Berlin: „Brennende Autos“ und „Terror gegen Nachbarn“

‚Brennende Autos‘ haben sich in der lokalpolitischen Auseinandersetzung Berlins zum Mantra der pauschalen Kritik an Anti-Gentrification-Protesten entwickelt. Die nicht einmal von der Polizei verfolgte Kurzformel „Gentrification = Reiche = mehr teure Fahrzeuge = Protest gegen Aufwertung = Intoleranz = brennende Autos“ geistert seit Monaten in verschiedenen Variationen durch den Berliner Blätterwald. Die Berliner Justiz reagierte mit einem – in anderen Bereichen unbekannten – Ermittlungseifer und verhängte mehrfach monatelange Untersuchungshaft gegen Männer und Frauen, die sich vor allem dadurch verdächtig gemacht hatten, sich in ’szentypischer Kleidung‘ (Schwarze Klamotten, Kapuzenjacke) in der ‚Nähe der Tatorte‘ (Friedrichshain) aufgehalten zu haben (alle Inhaftierten mussten mittlerweile freigelassen werden). Im Vorfeld der Räumung eines besetzten Hauses in der Brunnenstraße 183 in Berlin-Mitte wurde via Bild sogar zur „Räumung der linken Terrornester“ aufgerufen.

Im Schatten der ‚brennenden Autos‘ – über 200 Brandstiftungen soll es im vergangenen Jahr gegeben haben – hat es inzwischen auch der „Terror gegen Baustellen“ in die Schlagzeilen geschafft. Polizeilichen Statistiken zu Folge soll es 2009  etwa 70 politisch motivierte Anschläge auf Baustellen und Baufahrzeuge gegeben haben. Auch hier scheinen die Schuldigen schnell gefunden: „Terror gegen Nachbarn: Neubaupropjekte im Visier von Linksextremen (video)“ (rbb-Klartext).:

Wer wünscht sich das nicht: Bezahlbares Wohneigentum in der Innenstadt? Immer mehr Familien machen diesen Traum wahr und schließen sich zu so genannten Baugruppen zusammen. (…) Für Linksautonome alles nur Yuppies. (…) Vor allem Baugruppen sind im Visier der Kritiker neben kommerziellen Investoren.

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Valencia: Opern-Guerilla stört reibungslosen Markthandel

Ein hübsches Beispiel für die proaktive Transformation städtischer Räume kursiert gerade durch verschiedene Mailinglisten. Auf youtube gibt es ein Video in dem Opernsänger/innen die große Markthalle von Valencia für einige Minuten aus der sterilen Verkaufsatmosphäre reißen und in einen lebendigen Ort verwandeln. Von der Aktionsform irgendwo zwischen Flashmob und Kommunikationsguerilla angesiedelt, zeigen die Sänger/innen, dass große Hallen nicht nur für den Verkauf von Waren genutzt werden können. Ob wir es angesichts der gesungenen Arien schon mit einer Rückverwandlung kommerzieller Flächen in einen öffentlichen Raum zu tun haben, würde ich bezweifeln. Doch die Taktik der Aneignung von Raum und seiner zumindest kurzzeitige Transformation in einen Ort der Kollektivität der Gemeinsamkeit finde ich sehr anregend… Aber seht selbst:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=Ds8ryWd5aFw]

Leider habe ich fast keine Informationen über den Entstehungskontext des Videos und die möglichen Intentionen der Opernsänger/innen. Über mehr und ausführlichere Hintergrundberichte würde ich mich sehr freuen.

Berlin: Jobrotation in der Immobilien-Verwertungs-Koalition

Schon an anderer Stelle hier auf dem Blog hatte ich unter dem Begriff der Immobilien-Verwertungs-Koalition auf die gemeinsamen Aufwertungsinteressen von Teilen der politischen Klasse und der Immobilienwirtschaft hingewiesen. Dass solche Koalitionen nicht nur von gemeinsam getragenen Zielen, Überzeugungen und Wertschätzungen getragen werden, sondern auch von personellen Verquickungen, zeigen zwei aktuelle Beispiel in Berlin.

Während sich die SPD offiziell gerade versucht als Mieterpartei zu profilieren, bewiesen die bisherige Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Manuela Damianakis und der Abgeordnete Ralf Hillenberg wie eng die sozialdemokratische Wohnungspolitik personell mit der Berliner Immobilienwirtschaft verbunden ist. In der taz ist sogar wieder das hässliche Wort vom Berliner Bausumpf zu lesen…

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Paris: Paläste für Alle?

In der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung gibt es einen Artikel zu eine   HausPalastbesetzung der wohnungspolitischen Aktionsgruppe ‚Jeudi Noir“ (Schwarzer Donnerstag) in Paris: Vive la chance (von Stefan Ulrich, Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2010, Seite 3). Seit drei Monaten hält eine Gruppe von 32 jungen Leuten ein seit über 40 Jahren leer stehendes Palais am Place des Vosges in der Pariser Innenstadt besetzt.

Heute gehört der Platz wieder zu den teuersten Adressen im ohnehin nicht billigen Paris. 20 000 Euro soll der Quadratmeter kosten. Dubouchet könnte sich glücklich preisen in seinem Palais Nummer 1 b, in dessen Dachgeschoss er sein Atelier eingerichtet hat. Die Sache hat nur einen Haken: Dubouchet ist nicht Schlossbesitzer – sondern Schlossbesetzer.

Auch in den Stuttgarter Nachrichten gab es eine Bericht über die Besetzung des 400 Jahre alten Gebäudes: Studenten besetzen Luxus-Palais. Der dort beschriebene Besuch der 87-jährigen Besitzerin Béatrice Cottin kurz vor Weinachten brachten den Besetzer/innen jedoch kein Glück. Entmündigt und unter Vormundschaft gestellt, nuzte die Sympathie der alten Dame wenig. Nach einem vom Vormund erwirkten Gerichtsbeschluss droht nun die Zwangsräumung.

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Wien: Dezentralisierung der Aufwertung

Im Wiener Journal gibt es einen spannenden Beitrag über den kleinen Boom von Trendquartieren in der österreichischen Hauptstadt: Griss um die Trendviertel.   „Griss“ bedeutet dabei so viel wie Andrang:

Der Traum von jungen Wienern in urbanen Bildern: Frühstücken vor der Haustür am Naschmarkt, gegen Sonnenuntergang Abendessen auf der eigenen Dachterrasse mit Blick über Wien. Keine Frage, in Wien gibt es mit Naschmarkt, Karmelitermarkt, Yppenplatz und Spittelberg gefragte Stadtviertel.

Die Beschreibung der Wiener Pionierzonen städtischer Aufwertung klingt wie solche Entwicklungen in hunderten internationalen Studien beschrieben werden:

Diese Pioniere setzen Kulturinitiativen, gründen Lokale oder übernehmen Geschäfte. Nach einiger Zeit werde dieser Stadtteil dann entdeckt, „wodurch die Immobilienpreise steigen und die ‚Pioniere‘ letztlich verdrängt werden“.

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Berlin: Clubkultur und Gentrification

Am Samstag fand im Hebbel am Ufer (HAU 2) die Veranstaltungsreihe LIFE IS LIVE statt. Im ersten Panel diskutierten verschiedene Musiker, Konzert- und Tourneeveranstalter/innen und eine Musikkuratorin über die Auswirkungen der Tonträgerkrise auf die Eventbranche der Musikindustrie. Richtig Geld verdient werden kann – so in etwa der Tenor – eigentlich nur noch mit Life-Events. Die bestehende Vielfalt von Konzertagenturen und Veranstaltern gerät dabei zunehmend unter den Monopolisierungsdruck internationaler Player der Branche wie Life Nation.  Eine höhere Frequenz an Auftritten und die verstärkte Orientierung am Spektakel sind ebenso Folgen dieser Entwicklung wie die Etablierung von Life-Events durch größere Konzerne (wie z.B. der Telekom) die mit solchen Ereignissen ihr Zielgruppen-Portfolio erweitern wollen. Vieles habe sich verändert, aber die neuen Entwicklungen bieten auch neue Chancen – so die Argumentation auf dem Podium. Worin diese neuen Chancen bestehen, habe ich aber nicht verstanden.

Im zweiten Panel ging es dann um die räumlichen Auswirkungen der Clubkultur: unter dem Motto „Das Event,  die Stadt und das Eigentum“ diskutierten hier Gerrit Schultz (Betreiber vom WMF-Club), Tobias Rapp (Kulturjournalist, Spiegel), Ted Gaier (Musiker, Goldene Zitronen) und Björn Böhning (Politiker, SPD). Christoph Gurk (Musikkurator HAU) und Jens Balzer (Kulturjournalist, Berliner Zeitung) moderierten die Debatte und ich durfte die Rolle des Wissenschaftlers spielen…

UPDATE: hier ein kleiner Artikel zur Diskussion in der taz: Die Kleinen und die Bösen:

Dem (der Gentrification) möchte der Stadtsoziologe Andrej Holm durch Strategien der Dislokation begegnen, in dem man boomenden Vierteln bewusst aus dem Weg geht, oder durch De-Attraktivierung von beliebten Orten. So viel wurde bei „Life is live“ klar: Die Stadt der Zukunft muss sich ihre Lebbarkeit aufs Neue erkämpfen, Popmusik wird dabei eine zentrale Rolle spielen.

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Berlin: Stadtpolitischer Veranstaltungsmarathon im Januar

Das Jahr fängt ja gut an! Wohnungspolitik und Diskussionen über Gentrification und Verdrängung stehen weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung vieler Veranstaltungen. Allein in den nächsten Tagen gibt es mindestens fünf spannende Diskussionen, die für die neue Relevanz der Stadtpolitik in Berlin stehen:

  • Das Event, die Stadt und das Eigentum. Wie das Live-Geschäft urbane Räume verändert?: Samstag, 16.01.2010 | 20:00 Uhr | HAU 2 (Hallesches Ufer 32 / 10963 Berlin): Podiumsdiskussion mit Björn Böhning (SPD-Parteivorstand, Berlin), Ted Gaier (Musiker, Die Goldenen Zitronen, und Mitinitiator des Manifests „Not in our name“, Hamburg), Andrej Holm (Stadtsoziologe, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main), Tobias Rapp (Journalist, „Der Spiegel“, Hamburg), Gerrit Schultz (Clubbetreiber WMF, Berlin). Moderation: Jens Balzer und Christoph Gurk.   Weiterlesen

Berlin: Keine Kittelschürzen mehr in Prenzlauer Berg

Gentrification und Verdrängung sind in aller Munde und die Ostberliner Aufwertungsquartiere in Prenzlauer Berg müssen immer wieder als Kronzeugen dieser Entwicklungen herhalten. Die Fakten sind dabei meist schnell zusammengetragen: steigende Mietpreise, weitgehender Austausch der Bevölkerung und kaum noch Arme und Alte in den Straßen… Doch wie sich solche Veränderungen anfühlen und sich in den Alltagsbeziehungen der Nachbarschaft niederschlagen, wird oft nur in oberflächlichen Schlagworten eines „Bionade-Biedermeier“ oder der „Schwaben in Prenzlauer Berg“  zusammengefasst.

Annett Gröschner, seit 1983 in Prenzlauer Berg wohnend, schaut genauer hin und schafft es immer wieder wie kaum eine andere, mit kleine Alltagsbeobachtungen die gravierenden Veränderungen auf den Punkt zu bringen. In der Zeitschrift Literaturen hat sie einen bissigen Kommentar zur Verwandlung ihres Stadtteils in einen „einheitlichen pastellfarbenen Brei von Langeweile“ geschrieben: „Leute, die ihre Hunde Stalin nannten„. Nur Zehlendorf sei noch langweiliger als der ehemalige Szenekiez in Ostberlin. Weiterlesen

Berlin: Verdrängungsalltag in Friedrichshain

Das von der Mieterberatung für die Sanierungsgebiete in Friedrichshain asum herausgegebene Magazin Friedrichshain-Magazin begleitet die Stadterneuerung in den dortigen AUfwertungsquartieren seit 15 Jahren mit einer mal mehr mal minder kritischen  Berichterstattung. Direkt beauftragt vom Bezirk war es die Aufgabe, die überwiegend privatfinanzierte Stadterneuerung so sozial und konfliktarm wie möglich über die Bühne zu bringen. Die permanente Verschlechterungen der Ausgangsbedingungen für eine soziale Stadterneuerung (Kürzung der Fördermittel, Urteil gegen die Mietobergrenze) wurde intern von den Berliner Mieterberatungsgesellschaften vielfach kritisiert – ein öffentlicher Protest gegen den öffentlichen Auftraggeber jedoch blieb bisher aus. Umso erfreulicher, dass in der aktuellen Ausgabe des Friedrichshain-Magazins sehr klare Worte zu den aktuellen Verdrängungstendenzen gefunden werden: Verdrängung – kein Kampfbegriff, sondern Alltag. In dem Artikel heisst es:

Preiswerte Wohnungen werden in den Berliner Innenstadtbezirken immer mehr zur Mangelware. Wer in Friedrichshain eine bezahlbare Wohnung sucht, weiß ein Lied davon zu singen. Auf ein wirksames Gegensteuern der Politik wartet man seit Jahren vergeblich. Der Senat hat sich aus der Wohnungspolitik weitgehend zurückgezogen, dem Bezirk fehlen die Mittel und zudem macht es die Rechtsprechung der Gerichte für die Verwaltung immer schwieriger, die sich munter drehende Mietpreisspirale zu bremsen. Die Auswirkungen sind nicht mehr zu übersehen. Mehrere Studien zeigen für Friedrichshain und Kreuzberg eine fortschreitende Verdrängung finanzschwacher Bewohner.

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Berlin: „Latte-Laptop-Prekariat“ gegen Luxuswohnprojekt

Farbeier am Verkaufspavillon des Luxuswohnprojekts Marthashof (Juni 2009, Foto: Björn Kietzmann)

Über das Luxuswohnprojekt Marthashof in Berlin Prenzlauer Berg wurde (auch hier)  schon viel geschrieben und geschimpft, denn es steht für den aktuellen Zyklus einer Supergentrification in den Ostberliner Aufwertungsgebieten. Der Begriff der Supergentrification wird nicht etwa benutzt, weil es endlich mal um eine städtische Aufwertung geht, die wir ’super‘ finden können, sondern steht für Aufwertungsprozesse in bereits gentrifizierten Gegenden.

Der kleine Boom an Luxuswohnanlagen in den ehemaligen Sanierungsgebieten von Mitte und Prenzlauer Berg gilt zurecht als Berliner Beispiel für solche erweiterten Aufwertungsphasen. Neben den exklusiven Preisen der Apartments und der baulichen Verdichtung der unmittelbaren Nachbarschaft wurde insbesondere der sozial exklusive Charakter des Projektes immer wieder kritisiert. Die Anwohnerinitiative Marthashof (AIM) mobilisiert seit fast zwei Jahr gegen das Projekt.  Auf The European ist ein schöner und ausführlicher Text zu lesen. Der Titel greift die kunstaffine Selbstvermarktung von Sofanel Investment in schönem Zynismus auf:  „Marthashof, die antisoziale Plastik„.

Ebenfalls auf The European ist eine sehr hübsche Reportage des Wirtschaftsjournalisten Guido Walter veröffentlicht, der sich als Kaufinteressent vom „Sales Consultant“ des Projektes umgarnen ließ: „Ich möchte Teil einer Gated Community sein.

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