Das seit dem Sommer von überwiegend Künstler/innen besetzte Gängeviertel hat in Hamburg und darüber hinaus eine lebhafte Debatte um die Folgen einer unternehmerischen Stadtpolitik ausgelöst. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe „In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben“ werden Fragen der aktuellen Stadtpolitik in Hamburg diskutiert. Die Auftaktveranstaltung am 17.11.2009 stand unter dem Titel „Recht auf StadtGehört die Stadt nicht eigentlich uns alle?“.
Hier für alle, die es mögen, hier eine schriftliche Fassung meines kleinen Inputs zu Beginn der Diskussion:
Gängeviertel: Erfolgreicher Protest oder Rettung der Marke Hamburg?
von Andrej Holm (Input auf der Veranstaltung: Gängeviertel Diskussionsreihe:
„Wie sieht die Stadt aus, in der wir leben wollen?“ am 17.11.2009 in Hamburg)
Die Frage, wie die Städte aussehen sollen, in denen wir leben wollen, ist nicht als universales Leitbild oder Wunschvorstellung eines Einzelnen zu beantworten. Andere Stadtentwicklungen können nur Ergebnisse von sozialen Prozessen sein, in denen viele verschiedene Ansprüche an das Städtische formuliert, eingebracht, ausgehandelt und durchgesetzt werden. Weil Stadt nicht einfach ‚ist‘, sondern ‚gemacht‘ wird, hat beispielsweise Henri Lefebvre solche Prozesse als Aneignungen des Städtischen bezeichnet.
Klarer als eine Utopie von der Stadt in der wir leben wollen sind aber die Voraussetzungen, die solchen sozialen Prozessen der (Wieder)Aneignung des Städtischen entgegen stehen: Aktuelle Stadtentwicklungspolitiken werden oft als Trend zur „Unternehmerischen Stadt“ beschrieben. Kritische Geographen wie David Harvey oder der Politikwissenschaftler wie Bob Jessop haben drei Ebenen von solch unternehmerischen Stadtpolitiken herausgearbeitet:
Die Konkurrenz von Städten zu anderen Städten in Form von Standortwettbewerben um Investitionen, steuerzahlende Einwohner/innen, Tourismusströme und Großereignisse. Städte konkurrieren dabei wie Unternehmen um bestimmte Marktanteile. Als ein zweiter Aspekt der unternehmerischen Orientierung wird die Verbetriebswirtschaftlichung der eigenen Verwaltungsarbeit beschreiben. Unternehmerische Haushaltsführung, Neubewertung städtischer Eigenbetriebe und Wohnungsbestände, und Auslagerung unrentabler Bereiche (z.B. Jugendkulturarbeit, Integrationspolitik etc.) stehen für die unternehmerische Organisation der Städte nach innen. Als ein drittes Merkmal unternehmerischer Stadtpolitik wir ein unternehmerisches Handeln angeführt, dass als eine wagemutige Risikopolitik im Schumpeterschen Sinne beschreiben werden kann. Dabei wird schöpferische Kreativität der Unternehmer (als „Kapitäne“ der kapitalistischen Ökonomie) als Gegensatz zu der konservativen Trägheit der Eigentümer aufgefasst und als dynamischen Entwicklungsmotor beschrieben. Übertragen auf die Stadtpolitik werden als Beispiele solcher unternehmerischer Strategien etwa Public-Private-Partnership-Experimente benannt. Ein geflügeltes Wort unter Stadtplaner/innen und politischen Entscheidungsträgern in diesem Zusammenhang ist häufig der „Tiger, den es zu reiten gilt“. So als könne es gelingen, ganz mühelos und ohne wesentlichen eigenen Mitteleinsatz die Kraft privatwirtschaftlicher Investitionen bändigen.
Der flotte Ritt auf dem Tiger ist leider eine Illusion und wer es versucht, wird sich schnell auf dem Boden der Tatsachen wiederfinden. Oft bleiben die Städte ohne Gegenleistungen auf den unrentierlichen Kosten sitzen und müssen auf die sozialen Sickereffekte eines Aufschwungs hoffen. Dieses Festhalten an Wachstumsorientierungen – wir müssen die Wirtschaft stärken, damit es wieder bergauf geht – hat es ja in Hamburg mit den Schlagworten „Wachsende Stadt“ und „Unternehmen Stadt“ sogar bis zu den Leitbegriffen der Selbstvermarktung gebracht.
Bezogen auf die Stadtentwicklung können wir in unternehmerischen Städten von Immobilien-Verwertungs-Koalitionen sprechen, die weite Teile von Investorengruppen, der Bauwirtschaft, der finanzierenden Banken und einen Großteil der politischen Klasse umfassen. Beispiele wie die Hafen-City, die Pläne für die Neugestaltung im Bernhardt-Nocht-Quartier oder auch die innerstädtischen Ansiedlungspläne von IKEA in Altona stehen für eine solche Immobilien-Verwertungs-Koalition in Hamburg.
Sehr traditionell gesprochen orientieren sich die Aktivitäten solcher Koalitionen an den Tauschwerten des Städtischen – während die Gebrauchswerte insbesondere für die Bewohner/innen regelmäßig auf der Strecke bleiben oder nur noch als Nebenprodukte der Verwertung zu Geltung kommen.
So weit so schlecht. Die aktuellen Entwicklungen um das Gängeviertel scheinen diesen Verwertungsorientierungen entgegenzustehen. Der voraussichtliche Rückkauf der Gebäude, die mögliche Übertragung von Räumen und Grundstücken an die Künstler/innen klingt so gar nicht nach Unternehmen Stadt. Hat hier der Protest ein Stückchen Stadt zurückerobert, sich also das Recht auf Stadt, oder wenigstens ein Stückchen davon erkämpft?
Ja und Nein. Ohne die hartnäckige und medial gut inszenierte Besetzung und ohne das fulminante Manifest „Not in our Name“ und auch nicht ohne die vielen anderen Initiativen gegen Aufwertung und Verdrängung, die sich in Hamburg herausgebildet haben, wäre es ganz sicher nicht zur einer Planänderung im Gängeviertel gekommen.
Stutzig machen sollte allenfalls die scheinbar unumstrittene Kursänderung. Hat die Hamburger Immobilien-Verwertungs-Koalition plötzlich ihr Herz für die Gebrauchswerte der Stadt entdeckt? Ganz sicher nicht. Investor Hanzevast ist vielmehr eine Art Bauernopfer für die Rettung des Unternehmens Hamburg: denn die massiven stadtpolitische Proteste sind geschäftsschädigend für das Investitionsklima. Gerade internationale Investoren werden es sich künftig überlegen, ob sie in Hamburg investieren, wenn immer gleich Künstler/innen ihre Objekte besetzen und Bürgerinitiativen anfangen Unterschriften zu sammeln oder Baustellen blockieren. Die künstlerfreundliche Lösung im Gängeviertel soll aber nicht nur das Investitionsklima retten, sondern wird gleich mit in das Marketing für die Marke Hamburg übernommen. Creative-City-Papst Richard Florida hat sogar vorgeschlagen, das Gängeviertel zum globalen Modell der Förderung einer kreativen Klasse zu erheben. So ein bisschen Weltruhm für das Einknicken vor einer stadtpolitischen Opposition ist ja keine schlechte Zwischenbilanz.
Für die sich gerade entwickelnden stadtpolitischen Bündnissen – wie etwa dem Recht-auf-Stadt-Netzwerk – stellen sich mit der Konzessionsentscheidung im Gängeviertel aus meiner Perspektiven vor allem zwei Fragen:
Wie kann eine Spaltung stadtpolitischer Protestakteure verhindert werden. Denn längst nicht alle im Raum stehenden Forderungen der verschiedenen Aktionsgruppen werden ja erfüllt.
Eine zweite Frage ist direkt mit der Vereinnahmungsrhetorik von Richard Florida verbunden: Welche Formen von Protest sind denn überhaupt noch möglich, wenn selbst eine wochenlange Besetzungsaktion in die unternehmerischen Marketingstrategien der Stadtpolitik eingebunden werden können? Wie kann und muss also eine wirksame Opposition gegen eine unternehmerische Stadtpolitik aussehen?
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