Dämonisierung des Anti-Gentrification-Protestes

In der Süddeutsche Zeitung erschien mal wieder ein längerer Beitrag zur Gentirifzierung unserer Städte. Jan Füchtjohann durfte unter dem Titel „Das Gespenst der Gentrifizierung“ seine ganz  eigene Sicht auf die Anti-Gentrification-Proteste der letzten Monate zum Besten geben.

Aufhänger seines Artikels sind die Aktivitäten von Not in Our Name in Hamburg und die Proteste gegen das MediaSpree-Investoren-Projekt in Berlin. Beide Kampagnen hätten dazu geführt, dass die Aufwertung von Stadtteilen überall diskutiert wird.

Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall sei auch die letzte Altbauwohnung der Stadt saniert – jetzt kämen nicht mehr nur Studenten, Musiker und Künstler, sondern auch ein ’saturierteres BWLer-Milieu‘, es stiegen die Mieten und die berühmte, einzigartige Clubkultur Berlins sei ‚auf dem absteigenden Ast‘.

So weit, so bekannt. Eine vulgäre Stadtsoziologie wie diese ist mittlerweile zum Verlegenheits-Diskurs unter vielen 25- bis 45-Jährigen geworden – wenn es nichts mehr zu sagen gibt, redet man eben über Berlin.

Noch mehr als diese Verlegenheits-Diskurse haben es dem promovierten Unternehmensberater Füchtjohann aber die Stellungnahmen von Künstler/innen angetan, die sich gegen eine Vereinnahmung in unternehmerische Stadtentwicklungskonzepte positionierten. In Hamburg hätten…

die Mächte des deutschen Indie-Pop zur Hetzjagd auf die Gentrifizierung geblasen haben. (…) ‚Wir‘, so hieß es in einem im vergangenen Jahr von Hamburg aus in die Welt geschleuderten Manifest, ‚die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die kleine-geile-Läden-Betreiber und ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer‘ möchten nicht länger dazu benutzt werden, tote Stadtteile wiederzubeleben und Investoren und kaufkräftigere Bewohner anzulocken.

Weiterlesen

Berlin: Innenansichten der Gentrification

Auf Foxxis-Blog habe ich einen lesenswerten Beitrag eines Wohunngseigentümers in Prenzlauer Berg gefunden. Foxxibaer beschreibt darin seine Rolle als Gentrifier wider Willen: Talkin‘ bout my Gentrification.

Es gibt wenig Blogs bei deren Lektüre ich mich so unbehaglich fühle wie beim Gentrification Blog von Andrej Holm. Das liegt natürlich zunächst einmal am Thema selber und seinem unmittelbaren Niederschlag in meiner örtlichen Umgebung, was aber wirklich schmerzt ist das permanente Fremdschämen, den schließlich bin ich ein Teil dieser Fehlentwicklung…

Foxxibaer beschreibt sehr anschaulich die symbolische Verwandlung von Prenzlauer Berg in eine beliebte Wohnadresse für westdeutsche Studierende Anfang der 1990er Jahre.

Als ich 1990 zum Studium nach Berlin kam wohnte ich, wie die meisten meiner Kommilitonen aus Wetsdeutschland irgendwo in Westberlin. Tempelhof, Lankwitz, Steglitz, Friedenau etc. … Die ersten Wochen war unser bevorzugtes Revier Kreuzberg, schließlich kannten wir uns da aus und nach kürzester Zeit lernten wir Menschen kenne, die schon längere Zeit dort wohnten und dementsprechend den Niedergang Kreuzbergs bejammerten …folgerichtig verlagerten wir, nun um die Kreuzberger Freunde verstärkt, unsere außeruniversitären Aktivitäten immer mehr Richtung Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain…

Weiterlesen

Berlin: Gentrification im Radio (heute)

Ab 12.10 Uhr bei rbb Kulturradio:

Zerstören Besserverdienende unsere Städte?

Studiogast: Andrej Holm, Stadtsoziologe

Gentrifizierung heißt das Wort, und es meint: Studenten, alte Leute, Migranten ziehen weg aus unsanierten Stadtvierteln, dann wird saniert und gut verdienende Akademiker-Ehepaare kommen, die sich die entstehenden Eigentumswohnungen leisten können. Wer Geld hat, darf bleiben, und wer keins hat, muss aufs Land oder in die Vorstadt. So zu beobachten im Prenzlauer Berg, in Kreuzberger Graefekiez, oder auch in Berlin Mitte. Ist dieser Prozess unumgänglich? Muß Aufwertung eines Viertels immer einhergehen mit der Verdrängung alter Bewohner? Für den kommenden Samstag rufen Bürgerinitiativen auf zu einer Demonstration, die gegen die Stadtpolitik protestieren soll.
Diskutieren Sie mit uns unter der Tel.-Nr.: 030/30 20 00 40 !!!

„Recht auf Stadt“ – Mehr als ein guter Slogan?

Im Rahmen der Utopia Now Konferenz in Erfurt war ich Ende Mai diesen Jahres zu einem Workshop mit dem schönen Titel: „right to the city“ eingeladen. Meinen Inputbeitrag gibt es für alle, die die Konferenz verpasst haben, jetzt nachzulesen.

Im Erfurter hEFt für Literatur, Stadt und Alltag gibt es eine kleine Nachlese der Konferenz (hEFt, Juli 2010, pdf). Mein Beitrag ist hübsch layoutet auf den Seiten 32/33 zu finden, kann aber auch gleich hier gelesen werden…

Weiterlesen

Berlin: Luxuswohnprojekt mit „sozialer Verantwortung“ (KolleBelle II)

Erst kürzlich habe ich hier über die Neubauplanungen im Bereich Metzer/Belforter/Straßburger Straße (Nähe Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg) geschrieben: Nach der Sanierung ist vor dem Neubauboom. In einem gut recherchierten Artikel in der Berliner Zeitung präsentiert Stefan Strauß nun noch ein paar spannende Details des Bauvorhabens: Die Angst der alten Mieter vor dem Investor.

Der Artikel beschreibt die große Verunsicherung der Bewohner/innen in den 110 Wohnungen der 60er Jahre Siedlung.

Die Bewohner wissen, dass sie in diesem sehr begehrten Wohnviertel immer noch sehr geringe Mieten zahlen. Eine Zweieinhalbzimmerwohnung mit 56 Quadratmetern kostet etwa 300 Euro kalt. Es sind die letzten bezahlbaren Wohnungen im Kollwitzplatzgebiet, sagt Michail Nelken (Linke), Stadtrat für Stadtentwicklung.

Viele der Mieter/innen leben schon lange in ihren Wohnungen, einige sind über 70 Jahre alt und fürchten den geplanten Eingriff in ihr Wohnumfeld oder sogar eine Verdrängung durch die Immobilienfirma Econ Cept. Die will…

die Freiflächen an der Straßburger Straße mit einem Wohnhaus bebauen, geschlossene Blockrandbebauung nennen das Fachleute. Eine Tiefgarage mit 120 Plätzen ist geplant, Dachgeschosswohnungen sollen auf den bestehenden Häusern entstehen.

Etwa 20 der 110 Wohnungen sollen abgerissen werden, Bewohner/innen werden zum Auszug Abfindungen angeboten. Econ Cept Geschaftsführer Rainer Bahr – einst Gründungsmitglied der Grünen – nennt es eine „ansprechende städtebauliche Lösung“.

Weiterlesen

Marxismus: Ein kurzer Lehrgang

Die altehrwürdige Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (RSA) ist im 21. Jahrhundert angekommen und bietet kurzweilige und mit lustigen Animationen versehene Vorträge im Internet an.

David Harveys Vortrag zum Wesen und Verlauf der aktuellen Krise bietet einen kompakten Einblick in die Argumentationsweise marxistischer Analysen. Warum solch ein thematisch ausladener Vortrag hier auf dem Gentrifcationblog Beachtung findet, ist ab Minute 7:00 zu sehen. Der Kapitalismus – so Harveys Argument – hat für seine Krisen immer geographische Lösungen gesucht: Verlagerung von Produktionsstätten, Eroberung neuer Märkte oder eben auch die Investitionen in den zweiten Kapitalkreislauf.  Stadtentwicklung wird so zur Ableitung der jeweiligen Produktionsmodi und Regulationsweisen und als ’spatial fix‘ zur Krisenlösung der Überakkumulation…

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=qOP2V_np2c0]

Passend zur sehenswerten Animation sonst eher abschreckend wirkender Poliotökonomie der Beweis, dass Marxismus eigentlich Pop ist.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=wyqJ9wxZ9L0]

RSA/Harvey gefunden bei annalist
I Read Some Marx via Tobias (danke!)

Berlin: Nach der Sanierung ist vor dem Neubauboom

KolleBelle II in der Belforter Straße geplant?

Alle Skeptiker der Berliner Sanierungspolitik dürfen sich bestätigt fühlen. Führte schon die Stadterneuerung der letzten Jahre zu erheblichen Aufwertungs- und Verdrängungseffekten, so wurden mit der Aufhebung der Sanierungssatzungen nun auch verstärkt Neubauprojekten Tür und Tor geöffnet. Allein im April diesen Jahres wurden Anträge für 130 Neubauwohnungen in den ehemaligen Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg gestellt (Dringlichkeitsantrag der Grünen,  BVV Pankow). Luxuswohnprojekte wie der Marthashof oder das Palais Kolle Belle zeigen dabei, wohin die Reise geht.

Um lästige Sanierungsgenehmigungen zu umgehen, konzentrierten sich die Neubauaktivitäten bisher außerhalb der Sanierungsgebiete oder setzten eine vorfristige Entlassung aus den Sanierungssatzungen voraus (durch die vorfristige Zahlung der Ausgleichsbeträge).

Ein Neubauprojekt wird vom KolleBelle-Investor Econ-Cept auf den benachbarten Grundstücken zwischen Belforter-, Metzer- und Straßburger Straße geplant. Informationen von Mieter/innen zufolge soll entlang der Straßburger Straße der Blockrand mit einem siebenstöckigem Wohnhaus geschlossen werden. Dazu sollen jeweils die ersten Aufgänge von zwei Wohnscheiben (Siedlungsbau aus den 1960er Jahren) abgerissen werden. Mehrere alte Bäume müssen dem Bau einer Tiefgarage weichen. Im Flugblatt der Mieterinitiative werden die mit dem Projekt verbundenen Befürchtungen formuliert:

Zudem sehen die Mieter der Häuser die Gefahr, dass durch die Bauarbeiten eine so große Beschädigungen entstehen,dass die Häuser dann komplett abgerissen werden müssen und die zum Teil seit mehr als 50 Jahren hier wohnenden Mieter zum Auszug gezwungen werden. Das Bauprojekt ist für einen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren geplant. Das heißt: Schmutz, Staub, Baulärm, durch Baustelleneinrichtung blockierte Parkplätze und genervte Nachbarn für 2-3Jahre.

Weiterlesen

Berlin: Kunst gegen Gentrification?

Die Rolle von Pionieren im Aufwertungsprozessen und die Funktionen von Kunst als Türöffner der Gentrification haben einen festen Platz in den akademischen und auch stadtpolitischen Debatten. In verkürzter Rezeption von Phasenmodellen des Gentrification-Verlaufs wird dabei vielfach von einer Unvermeidlichkeit, ja fast schon Zwangsläufigkeit der immobilienwirtschaftlichen Inwertsetzung kultureller Aktivitäten ausgegangen. „Erst kommen die Künstler und dann die Investoren…“

Eine bewusste Mitgestaltung von Stadtteilaufwertungen und Branding-Strategien von Immobilienbesitzer/innen wird jedoch von viele Kulturproduzent/innen abgelehnt. Das eigentliche Problem sei vielmehr die ungewollten Vereinnahmung künstlerischer Aktivitäten für Aufwertungsstrategien. Ein Ausweg aus dieser Zwickmühle könnte (neben einer aktiven Beteiligung an Nachbarschaftsprotesten gegen die Aufwertung) in einer selbstreflexiven Thematisierung der künstlerischer Aufwertungsfunktionen in der eigenen Arbeit liegen.

Michalis Pichler hat genau das versucht und eine Leuchtreklame mit dem Titel „Gentrification Lubricants“ gebastelt. Lubricants bedeutet soviel wie Schmierstoff oder Gleitmittel. An den richtigen Orten installiert kann so mit künstlerischen Mitteln auf die Aufwertungsrelevanz konkreter Veranstaltungadressen oder Events  hingewiesen und zumindest die eine oder andere Diskussion ausgelöst werden.

Gentrification-Lubricants-Installation

Weiterlesen

Berlin Prenzlauer Berg: „Zeit zu gehen“

Erst am Wochenende habe ich über das Ende des Knaack-Clubs und die Reprivatisierung des Hirschhofs gebloggt. In der Montagsausgabe der Berliner Zeitung wird der Abschied der Musik- und Partyszene aus dem Aufwertungsgebiet Prenzlauer Berg sogar mit einem Aufmacher auf der Seite Drei gewürdigt: „Mach`s gut, Prenzl Berg. Immer mehr Clubs flüchten aus dem früheren Szenebezirk„.

Die Partyszene ist auf der Flucht aus Prenzlauer Berg, und meistens sind Klagen wegen Ruhestörung dafür die Ursache. (…) „Zeit zu gehen“, hieß es knapp, als der Magnet von der Greifswalder Straße wegzog. Die Interessen von Vermieter und Club-Betreiber ließen sich in diesem bürgerlichen Viertel nicht länger vereinbaren.

Der Magnetklub ist bereits  nach Kreuzberg umgezogen, der Knaack-Club wird ihm wohl noch dieses Jahr folgen.

Mittlerweile kämpft hier nahezu jeder Club, dessen Sound den Geräuschpegel einer Eisdiele überschreitet, mit Klagen der Nachbarn, auch solche Institutionen der Gegend wie Duncker, Wohnzimmer, Kulturbrauerei oder Zum Schmutzigen Hobby. Fast immer geht es um Lärmbelästigung.

Weiterlesen

Dresden: Sanfte Verdrängung in der Neustadt?

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT gibt es einen längeren Beitrag zu den Aufwertungsdynamiken in Dresden Neustadt: „Sanfte Umwälzungen„. Im Artikel wird ein widersprüchliches Bild der Entwicklungen gezeichnet.

Auf der einen Seite die typischen Beschreibungen eines Gentrification-Prozesses (Erneuerung, Verdrängung und Wandel des Nachbarschaftscharakters): Die Protagonistin der Erzählung – eine 71 jährige Dame, die ihr Leben lang in der Neustadt wohnte – musste gerade wegen einer Mieterhöhung ausziehen. Eine Gewerbetreibende beklagt sich über die Verdoppelung der Ladenmiete. Bioläden, Cafes mit Kinderecken und Spielplätze haben die ehemalige ‚Bronx von Dresden‘ in ein Familieneldorado verwandelt. Der Sanierungsstand der einst zum Abriss vorgesehen Altbauten liegt bei über 90 Prozent.

Auf anderen Seite präsentiert der Artikel die angesichts der aufgegriffenen Beispiele überraschende Einschätzung eines sanften Umbruchs:

(Die Dresdner Neustadt) werde »sanft« gentrifiziert, sagt Jan Glatter von der TU Dresden, ein Geograf, der den Wandel des Viertels seit Jahren wissenschaftlich untersucht.

Weiterlesen