohnungsversorgung durch Baugruppen einzugehen. Zentrale Argumente gegen die vorgebrachten Vorwürfe sind die Gebrauchswertsorientierung des Eigentumserwerbs in den Baugruppenhäusern (im Gegensatz zu renditeorientierten Investitionsstrategien) sowie eine angebliche Verdrängungsneutralität von Neubauprojekten:
Es hinterlässt keine steigenden Mieten, wie die Studi-WG, wenn sie wieder aus dem Viertel wegzieht, weil ein anderes in ist. Und als Neubau-Projekt verdrängt es niemanden aus seiner oder ihrer Mietwohnung, wie das manche linke Wohngemeinschaft unbeabsichtigt tut, weil sie durch die Zusammenlegung mehrerer Einkommen einen Mietpreis von 10,-/qm bezahlen kann.
Abgesehen davon, dass mit diesem Argument auch das Carloft in der Reichenberger Straße oder der Marthashof in Prenzlauer Berg von ihrer Aufwertungssymbolik entlastet werden könnten, wird mit dieser Position die grundsätzliche Differenz von Miet- und Eigentumswohnungsmärkten ausgeblendet. Natürlich gibt es auch vielfältige Aufwertungs- und Verdrängungsdynamiken im Mietwohnungsbereich. Aber Miete bleibt – trotz aller aktueller Einschränkungen – ein gesellschaftlich regulier- und verhandelbares Vertragsverhältnis mit der zumindest theoretisch bestehenden Option von kollektiven Organisierungen und Vergesellschaftungen. Gerade deshalb hat das zweite Argument der Fels-Antwort einen leicht schalen Beigeschmack:
Das Karloh-Bauprojekt ermöglicht es Mitgliedern unserer Gruppe, die Kinder haben und in einer Reihe anderer Zwänge und Verpflichtungen der kapitalistischen Gesellschaft stecken, weiter politisch aktiv zu sein. Das finden wir gut.
Das finde ich auch gut. Schade nur, dass dieser politische Aktivismus sich nur noch eingeschränkt auf den Bereich der Wohnungsversorgung/Wohnungspolitik/Stadtpolitik richten wird. Neben diesen Rechtfertigungen für eine Baugruppenentscheidung weist die Antwort von Fels (richtigerweise, wie ich finde) eine vorschnelle Kategorisierung von „da Akademiker/innen – dort Präkarisierte“ zurück:
Einige von uns sind oder kommen aus der Mittelschicht, andere nicht. Einige sind arbeitslos, viele AkademikerInnen, die meisten haben prekäre Jobs und unsichere Perspektiven. Wir verdienen im Durchschnitt wenig, sind aber in manchen Disziplinen “hoch qualifiziert”. Vielleicht können wir uns gerade deshalb nicht auf die eine oder andere Seite dieses angeblichen “Partikulareninteressen-Konfliktes” stellen. Als Gruppe sind wir beides: arm und akademische Mittelschicht – na so etwas Widersprüchliches aber auch!
3. Akt: In einer nicht minder polemisch formulierten Antwort auf die Antwort von Fels haben dann auch die „Radikalen Gentrifizierungsgegner_innen gegen Mieterhöhung und Verdrängung“ noch einmal reagiert: „Immer diese Linken“ (pdf)
Neben einigen grundsätzlichen Überlegungen zu „Neoliberalisierungstendenzen in der Linken“ und Mutmaßungen über die individuellen Motive der Baugruppenmitglieder, kritisiert der Text vor allem die entpolitisierende De-Thematisierung einer sozialen Exklusivität, wie sie in der Eigentumsbildung von Baugruppen zum Ausdruck kommt.
So geht der offene Brief, in dem sie die Baugruppe als alles in allem doch sogar ganz gutes Projekt identifizieren, kein einziges Mal auf das von uns hervorgehobene Problem der Eigentumsbildung auf: Wer bildet Eigentum, wer kann es sich leisten, zu welchem Zweck wird Eigentum gebildet und welche andere Zwecksetzungen scheiden dadurch aus und was bedeutet das vor dem Hintergrund eines linken Selbstverständnisses? Immer dies Widersprüche – würde es wohl wieder heißen. Aber diese Weglassung deutet darauf hin, dass die „präkarisierten“ Akademiker_innen individueller Absicherung durch Privateigentum gegenüber offen stehen und auch kein Problem damit haben, die Erbschaften von Mami und Papi hier exklusiv und in individuelle Architekturen privater sozialer Sicherheit einzubauen. (…) Dass über Privateigentum nicht geredet wird, hat natürlich seine Gründe: Es würde ein Unterschied zutage treten zwischen solchen „Prekären“, die es sich leisten können, privat soziale Sicherheit zu „kaufen“ und solchen, die nicht auf Privilegien zurückgreifen können. Für letztere, für arme Leute, deren Eltern auch nichts oder wenig hatten, bleibt kämpfen und Widerstand leisten eine andere Nummer als für eine Mittelschichtslinke, die sich gerne als prekarisiert inszeniert, es aber nicht ist, wenn der Prekarisierungsbegriff – „Entsicherung aller Lebensverhältnisse“ – nicht völlig seiner Bedeutung beraubt werden soll.
So richtig es mir erscheint, soziale Unterschiede und unterschiedliche Lösungsressourcen bei der Überwindung von prekären Lebenssituationen zu benennen, so wenig halte ich von einem rhetorischen Verelendungswettbewerb (ein bisschen prekär, richtig prekär, ganz doll prekär). Vielmehr sollte es darum gehen, gemeinsame Schnittpunkte für die Durchsetzung von einem besseren Leben, einer besseren Stadt, einer besseren Gesellschaft usw. zu suchen. Dass die Baugruppen bei dieser Suche in ihrer momentanen Gestalt keine große Hilfe sein werden, liegt auf der Hand. Die bestehenden Exklusionsverhältnisse durch Formen der identitären Selbstmarginalisierung zu verstärken, ist für sich genommen jedoch auch noch keine Perspektive.
Eine produktiver Umgang mit den Baugruppen könnte darin bestehen, die eigenen Ansprüche (z.B. an die Versorgung mit guten und preiswerten Wohnungen) auch und gerade Baugruppenprojekten gegenüber einzufordern. So wie Mietobergrenzen oder Soziale Wohnungsbestände von der Stadt eingefordert werden, könnte eine pragmatische Forderung an Baugruppen beispielsweise auf festgelegte Anteilen (Quoten) an preiswerten Mietwohnungen (unterhalb der Hartz-IV-Grenzwerte zur Übernahme der Wohnkosten) bestehen. In der Antwort auf die Antwort werden ja sogar ein paar praktische Vorschläge zur Vergesellschaftung von Wohnungsversorgungssystemen formuliert (die leider im Feuerwerk der individualisierenden Polemik unterzugehen drohen):
Als ob es im herrschenden Schlechten nicht andere Modelle gäbe, tatsächlich bessere. Genossenschaften etwa oder die Hausbesitz-GmbH (GmbH?! Immer diese Widersprüche!), wie sie im „Mietshäuser Syndikat“ mit seinen mittlerweile mehr als 50 Häusern verwirklicht ist.
Vielleicht sollte in genau diese Richtung weitergedacht werden.
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