Gentrification ist Geschmackssache

Die Gentrificationforschung hat es nicht leicht. Lieb gewonnene Klischees von Aufwertungsprozessen müssen hinterfragt werden. Längst sind es nicht nur Singles, Yuppies und DINKS (Double Income No Kids), die einen Gentrificationsprozess tragen, sondern auch Familien und Alleinerziehende mit Kindern, die in den aufgewerteten Nachbarschaften bessere Chancen sehen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Hier müssen insbesondere die traditionellen statistischen Kriterien für ‚Pioniere‘ und ‚Gentrifier‘ einer Revision unterzogen werden.

Doch auch die Indikatoren für die kulturellen Wandlungsprozesse in den Nachbarschaften müssen ständig erneuert werden. Galt in den 1980er in den Studien von Jörg Blasius der Verzicht auf klassische Gardinen noch als sicheres Zeichen für den Pionierstatus der Bewohner/innen, wären vergleichbare Zuordnungen heute nur noch schwerlich zu treffen. Bezogen auf die nachbarschaftlichen Infra- und Gewerbestrukturen galten lange Zeit Sushi-Bars, Starbucks, vegetarische Restaurants oder Ökoläden als beliebte Indikatoren für die Aufwertung. Doch mit der Überführung ehemals distinktionsfähiger Konsumangebote in einen urbanen Mainstream ist die notwendige Trennschärfe der Indizes verloren gegangen.

Frage an alle: was könnte ein zeitgemäßer Ersatz für den Sushi/Starbucks/Öko-Index zur Verortung von Gentrificationprozesse sein?

Weiterlesen

Paris: Krise als Aufwertungsmotor

In der Frankfurter Rundschau von heute gibt es einen ausführlichen Beitrag zur Stadtentwicklung in der französischen Hauptstadt: Paris: Die geteilte Stadt. Werner Girgert stellt in seinem Artikel die zunehmenden Exklusionstendenzen in den Kontext der global city formation von Paris. Der wirtschaftliche Erfolg und erwirtschaftete Reichtum auf der einen Seite trieb den Pariser Immobilienmarkt zu immer neuen Höhen. Angesichts der Krise können sich selbst Besserverdienende die Wohnungen in der Innenstadt nicht mehr leisten und weichen auf die bisher preiswerten Wohnquartiere im Osten der Stadt aus. Paris bietet damit eine anschauliches Beispiel für die Funktionsweisen von Aufwertungsketten, bei denen die Verdrängten aus den hyper-gentrifizierten Zonen der Stadt zu den Gentrifieren in anderen Wohngebieten werden.

Weiterlesen

HH: Quartiersmanagement für mehr Aufwertung in St. Georg

In der Welt gibt es einen kleinen Beitrag zu den aktuellen Stadtentwicklungsdynamiken in St. Georg: Das Schmuddelviertel verändert sein Gesicht. Aus dem „einstmals schmierigen Bahnhofsviertel“ sei inzwischen ein „schicker Stadtteil an der Alster“ geworden und Mieten von 11 Euro den Quadratmeter keine Seltenheit. Auch die Gewerbemieten steigen:

Die Außengastronomie in der Langen Reihe hat die Messlatte hoch gelegt: Hier können Immobilienbesitzer inzwischen 50 Euro und mehr pro Quadratmeter Ladenfläche verlangen.

Traditionsgeschäfte hingegen mussten schließen. Kein Wunder also, dass die Meinungen zu den Veränderungen geteilt ausfallen:

Die jetzt in Angriff genommene Aufhübschung des Hansaplatzes ist nur das aktuellste Beispiel für eine Veränderung, die viele Bewohner begrüßen, viele aber auch als Verdrängung von Alteingesessenen kritisieren.

Einige Stimmen aus St. Georg kommen in der Welt zu Wort: Weiterlesen

Berlin: Pionierdilemma an der Spree

stop_gentrification_berlin_megaspree_2009Die MegaSpree-Demonstration der Clubbetreiber/innen, Strandbars,  Kunst- und Kulturschaffenden und Freiraumbewohner/innen wollte nichts Geringeres als gegen Gegen Privatisierung und Betonierung, für eine kulturell vielfältige, freie und soziale Stadt auf die Straße zu gehen. Unter dem Arbeitstitel MediaSpree soll auf den teilweise brachliegenden Uferflächen der Spree in den Innenstadtbezirken Friedrichshain und Kreuzberg eine neues Geschäfts- und Wohnviertel entstehen, dass sich in erster Linie an Nutzer aus den Bereichen der neuen Medien, Musikindustrie und des Veranstaltungsentertainment richtet. Die überwiegend von privaten Investoren geplante Bebauung hat bereits in der Vergangenheit für Proteste gesorgt. So wurden nach einem Bürgerbegehren 2008 die Bauplanungen zunächst auf Eis gelegt,  um verschiedene Forderungen von Bürgerinitiativen stärker in den Planungen zu berücksichtigen.

Weiterlesen

Programmhinweis: Kinderwahn in Prenzlauer Berg

Auf SWR2 ist für morgen zwischen 19:20 und 20:00 ein Feature zur Bevölkerungsveränderung in Prenzlauer Berg angekündigt: Kinderwahn in Prenzlauer Berg. Im Ankündigungstext heisst es:

Im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg haben die Babys die Herrschaft übernommen. Das Berliner Künstlerduo Serotonin klärt nicht nur über die neue schöne Kinderwelt auf, sondern verrät, was zu tun ist, um in die Prenzlbergszene zu passen.

Update: Kinderwahn in Prenzlauer Berg (Audio-Mitschnitt zum hören)

Weiterlesen

Boston: „Making our neighborhood a better place“

Jetzt neu: Antigentrification Pocket Jammer

Jetzt neu: Antigentrification Pocket Jammer

Einen hübschen Artikeln zu kleinen Alltagsgemeinheiten im Anti-Gentrification-Kampf gibt es auf dem Blog von Con Chapman zu lesen: Boston Artists Fight Gentrification, One SUV at a Time. Das relativ zentral gelegene Bostoner Leather District durchläuft gerade eine Phase der Revitalisierung, die Touristen ebenso wie die besserverdienden Suburbaniten in die Stadt lockt. Insbesondere die dort seit vielen Jahren ansässigen Künstler/innen befürchten ob dieser Attraktivität steigende Mieten und Wohnkosten.

“A bunch of fat suburbanites driving up rents and crowding creative people out of the little cafes and bistros that we’ve supported since, like forever.”

Künstler/innen und andere Bewohner/innen haben sich zu einer Aktionsgruppe zusammengeschlossen um dieser Entwicklung Einhalt zu gewähren und spielen allabendlich “guerilla tour guides”. Hinter dem Konzept verbirgt sich der simple Ansatz, durch falsche Wegbeschreibungen ungebeten Gäste aus dem Gebiet zu bannen. Insbesondere die großkalibrigen Vorstadtwagen (SUV) werden besonders gern zurück in die Vororte geschickt. Einziges Ausstattungsutensil: einen kleiner Störsender (pocket gps jammer), um die Routenplaner der Fahrzeuge kurzzeitig außer Gefecht zu setzen. Und so sieht “guerilla tour guides” in Aktion aus: Weiterlesen

Berlin: Lohnende Brandstiftung?

rigaer_graffiti3-1Rigaer Straße 84, Rückblende April 2007:,

Am 28.04.2007 ist bei einem Brand in der Rigaer Straße 84 der Lebensraum von 48 Menschen und Platz für internationale Gäste, Voküs, Kino, politische Arbeit, Konzerte und Kneipe zerstört worden. Wir, die BewohnerInnen, haben über Stunden hilflos mit ansehen müssen, wie der gesamte Dachstuhl und Teile des Frauenstockes in der 4.Etage dem Feuer zum Opfer gefallen sind.

Gut zwei Jahre nach dem BrandstiftungDachstuhlbrand im damals noch bewohnten, ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 84 wird nun das ausgebaute Dachgeschoss vermietet: „Einzigartig mit 4 (VIER) Dachterassen – Für den luxeriösen Anspruch!

Update: Nach Hinweise vom Scheckkartenpunk, ist die Brandursache wohl nicht so eindeutig, wie von dem Polizeisprecher im verlinkten ND-Artikel angegeben. KLar ist nur, es brannte wenige Woche nachdem die Besetzergruppe ein eigenes Kaufinteresse anmeldeten um die geplante Modernisierung zu verhindern. Im Verlauf der Sanierungsarbeiten löste sich die Gruppe auf und einzelne Bewohner/innen nahmen Entschädigungszahlungen für den Auszug an. Was bleibt: der Dachstuhlbrand legte die Voraussetzung für die unkomplizierte Durchführung der späteren Modernisierungsaktivitäten. Weiterlesen

Berlin: Alle gegen Alle?

Die Diskussion um die Berliner Stadtpolitik nimmt immer skurrilere Züge an. Die CDU und der rbb sprechen vom „Roten Terror“ (Video), Volker Ratzmann sieht „Kieztaliban“ am Werk und die jungle world macht es nicht unter den „Roten Khmer“. Aufhänger sind fast immer die Brandanschläge auf Autos, gemeint sind vielfach jedoch die notwendigen Diskussionen um die Miet- und Verdrängungsdynamiken in den Berliner Innenstadtbezirken (siehe Interview mit Aktivist/innen der „wir-bleiben-alle“-Kampagne)

Wurde vor ein paar Wochen noch über steigende Mieten, Verdrängungseffekte und Hartz-IV-freie Zonen geschrieben, hat sich zumindest die öffentliche Debatte deutlich in einen vorgeblichen Sicherheitsdikurs verlagert. Den Artikeln der letzten Woche folgend, bietet Berlin ein Bild zwischen Belfast und Beirut: umkämpfte Räume und unübersichtliche Akteurskulissen: Linke gegen Reiche, Alteingesessene gegen Jungfamilien, Ossis gegen Schwabe und die FDP gegen Hartz IV. Wenn das so weitergeht, wird Ulfkotte bald seinen nächsten Bestseller schreiben müssen…

Nun hat der Tagesspiegel auch noch einen Brand auf der Baustelle der Baugruppe „Börse“ in Prenzlauer Berg in den Kontext von Stadtteilprotesten gestellt („Wachschutz für Ökohaus“) und die Debatte um die Baugruppen neu entfacht. Die taz hat darin auch gleich einen neuen Konflikt entdeckt: Linke gegen Linke und schreibt über „Die verdrängte Debatte„:

Ruhender Pol und Stimme der Vernunft in all dem Chaos: die Diakonie! Die hält sich nicht mit Scheinkonflikten auf sondern fordert sinnvollerweise für Berlin flexible und ortsteilspezifische Richtwerte für Hartz-IV-Wohnungen: „Ich will so wohnen, wie ich will“

Weiterlesen

Mietwohnen weiterhin hoch im Kurs

Bei SpiegelOnline gibt es einen informativen Beitrag zur der im internationalen Vergleich geringen Eigentumsquote in Deutschland. Ein Volk von Mietern.

Etwa 42 Prozent, so das Statistische Bundesamt, beträgt die Eigentümerquote hierzulande. In Spanien und Italien liegt der Anteil der vom Eigentümer genutzten Wohnimmobilien am Gesamtbestand bei rund 80 Prozent. Irland und Großbritannien rangieren in ähnlichen Größenordnungen. Der Durchschnitt aller EU-Länder lag zuletzt bei mehr als 60 Prozent.

Als Gründe werden historische Entwertungen des Eigtentums (Arisierungen jüdischen Hausbesitzes und Kriegszerstörungen), die hohe Qualität der Mietwohnungen sowie die jahrelange Förderung des Mietwohnungsbaus benannt. Insbesondere die Eigentümerlobby beklagt sich über die künstlich niedrig gehaltenen Mietpreise. Denn bei höheren Mietpreisen – so die Hoffnung – wären mehr Haushalte zum Eigentumserwerb gezwungen. Weiterlesen

Berlin: „Niemand hat das Recht, in einer bestimmten Straße zu wohnen“

Die taz berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe von den Vermarktungsschwierigkeiten des umstrittenen Luxuswohnprojektes CarLoft in Kreuzberg: Carlofts werden ausgebremst. Bisher konnten nur zwei der 11 Lofts vermietet werden – vom Traum eines Direktverkaufs hatten sich die Investoren bereits vor etlichen Monaten verabschiedet.

Ursprünglich sollten die vor ein paar Monaten fertiggestellten Wohnungen als Eigentum in der Preislage von 500.000 bis 1.500.000 Euro verkauft werden. Die Firma CarLoft® GmbH, die zwei Architekten gehört, hat sich die Idee der „Carlofts“ sogar in 39 Ländern patentieren lassen.

Die Pressesprecherin des Vermarktungsbüros Corinna Kaspar sieht die Gründe für die schleppende Vermietung eher in der Finanzkrise als in der öffentlichen Kritik am Luxuswohnprojekt:

Kaspar nennt allerdings andere Gründe für die Vermarktungsschwierigkeiten. „Die internationale Finanzkrise ist bei Projektentwicklern und Bauträgern, aber auch bei CarLoft-Käufern eher präsent als Aktionen linksradikaler Gruppierungen, denen wir übrigens stets den direkten Dialog angeboten haben.“

Weiterlesen