Gentrification: Egoistische Proteste gegen die Aufwertung?

Keine Woche ohne eine neue Gentrification-Story… Auf ZeitOnline gibt es jetzt ein Interview mit mir zu lesen. Das Gespräch wurde telefonisch geführt und von mir auch ordentlich abgesegnet. Allein auf die Überschrift hatte ich keinen Einfluss: Statt differenzierter Analyse klingt es jetzt nach einseitiger Protest-Kritik: „Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal!“. Insgesamt natürlich trotzdem großartig, dass es weiterhin ein so breites Interesse an städtischen Entwicklungen und Proteste gibt!

Im Einleitungstext heißt es:

Warum wird in Deutschland so heftig über Gentrifizierung gestritten? Ein Gespräch mit dem Soziologen Andrej Holm über das Hamburger Gängeviertel, den Wandel Neuköllns und egoistischen Protest.

Das Zitat des Titels ist dabei ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Aus der der Sowohl-als-auch-Antwort im Gespräch wird dabei eine einseitige Bewegungsschelte:

ZEIT ONLINE: Werden also die eigentlichen Verlierer dieser Aufwertung – sozial Schwache und Migranten – von diesen Pionieren der Gentrifizierung instrumentalisiert?

Holm: Mit Sicherheit gibt es bei den Protesten häufig die Haltung: Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal! In Berlin zeigt das die Debatte um „Mediaspree“: Viele der Clubs haben sich dem Protest angeschlossen, mittlerweile auch das Tacheles, das selbst von der Räumung bedroht ist. Es gibt aber auch andere Initiativen, etwa das Hamburger Bündnis Recht auf Stadt. Dort haben Künstler das Gängeviertel besetzt und sehr deutlich gesagt: Es geht uns nicht nur um uns, unsere Galerie- und Arbeitsräume, wir wollen tatsächlich eine andere Stadtpolitik und bemühen uns, auch mit anderen sozialen Gruppen in Kontakt zu kommen.

Das gesamt Interview gibt es auf ZeitOnline und auch gleich hier:

„Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal!“

Warum wird in Deutschland so heftig über Gentrifizierung gestritten? Ein Gespräch mit dem Soziologen Andrej Holm über das Hamburger Gängeviertel, den Wandel Neuköllns und egoistischen Protest.


ZEIT ONLINE: Herr Holm, in den letzten Jahren hat der Begriff Gentrification eine erstaunliche Karriere hingelegt. Von einer wissenschaftlichen Wendung ist er zu einem geflügelten Wort geworden, ohne den kaum eine Diskussion über Stadtpolitik auskommt. Wie würden Sie Gentrifizierung denn definieren?

Holm: Es gibt eine Standarddefinition, die sagt: Gentrification, das sind alle Stadtveränderungsprozesse, die mit Verdrängung und Austausch der Bevölkerung einhergehen. Das wäre die allerschmalste Definition. Es gibt aber auch weiter gefasste Definitionen, die sich auf die Lebensstile der neuen Bewohnerinnen und Bewohner und die Veränderung des Nachbarschaftscharakters beziehen. Oder solche, die den Schwerpunkt eher auf den immobilienwirtschaftlichen Aspekt legen. Zum Beispiel wenn es um Investitionen geht, die einen Austausch der Bevölkerung entweder voraussetzen oder bewirken.

ZEIT ONLINE: Die bittere Pointe der Gentrifizierung scheint, dass der Begriff vor allem von denjenigen ins Feld geführt wird, die selbst für die Anfänge der Gentrifizierung verantwortlich sind.

Holm: Das wird in der wissenschaftlichen Diskussion als Pionierdilemma beschrieben. Künstler, Studierende und Kreative, also Menschen mit hohem sozialem und kulturellem Kapital, aber geringen ökonomischen Ressourcen, sind die Pioniere der Aufwertung. Das ist die ganz klassische Vorstellung, wie Gentrification abläuft: Erst ziehen junge Kreative in ein Viertel und bewerkstelligen mit ihrer Anwesenheit, ihrer Infrastruktur und ihren Aktivitäten einen Imagewandel. Die Immobilienwirtschaft greift das dann auf.

ZEIT ONLINE: Werden Künstler und Studenten so ungewollt zu Komplizen der Miethaie?

Holm: Viele Fallstudien zeigen, dass das nur eine Form von Aufwertung ist. Oft geben politisch motivierte Programme – etwa Denkmalschutz oder Programme zur Belebung der inneren Städte – letztendlich die Impulse zur Aufwertung von Stadtvierteln. Es muss nicht immer erst ein Galerienviertel entstehen, damit Gentrifizierung eintritt. Tatsächlich stimmt aber die Beobachtung, dass diese Pioniere eher zu den artikulationsstarken Gruppen in der Stadt gehören, was wiederum eine Folge von deren sozialem und kulturellem Kapital, Netzwerken und Bildungsstand ist. Diese Gruppen wissen sich eben auch gekonnt öffentlich in Szene zu setzen.

ZEIT ONLINE: Werden also die eigentlichen Verlierer dieser Aufwertung – sozial Schwache und Migranten – von diesen Pionieren der Gentrifizierung instrumentalisiert?

Holm: Mit Sicherheit gibt es bei den Protesten häufig die Haltung: Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal! In Berlin zeigt das die Debatte um „Mediaspree“: Viele der Clubs haben sich dem Protest angeschlossen, mittlerweile auch das Tacheles, das selbst von der Räumung bedroht ist. Es gibt aber auch andere Initiativen, etwa das Hamburger Bündnis Recht auf Stadt. Dort haben Künstler das Gängeviertel besetzt und sehr deutlich gesagt: Es geht uns nicht nur um uns, unsere Galerie- und Arbeitsräume, wir wollen tatsächlich eine andere Stadtpolitik und bemühen uns, auch mit anderen sozialen Gruppen in Kontakt zu kommen.

ZEIT ONLINE: Gerade der Hamburger Fall ist interessant: Da haben sich die Künstler sehr gut mit den Konservativen und den Gebäudeschützern vertragen. Andererseits besteht die Gefahr, dass das Gängeviertel eine Art „Künstlerzoo“ wird, den sich die Stadt Hamburg leistet. Dort kann man dann, wie auf dem Montmartre in Paris, Kunst anschauen, Kaffee trinken, Postkarten und Kunsthandwerk kaufen und hinterher wieder zum Shoppen in die schöne Innenstadt gehen.

Holm: Das Geheimnis des Hamburger Erfolges lag schon in der Schnittmenge zur Stadtpolitik. Das Gängeviertel steht eben nicht im Widerspruch zur Hamburger Stadtpolitik, sondern lässt sich als kulturelles Highlight und kleines Montmatre wunderbar integrieren. Das war bei der Gängeviertel-Besetzung auch ein Faktor, der dazu geführt hat, dass relativ schnell eine politische Lösung herbeigeführt wurde. Es ist ein einmaliger Vorgang in den letzten zehn Jahren in Deutschland, dass ein Kauf rückabgewickelt wurde, dass die Stadt Geld ausgibt, sich einer illegalen Aktion wie dieser Besetzung beugt und einen Kompromiss aushandelt.

ZEIT ONLINE: Die Stadtplaner in Hamburg haben offenbar verstanden, dass ein bisschen Schmutz von Touristen, Besuchern und vom Shoppingpublikum durchaus goutiert wird.

Holm: Das Gängeviertel passt wunderbar in das Bild, das Hamburg nach außen darstellen will. Deswegen waren die Künstler letztlich erfolgreich. Andere umstrittene städtebauliche Projekte wie die Rote Flora oder die Frage, wie viel Sozialwohnungen errichtet werden, die werden auf dieser Welle der Sympathie natürlich nicht mitgetragen.

ZEIT ONLINE: Warum finden diese Auseinandersetzungen vor allem in Hamburg und Berlin statt?

Holm: In den wirtschaftsstarken Regionen, in Frankfurt, München und Köln, aber auch in Düsseldorf und Stuttgart, wurden diese Veränderungen schon viel früher vollzogen. Haidhausen und Schwabing in München oder die Kölner Südstadt waren in Deutschland die ersten Fallstudien zur Gentrification, die es überhaupt gab. Der Prozess, der jetzt in Hamburg und Berlin diskutiert wird, ist dort schon seit den Achtzigern abgeschlossen. Außerdem wird über Gentrification vor allem dann gesprochen, wenn die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Zustand sehr groß ist. Vor vier Jahren wurde der Norden Neuköllns noch als das Ghetto Deutschlands beschrieben. Heute ist das eine sehr attraktive Wohnlage.

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