Berlin: Zweifelhafter Weltruf

Jetzt ist es amtlich: Berlin hat doch einen internationalen Ruf. Dies jedenfalls schreibt Nils Michaelis in der taz nach eine Punkkonzert mit Jello Biafra: Punk-Präsident mit Haltung:

Das sollte Klaus Wowereit aufhorchen lassen. „Das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Berlin denke, ist Gentrifizierung.“ Der Mann, der diese Worte am Freitagabend im SO 36 sprach, ist ein Experte für klare Ansagen: Punkidol Jello Biafra war nach langer Zeit wieder in Kreuzberg zu Gast, diesmal mit seiner neuen Band The Guantanamo School of Medicine.

Die Äußerungen des Sängers und Politaktivisten dürften bei den Veranstaltern auf offene Ohren gestoßen sein, sehen sie sich doch gravierenden Verschiebungen in dem Kiez ausgesetzt, den Biafra Anfang der 80er-Jahre mit den legendären Dead Kennedys kennen gelernt hatte. Wenigstens hatte das Benefiz-Konzert der Toten Hosen zwei Tage zuvor die Kasse für die von Anwohnern geforderte Lärmschutzwand aufgebessert.

Zweierlei Krisenfolgen

Auf den Webseiten vom Mieterforum Ruhr gibt es einen sehr informativen Beitrag von Knut Unger zu den Auswirkungen der Finanzkrise auf die privatisierten Wohnungsbestände: „Absturz der Wohnungs-Heuschrecken“

Insbesondere institutionelle Anleger und Finanzinvestoren hatten in den vergangenen Jahren hunderttausende kommunale und landeseigene Wohnungen erworben. Im Zuge der Finanzkrise gibt es nun die ersten Pleiten (Level One, 24.000 Wohnungen), Insolvenzen (Babcock & Brown, 45.000 Wohnungen) und Liquiditätsengpässen (Vivacon, 50.000 Wohnungen). Aber  eben auch weitere Verkäufe und Umwandlungen in Eigentumswohnungen.

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Hamburg St. Pauli: „Ich will so bleiben wie ich bin“

Für diesen Sonnabend ist in Hamburg eine große „NoBNQ Bezirksversammlung“ mit Austellungseröffnung, Stadtrundgängen und Konzerten angekündigt:

St. Pauli nimmt sich das Recht auf Stadt:
Gegen Gentrifizierung, Mieterhöhung & Investorenarchitektur.
Sonnabend, 5. September 2009 | ab 14 Uhr

Hintergrund sind die Proteste von Anwohner/innen und Initiativen, die sich gegen die Bau- und Sanierungspläne der Investoren Köhler & von Bargen wenden, die mit einem umfassenden  Aufwertungsplan die Straßenzügen rund um die Bernhard Nocht Straße in ein neues Quartier verwandeln wollen. Im Hamburger Abendblatt (Anwohner kämpfen gegen Bernhard Nocht Quartier) wird der Konflikt wie folgt beschrieben:

Die Altbauten in der Bernhard-Nocht-Straße und der Erichstraße sollen teilweise saniert und modernisiert, in mindestens einem Fall sogar abgerissen werden. Seit dem Bekanntwerden herrscht Unruhe auf St. Pauli. Die Bewohner fürchten, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden.

Die anfängliche Werbung für das geplante „Berndhard-Nocht-Quartier (BNQ)“ ist – offensichtlich in Reaktion auf die Proteste der letzten Wochen – etwas handzahmer geworden. Das Projekt firmiert nun unter dem Arbeitstitel „Bernhard-Nocht-Terassen“ – Hinweisen auf den Verzicht auf Lusxusmodernisierungen und Abrisse sind auf der Webseite der Projektentwickler jedoch nicht zu finden…

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Berlin: Weltstadt der Bruchbuden?

Der Streit um die Berliner Leerstandszahlen geht in eine neue Runde. Bereits zur Veröffentlichung des aktuellen Mietspiegels hatten Mieterorganisationen die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hochgehaltenen 100.000 leerstehenden Wohnungen bezweifelt. Jetzt legte der Berliner Mieterverein die Ergebnisse einer eigenen Befragung vor und schätzt die Anzahl der nichtvermietbaren Wohnungen auf 50.000. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, wird an unzähligen Beispielen die Vielfalt von Leerstandsgründen benannt. Der Tenor der Untersuchung: Nur etwa die Hälfte der Leerstandswohnungen steht leer, weil sich keine Mieter/innen finden. Häufige Ursachen für den Leerstand sind Unbewohnbarkeit durch Mängel am baulichen Zustand, zu hohe Mieten aber auch die Spekulation auf eine erfolgreiche Umwandlung in Eigentumswohnungen.

Hintergrund des Leerstandszahlenstreites ist die Bewertung der Berliner Wohnungsmarktsituation. Abhängig vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage kann festgestellt werden, ob es einen örtlichen Wohnungsmangel gibt. Wichtig ist dies vor allem für den Geltungsbereich des §5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zur Begrenzung der Neuvermietungsmieten (siehe ausführlicher hier im Blog: Mieterhöhung durch Leerstand)

Artikel dazu gab es in fast allen Berliner Tageszeitungen:

Berliner Zeitung: Mieterverein fordert Preisbindung

Bemerkenswert neben den Berichten jedoch ist vor allem ein Kommentar von Martin Klesmann in  der Berliner Zeitung: Einstürzende Altbauten. Der Beitrag liest sich ein wenig wie eine schlecht imitierte Presseerklärung aus dem Hause Junge-Reyer: Wir haben keine Wohnungsnot und überhaupt sein Forderungen nach Mietobergrenzen einfach nicht „metropolentauglich“… Weiterlesen

Aufruf: Die Krise findet Stadt

Das bundesweite Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise“ kündigt für den 17. September einen dezentralen Aktionstag an. Bisher sind in 15 Städten Protestaktivitäten geplant. In Berlin wird es neben anderen sozialpolitischen Interventionen auch eine Kundgebung vor der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geben:

Do., 17. September, 13 Uhr
Senatsverwaltung | Fehrbelliner Platz
Stadtpolitische Aktion: “Die Krise findet Stadt – Wir übernehmen den Laden”

Im Aufruf werden unter anderem die Abdankung der Stadtentwicklungssenatorin und ein Rettungspaket für eine soziale und selbstverwaltete Stadtentwicklung gefordert.

Stadtaktivist/innen und Initiativen sind eingeladen, sich mit kurzen Redebeiträgen in die Kundgebung einzubringen. Am 15.09. wird es noch ein letztes Vorbereitungstreffen geben, um die Beiträge abzustimmen (20 Uhr im Bethanien, Mariannenplatz 2)

via Mail von:
AG Stadt/ Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise“

Dokumentation des Aufrufs:

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Berlin: Prenzlauer Berg war weder einfach noch nett

„Es sei einfach nett hier, meint eine werdende Mutter. In Berlin-Prenzlauer Berg hätten eben alle denselben Lebensplan. Eine Pfarrerin hat immer mehr zu tun…“

„Deshalb nicht nur zur Erinnerung: Prenzlauer Berg war weder einfach noch nett, und schon gar nicht beides zusammen. Prenzlauer Berg war, als wir das Wort Existenzminimum noch nicht kannten, das Lebensmaximum.“

Als Filmankündigung für die ARD-Doku „Unter deutschen Dächern“ über den Wandel in Berlin Prenzlauer Berg geschrieben erschien heute im Feuilleton der jungen welt der schönste Beitrag  auf den ich seit langem zu Prenzlauer Berg gelesen habe. Robert Mießner nimmt uns in seinem Beitrag „Keiner war Elite“ mit auf eine kleine Zeitreise in die Nachwendezeit und macht deutlich, dass Künstlerszenen, Trinker und Austeiger ihre eigene Welt gestalteten, aber den späteren Aufwertungen nichts entgegenzusetzen hatten:

Und wenn wir den Stand oder die Lage der Dinge erörtern, stellen wir oft fest: Wir hätten eine der Verwaltungs- und nicht Geisteswissenschaften studieren, in strategischer Voraussicht Läden eröffnen und Häuser kaufen sollen. Bloß, daß uns keine Bank Kredit gegeben hätte. Selbst über den Dispo mußten wir verhandeln. Uns, die wir Lautstärke so sehr liebten, fehlte zu allem Unglück eine große Fresse.

Das Unverständnis gegenüber den neuen Verhältnissen und den Lebensstilen der neuen Bewohner/innen wird in dem Beitrag schön herausgearbeitet und zeigt, dass Phänomene der kulturellen Disonanz durch Quartiersveränderungen nicht nur bei älteren Langzeitbewohner/innen anzutreffen sind. Robert Mießner spricht für eine Anfang der 1990er Jahre zugezogenen subkulturelle Ostszene, die in doppelter Weise von ihren damaligen Alltagswelten entfremdet wurden: neben der aufwertungsbedingten Zerschlagung ihrer ökonomischen Existentgrundlagen erlebte diese Generation eine zumindest kulturelle Kolonialisierung durch die westdeutsche Zuzüge, die inzwischen die Deutungsmacht und Lifstyle-Hegemonie in den Quartieren übernommen haben.

Weil der Beitrag wirklich sehr schön ist, hier in voller Länge:

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Filmtip: Unter deutschen Dächern (ARD)

Heute,  spät am Abend, gibt es bei der ARD eine vielversprechende Dokumentation über den Wandel in Berlin Prenzlauer Berg zu sehen:

Mittwoch, 26. August 2009, 23.30 Uhr im Ersten: „Unter deutschen Dächern„. Die Dokumentation von Kristian Kähler verspricht einen kritischen Blick auf die Veränderungen. In der Ankündigung heisst es:

Wie kein anderes Viertel in Deutschland wurde der Prenzlauer Berg in den vergangenen 20 Jahren umgekrempelt. Aus dem ehemaligen Arbeiterviertel im Berliner Osten ist ein boomender Kiez geworden.  Nach der Wende wurde der Prenzlauer Berg zu Europas größtem Sanierungsgebiet: verfallene Altbauten wurden mit massiven Steuergeldern in wenigen Jahren in schick renovierte Fassaden verwandelt. Nirgendwo verlief der Aufbau Ost schneller und drastischer.

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Prag: Unangepasst gegen Verdrängung

Aufruf zur Aktionswoche der Unangepassten in Prag

Aufruf zur "Aktionswoche der Unangepassten" in Prag

In der aktuellen Ausgabe der Straßenzeitung „Novy Prostor“ (Neuer Raum), die in vielen tschechischen Städten von Obdachlosen verkauft wird, geht es unter anderem um Aufwertungstendenzen und Verdrängung: als internationales Beispiel wird Berlin verhandelt. Tomas Havlin hat einen Artikel geschrieben, den ich leider nur in der tschechischen Version gelesen habe (und deshalb nicht genau verstanden habe, was eigentlich drinsteht). Dazu gibt es ein Interview mit mir: „Berlín míří k Paříži“ (dt. Fassung: „Berlin auf dem Weg nach Paris„).  Das ist ein etwas überspitztes Zitat aus dem Interview:

Vor allem in den Ostberliner Innenstadtgebieten entwickeln sich Inseln des Luxuswohnens. Schon jetzt finden Hartz-IV-Haushalten (Hartz IV ist das deutsche Modell von sozialen Transferleistungen) keine Wohnungen mehr. In Westberliner Innenstadtbezirken und auch in den Großsiedlungen am Stadtrand hingegen konzentrieren sich die ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Noch gibt es in Berlin keine Pariser Verhältnisse (reiche Innenstadt/ausgegrenzte Banlieues), aber ohne politische Eingriffe und eine Rückkehr zu einer sozialen Stadtpolitik geht die Entwicklung in genau diese Richtung.

Soweit ich Tomas Havlin richtig verstanden habe, wurde der Schwerpunkt der Ausgabe nicht ohne Grund gewählt, denn auch in Prag gibt es deutliche Aufwertungstendenzen und eine zunehmende Verdrängung von ‚unangepassten Gruppen‘ aus der Innenstadt. Bei Gelegenheit hoffentlich demnächst auch hier im Blog mal einen ausführlichen Bericht zur Situation in Prag.

Für alle, die kurzfristig Zeit finden, lohnt sich vielleicht eine Reise nach Prag. Vom 12. bis 19. Septmember findet dort eine stadtpolitische Aktionswoche unter dem Motto „Všichni jsme nepřizpůsobiví“ statt – übersetzt in etwa: „Wir alle sind unangepasst„. Weiterlesen

Berlin auf dem Weg nach Paris? (Interview mit „Novy Prostor“)

In der aktuellen Ausgabe der Straßenzeitung „Novy Prostor“ (Neuer Raum), die in vielen tschechischen Städten von Obdachlosen verkauft wird, gibt es ein Interview mit mir. Titelgebend war ein etwas überspitztes Zitat aus dem Interview: „Berlín míří k Paříži“ (Berlin auf dem Weg nach Paris).

Die deutsche Fassung des Interviews gibt es hier zu lesen: Weiterlesen

Berlin: „kleinsträumige Gentrification“ in Neukölln

Im Neuen Deutschland gibt es zwei Artikel zu den aktuellen Stadtentwicklungstendenzen in Neukölln. DerAustellungsbericht  „Auf Dauer kommen Reiche“ stellt die Austellung „Wer macht die Stadt für wen?“ (pdf) der Kiezgruppe Neukölln vor (noch bis zum 31.8. im »New Yorck«, Mariannenplatz 2 in Kreuzberg zu sehen:

»Wer macht die Stadt für wen?«, lautet der Titel einer Ausstellung, in der es um die Veränderungen in Neukölln, insbesondere im Norden, geht. Seit zwei, drei Jahren mausert sich der einstige »Schmuddelbezirk« zum neuen In-Kiez, rund um Reuter- und Weserstraße eröffnen Galerien, Ateliers, Szenekneipen und Cafés. Doch schon machen sich Ängste breit: Droht eine Gentrifizierung, also eine Aufwertung des Kiezes mit Mieterhöhungen und der Verdrängung alteingesessener Bewohner? Inwieweit ist die Entwicklung von der Politik gesteuert und wie kann man ihr entgegenwirken?

Mit diesen Fragen hat sich eine Gruppe von (Nord-)Neuköllnern beschäftigt, die als Studierende und Akademiker selbst Teil dieses »Aufwertungsprozesses« sind und sich dennoch – oder eben deshalb – gegen die Gentrifizierungstendenzen in ihrem Kiez wehrt. Ihre These: Die Aufwertung von Stadtteilen wird immer auch von der Politik mit angestoßen, zum Beispiel über die Festlegung von Sanierungsgebieten und die Förderung von Projekten, die den Kiez positiv in die Medien bringen und so das Image verbessern sollen.

Als Kontrast zu den Thesen der Ausstellung gibt es in der selben Ausgabe des Neuen Deutschland noch ein Interview mit Sigmar Gude: „Gentrifiziertes Neukölln? Sigmar Gude sieht keine Verdrängungstendenzen“. Weiterlesen