Berlin: Biennale löst Gentrification-Debatte aus

Streetart in der Boxhagener Straße in Berlin-Friedrichshain - Foto: Henning Onken via http://www.artmagazine.cc/

Am vergangenen Wochenende startete die Berliner Biennale für zeitgenössische Kunst. Neben zwei Ausstellungsorten in Mitte (Kunst-Werke in der Auguststraße und Neue Nationalgalerie) haben sich die Kurator/innen für gleich vier Standorte in Kreuzberg entschieden. Die Verlagerung der Biennale-Aktivitäten nach Kreuzberg hat sowohl unter Künstler/innen als auch in der Nachbarschaft selbst Debatten um das Gentrification-Thema ausgelöst.

Im Rahmen einer professionellen und langfristig geplanten Kunstveranstaltung wie der Biennale ist die Ortswahl kein Zufall. In einem Bericht des österreichischen Online-Magazins Die Presse (Berlin: Gentrifizierung als Biennale-Thema) heisst es:

Bewusst führt uns die Kuratorin Kathrin Rhomberg diesmal nicht durch den ehemaligen Osten Berlins, sondern in die Hausbesetzerhochburg Kreuzberg. Zentraler Ausstellungsort ist ein 1913 erbautes Geschäftshaus. Zehn Jahre stand der Großteil leer, vorher war hier ein Café, dann ein Möbelhaus, zuletzt ein Supermarkt.

Thema der Ausstellung: „Was draußen wartet“

„Draußen“ hier in Kreuzberg heißt zunächst „Gentrifizierung“, denn genau hier beginnt gerade der Verteuerungsprozess der Immobilien. „Draußen“ heißt aber auch Widerstand und Demonstration, 1.-Mai-Krawalle und eine große türkische Gemeinschaft. All diese Elemente integriert Rhomberg in die vier Stockwerke der Ausstellung (…)

Wie die taz berichtete, verschob sich die Trennline zwischen ‚drinnen‘ (Biennale) und ‚draußen‘ (Kreuzberg) schon zu Beginn der Biennale: Draußen wartet die Wirklichkeit

Bei der Vernissage der Berlin-Biennale werden die Macherinnen durch Plakate als Gentrifiziererinnen angeprangert. Mit Foto und Handynummer. (…) Auf großen Plakaten standen auch die Kontaktdaten der Biennale-Leiterinnen, samt Fotos mit der Unterzeile: „Guten Tag, mein Name ist Gabriele Horn/Kathrin Rhomberg. Ich bin Gentrifiziererin!“ Kunst trage zur Aufwertung der Kieze und zur Verdrängung Ärmerer bei, stand auf den Plakaten, die zu Aktionen gegen die Biennale aufrufen.

Die Biennale-Macher/innen reagierten relativ gelassen und wenig überrascht auf diese Kritik:

„Wir sind bewusst nach Kreuzberg gegangen, weil dort Protest und Widerborstigkeit eine Rolle spielen“, sagt von Harling. Die Plakataktion habe man „eigentlich super“ gefunden. Die Plakate blieben hängen – mit unkenntlich gemachten Nummern.

Der auf den Plakaten angekündigte Protest blieb bisher aus. Die Diskussion um den Zusammenhang von kulturellen Aktivitäten und Stadtteilaufwertungen jedoch ist neu entfacht. Bereits im Vorfeld hatte das Kunst-Kollektiv Basso den Umzug nach Kreuzberg kritisiert und erinnerte an die aufwertungsrelevante Gründungsgeschichte der Berliner Biennale.

In Mitte, wo die Biennale ihren Ursprung hat, hat die Kunst zur Aufwertung beigetragen: Als die Kunst-Werke auf der Auguststraße 1992 ihre Ausstellung „37 Räume“ eröffnete, erschlossen sie Pionierland. Die heruntergekommene Straße wurde in der Folge schnell zum Kunststandort mit hohen Mieten und Luxussanierungen. Dass am Oranienplatz Ähnliches droht, hält Biennale-Sprecher von Harling für abwegig: „An der Oranienstraße ist dieser Prozess schon Jahre im Gange“, sagt er.

Weit weniger gelassen als die Biennale-Macher/innen reagierte jedoch die Polizei und die Hauptstadtmedien. Die taz berichtet von einer merkwürdig anmutenden Begründung für einen Polizeieinsatz:

Dass zur Eröffnung der Biennale mehrere Polizeiwannen auf dem Oranienplatz bereitstanden, war aber kein Wunsch der Veranstalter, sondern eine vorbeugende Maßnahme des zuständigen Polizeiabschnitts. „Die Plakate hatten kein gültiges Impressum, nahmen Bezug auf die Gentrifizierungsthematik. Außerdem wurde darauf klar zu Aktionen gegen die Biennale aufgerufen“, sagt ein Polizeisprecher.

Ich habe die Plakate nicht gesehen, finde aber den hier zitierten Begründungszusammenhang („Bezugnahme auf die Gentrifizierungsthematik“) zumindest beunruhigend.

Auch in verschiedenen Printmedien wurde das Thema aufgegriffen. Die Biennale-Kritik wurde dabei mit einer Besetzungsaktion im Bethanien und einer angeblichen ‚Splitterbombe‘ (die sich inzwischen als – sicher auch gefährlicher – ‚Polenböller‘ entpuppt hat)  in einen Topf geworfen und kräftig durchgeschüttelt. Harald Jähner durfte auf Grundlage einer solch differenzierten und feinsinnigen journalistischen Recherche in der Berliner Zeitung sogar eine Leitartikel veröffentlichen: Die Möchtegern-Polizei aus Kreuzberg

In Berlin attackieren Randalierer Kunsteinrichtungen. In den frühen 30er Jahren terrorisierten SA-Truppen „undeutsche“ Kinos und Kaufhäuser. Heute ist unkreuzbergerisches Schickimicki an der Reihe

Auch der in Wien erscheinende Standard (Prinzip der Zwischennutzung) greift tief in die Mottenkiste des historischen Vergleich und erkennt in den Plakaten gegen Gentrification die Fahndungsplakate der Terroristen-Hetze der 1970er Jahre wider.

Eine Diskussion über die Rolle von Kunst und Kulturschaffenden an städtischen Aufwertungsprozessen wird so abgebrochen, bevor sie überhaupt begonnen hat.

6 Gedanken zu „Berlin: Biennale löst Gentrification-Debatte aus

  1. Pingback: stadtnachrichten montag 21 juni « from town to town

  2. Pingback: Der Blick ins Freie « Bandschublade

  3. Pingback: Was draussen wartet…. Admiralbrücke Teil 2 - En passant

  4. Pingback: 6. Biennale für zeitgenössische Kunst in Berlin (1) « AISTHESIS

  5. Interessant ist die Dialektik, dass die Kuratorinnen sich offenbar geradezu gefreut haben über die Proteste. Das ist Kreuzberg, es wird seinem Ruf gerecht, es ist „spannend“, alles super, Kunst im öffentlichen Raum sozusagen. Widerstand wird so unnmöglich gemacht, alles ist Teil des Spiels.

  6. Was sollen die Kuratorinnen auch machen, wenn sie sich von der Bundesregierung sponsern lassen? Bei der PK war Kulturstaatsminister Neumann zugegen, man referierte über Kunst und Realität unter einem Gewalt verherrlichenden religiösen Gemälde. Im Grunde müssen wir uns nichts vormachen: Durch die Be-Berlin-Kampagne ist das authentische kreative, widerständige, künstlerische Potential der Stadt eingeebnet und für kapitalistische und politische Prozesse nutzbar gemacht worden, das trübt auch den Blick der Kurator/innen. Die ausgestellten Arbeiten zeigen lediglich, dass das, was von den Ausstellungsmacherinnen beabsichtigt war, fehlt, nicht mehr da ist. Und zeigt, dass die hier ausgestellte Kunst im Verhältnis zur aktuellen Realität, zum Menschen ausgrenzenden Konsumterror, zu fehlenden Überlebensmöglichkeiten, zum verschwindenden Sozialstaat mit Wattebäuschchen wirft. Die Kunst, die dem Gewaltpotential des Draußen gerecht würde, habe ich nicht gesehen. Die hätte man wohl auch gar nicht zugelassen. Man sollte sich eben keine von der Regierung gesponserte Kunstausstellungen mehr anschauen. Sondern selber was machen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert