Das von der Mieterberatung für die Sanierungsgebiete in Friedrichshain asum herausgegebene Magazin Friedrichshain-Magazin begleitet die Stadterneuerung in den dortigen AUfwertungsquartieren seit 15 Jahren mit einer mal mehr mal minder kritischen Berichterstattung. Direkt beauftragt vom Bezirk war es die Aufgabe, die überwiegend privatfinanzierte Stadterneuerung so sozial und konfliktarm wie möglich über die Bühne zu bringen. Die permanente Verschlechterungen der Ausgangsbedingungen für eine soziale Stadterneuerung (Kürzung der Fördermittel, Urteil gegen die Mietobergrenze) wurde intern von den Berliner Mieterberatungsgesellschaften vielfach kritisiert – ein öffentlicher Protest gegen den öffentlichen Auftraggeber jedoch blieb bisher aus. Umso erfreulicher, dass in der aktuellen Ausgabe des Friedrichshain-Magazins sehr klare Worte zu den aktuellen Verdrängungstendenzen gefunden werden: Verdrängung – kein Kampfbegriff, sondern Alltag. In dem Artikel heisst es:
Preiswerte Wohnungen werden in den Berliner Innenstadtbezirken immer mehr zur Mangelware. Wer in Friedrichshain eine bezahlbare Wohnung sucht, weiß ein Lied davon zu singen. Auf ein wirksames Gegensteuern der Politik wartet man seit Jahren vergeblich. Der Senat hat sich aus der Wohnungspolitik weitgehend zurückgezogen, dem Bezirk fehlen die Mittel und zudem macht es die Rechtsprechung der Gerichte für die Verwaltung immer schwieriger, die sich munter drehende Mietpreisspirale zu bremsen. Die Auswirkungen sind nicht mehr zu übersehen. Mehrere Studien zeigen für Friedrichshain und Kreuzberg eine fortschreitende Verdrängung finanzschwacher Bewohner.
Traurige Sanierungsbilanz für Friedrichshain: Nur 10 bis 15 Prozent Altmieter/innen
Konkret zu den Veränderungen in den Friedrichshainer Sanierungsgebieten werden Zahlen dramatischer Veränderungen präsentiert:
Wie drastisch sich die Bewohnerstruktur in nur wenigen Jahren verändert hat, zeigten mehrere Studien. In den beiden Sanierungsgebieten Traveplatz/Ostkreuz und Warschauer Straße hat ASUM die Sozialstruktur unter die Lupe genommen. Seit etwa 2003 stiegen hier die Durchschnittseinkommen stark an, was vor allem auf den Zuzug finanzkräftiger Haushalte zurückzuführen ist. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet. Nur 10 bis 15 Prozent der Bewohner lebten schon vor 15 Jahren in ihrer Wohnung. Ältere Menschen sind nur noch eine kleine Minderheit, dafür ist der Anteil von Akademikern enorm gestiegen. Das Mietniveau liegt mit rund fünf Euro nettokalt insgesamt schon über dem Berliner Mietspiegel. Bei Neuvermietungen werden Mieten verlangt, die um 40 Prozent darüber liegen. Bei solchen Preisen bleiben nicht nur die ganz Armen außen vor.
Die Gründe für diese drastischen Veränderungen werden vor allem in der weitgehend zahnlosen Sanierungspolitik des Landes Berlin vermutet:
Die allgemeinen Mietobergrenzen, die der Bezirk ab 1999 in den Sanierungsgebieten verhängt hatte, sind 2006 endgültig vom Bundesverwaltungsgericht kassiert worden. In Friedrichshain existieren deshalb nur rund 4500 Wohnungen, deren Mieten beschränkt sind, weil ihre Modernisierung mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde. Da die Förderprogramme 2001 eingestellt wurden, kommen keine gebundenen Wohnungen mehr hinzu – im Gegenteil: In einigen Jahren werden bei den ersten geförderten Häusern die Bindungen auslaufen.
Auch die Lage in Kreuzberg ist weitgehend ohne Sanierungsaktivitäten alles andere als entspannt:
„Die Mietbelastung hat dort enorm zugenommen“, erklärte Sigmar Gude von Topos bei der Vorstellung der Studien vor einem Jahr. Bei Nettokaltmieten von 5 bis 5,50 Euro müssen die Haushalte im Schnitt 31 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben. „Es wandern zunehmend einkommensstarke kinderlose Haushalte zu“, hat Gude beobachtet. Erstmals seien nicht nur im Graefekiez und an der Bergmannstraße Aufwertungstendenzen zu erkennen, sondern auch in SO 36, vor allem im Reichenberger Kiez und im Wrangelkiez.
Neues Aufbegeheren gegen Junge-Reyers „Wohnungspolitik“
Mieterberatungen wie asum aber auch Forschungsinstitute und Planungsbüros wollen nun offensichtlich gemeinsam etwas an der katastropahlen Wohnungspolitik bewegen – und kritisieren ersteinmal die zuständige Senatsverwaltung.
Ansonsten legt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Hände in den Schoß. Generalargument von Senatorin Ingeborg Junge-Reyer ist der „entspannte Wohnungsmarkt“: Es gebe in Berlin über 100 000 leer stehende Wohnungen, es könne also jeder eine passende Wohnung finden – wenn auch nicht unbedingt im Lieblingskiez zum Wunschpreis. Von den zahlreichen Untersuchungen zu rasant steigenden Mieten in der Innenstadt lässt sich die Senatorin ebenso wenig beirren wie von fachlich fundierten Zweifeln an den Leerstandszahlen des Senats. Offensichtlich befindet sich darunter eine größere Anzahl von Wohnungen, die überhaupt nicht vermietbar sind. Genauer hinzusehen hält die Senatsverwaltung jedoch für überflüssig.
Um die eigenen Psoitionen zu stärken und den eigenen Argumenten ein größeres Gehör zu verschaffen und das „Thema stärker auf die politische Tagesordnung zu bringen“, wird für die kommende Woche zu einer spannenden Veranstaltung eingeladen:
21. Januar 2010 von 17 bis 21 Uhr
Leibniz-Gymnasium, Schleiermacherstraße 23, Kreuzberg.
„Wohnen in der Innenstadt – bezahlbar oder Privileg?“
Unter diesem Titel soll am Beispiel von Friedrichshain-Kreuzberg zusammen mit Vertretern des Senats und des Bezirksamts, mit Stadtteilinitiativen und nicht zuletzt mit den Bewohnern diskutiert werden, wie es einkommensschwachen Menschen in Zukunft noch ermöglicht werden kann, in der Innenstadt zu leben. Der Bezirk klagt, dass er kaum etwas tun kann, um Mietsteigerungen im Zaum zu halten, der Senat beharrt auf dem Standpunkt, der Wohnungsmarkt sei insgesamt entspannt und jeder könne eine bezahlbare Wohnung finden, während Wohnungssuchende ganz andere Erfahrungen machen. Sind dem Bezirk und dem Senat tatsächlich die Hände gebunden? Ist der Wohnungsmarkt wirklich so entspannt? Sind die Leerstandszahlen des Senats überhaupt für wohnungspolitische Einschätzungen tauglich? Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er seinen angestammten Kiez verlassen muss? Können Baugruppen und Genossenschaften eine Alternative sein? Solche Fragen sollen diskutiert werden. „Die Veranstaltung will dazu beitragen, das Thema stärker auf die politische Tagesordnung zu bringen“, erklärt Kerima Bouali von ASUM.
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Ich habe eine zeitlang in der Rigaer Straße gewohnt. Ein schönes Beispiel für die Änderungen: 1997 gab es immer Parkplätze auf der Rigaer – eigentlich gab es nicht mal viele autos. Dann – nach und nach – gab es keine Parkplätze mehr. Ein Zeichen für den Zuzug von kapitalstarken Personen…
Wenn ich mal etwas abschweifen darf: Friedrichshain wird m.e. den selben Verlauf nehmen wie der Prenzlauer Berg zuvor.
Das Prinzip ist eigentlich oft vergleichbar, denke ich manchmal. Erst kommen die Studis und die Kreativen, ziehen dort hin wo die Miete gering ist. Dann kommen die mit mehr Geld, weil hip und dann kommt die Mieterhöhung. Oder?
Neben Friedrichshain und Prenzlauer Berg, ist Nord-Neukölln ein Beispiel. Als Nächstes wird wohl Süd-Neukölln und vermutlich auch der Westen von Lichtenberg erfasst werden.