Mehr als 1.000 Leute haben heute an der Demonstration «Hopp Hopp Hopp – Mietenstopp» in Berlin Kreuzberg und Neukölln teilgenommen. Aufgerufen hatte ein Bündnis verschiedener Gruppen und Initiativen (Aufruf). Den aktuellen Wirbel um die steigenden Mietpreise in Berlin hatten verschiedene Studien und eine wachsende Protestbewegung ausgelöst. Im Vorfeld der Demonstration gab es nicht nur Beiträge in vielen Berliner Tageszeitungen und Magazinen (taz, Berliner Zeitung, zitty), sondern auch einen aufgeregte Forderungswettbewerb verschiedener Bezirks- und Landespolitiker/innen (hier).
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Kreuzberger Mischung?
Das Berliner Programmmagazin Zitty hat in der aktuellen Ausgabe den „Kampf um Kreuzberg“ ausgerufen und auch gleich wieder für beendet erklärt. Auch wenn der Beitrag viele Informationen über die Mietentwicklungen bietet, den zentralen Konflikt sieht Autor Martin Hildebrandt in der Auseinandersetzung um eine Handvoll mehr oder minder hipper Läden in Kreuzberg: „Auf der einen Seite linke Revolutionäre, die alles verdammen, was mit Kapitalismus zu tun hat. (…) Auf der anderen Seite finanzstarke Investoren, die Kreuzberg entwickeln wollen, so nennen sie es. Und zwischen allen Stühlen sitzen die Zwischennutzer, die prekär Selbstständigen, die mit ihren kleinen Bars, Läden und Agenturen den Spagat wagen und an einen dritten Weg glauben.“ Und wenig verwunderlich will die ZItty möglichst alle Stühle bedienen und wärmt das etwas altbackene Bild der „Kreuzberger Mischung“ auf:
Was wird aus dem Kampf um Kreuzberg? Kreuzberg wird kein Christiania für Großstadthippies, aber auch kein Soho für Kunstmillionäre. Es wird weiterhin ein Ort für gegensätzliche Lebensentwürfe bleiben, egal welche Pläne und Träume Einzelne verwirklicht sehen wollen. Das liegt vor allem an seinen Bewohnern, die sich stärker mit ihrem Bezirk verbunden fühlen als alle anderen Berliner. Trotz des Wandels, im Kern ist Kreuzberg immer gleich geblieben. Solange es linke Utopisten gibt, die gegen das Kapital ankämpfen, und Unternehmen, die trotzdem noch in Kreuzberg investieren, braucht man sich keine Sorgen zu machen. Die Kreuzberger Mischung überlebt.
Schön, dass es doch noch ein paar Leute gibt, die sich Sorgen machen und gegen die unverkennbaren Aufwertungstendenzen mobilisieren. Einen ausführlichen und lesenswerten Beitrag gibt es auf Indymedia zu lesen: Steigende Mieten und Widerstand. Weiterlesen
Kneipensterben und neue Gastronomien
Auf Spiegel Online gibt es einen hübschen Artikel zur Veränderung der gastronomischen Infrastruktur in Prenzlauer Berg zu lesen: „Berliner Kneipen-Sterben: Sushi statt Schnaps, Brunch statt Bulette„. Aus der Perspektive eines langjährigen Eckkneipenwirts werden die neuen Bars und Restaurants betrachtet und das langsame Fernbleiben der Stammkundschaft beschrieben.
Voigt ist der Wirt des „Willy Bresch“ gegenüber – einer Berliner Eckkneipen-Institution seit über 40 Jahren. Sein Großvater gab der Gaststätte den Namen, später übernahm sein Vater, seit sieben Jahren führt Voigt Junior den Laden. Und von Tag zu Tag wird ihm klarer, dass er der Vertreter einer aussterbenden Spezies im Szene-Bezirk Prenzlauer Berg ist. Gefragt nach weiteren original Berliner Kneipen wie seiner winkt Voigt nur ab. „Die alten Kneipen im Kiez sind alle weg, auf der ganzen Schönhauser Allee gibt es keine einzige mehr.“
Mit der Verdrängung der früheren Bewohnere/innen verschwinden auch deren Traditionen, so das Fazit des Artikels.
Berlin Moabit: tip schreibt Aufbruch herbei
Die Berliner Programmzeitschrift tip titelt ihr aktuelle Ausgabe mit: Moabit – ein Stadtteil zwischen Absturz und Aufbruch. Auf der Titelseite ist ein verfälschtes Motiv des Fotographen Jan Poppenhagen zu sehen. Statt der rauhen Fotorealistik seiner Arbeiten mit Moabiter Jugendlichen ist eine hippe junge Frau zu sehen, die offensichtlich für den herbeigeschriebenen Aufbruch des Bezirks stehen soll. Im Impressum findet sich ein “Dank an Jan Poppenhagen, dessen Bildidee wir freundlicherweise übernehmen durften”. Susanne Torka nimmt auf MoabitOnline auf eine Mail des Fotographen Bezug:
Er stellt klar, dass er das Titelbild nicht fotografiert hat und dem “tip” auch nicht erlaubt hat, seine Idee zu kopieren. Im Gegenteil das “weichgespülte” Foto gefällt ihm überhaupt nicht.
Doch nicht nur das verfälschte Foto löst Diskussionen aus. Auf den Seiten MoabitOnline hat eine muntere Diskussion über das Für und Wider von Gentrification in Moabit begonnen. Weiterlesen
Berliner Luxuswohnen: Richtfest mit Prominenz
Die Kastanienhöfe in Berlin Prenzlauer Berg werben mit einer „exklusive Wohnqualität in ruhiger, zentraler Lage“. In 8 Townhäusern und vier sogenannten Atelierhäusern sollen etwa 40 hochwertige Eigentumswohnungen entstehen. Der Preis für das exklusive Wohnen liegt bei etwa 3.000 Euro je Quadratmeter. Das Projekt Kastaniengärten steht damit in einer Reihe mit anderen Bauvorhaben für in sich geschlossenen Luxuswohnprojekte in den Innenstadtbezirken. Das Projekt wird von der Kastaniengaerten Grundstuecksentwicklungsgesellschaft mbH zusammen mit den Architekten becher+rottkamp in der Schwedter Straße 41-43 an der Bezirksgrenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg umgesetzt. Nach Eigenaussagen der Investoren sind bereits 60 Prozent der Wohnungen verkauft.
Um noch mehr Aufmerksamkeit bei potentiellen Erwerbern zu erzielen, wird für Freitag, den 31. Oktober 2008 zu einem pompösen Richtfest mit prominenten Gästen eingeladen. In einer Ankündigungen heißt es:
Einladung zum Richtfest in den Kastaniengärten
Am Freitag, dem 31. Oktober 2008, Start 15:00 Uhr
Auf einem ca. 3.000 Quadratmeter großen Gründstück in begehrter Lage in der Schwedter Straße 41-43 in 10435 Berlin Prenzlauer Berg entsteht das Neubau-Wohnprojekt “Kastaniengärten”, Stadthäuser, 23 hochwertige Eigentumswohnungen plus weitere 20 Maisonette-Wohnungen, Gärten und 49 Tiefgaragenstellplätze, zu erwerben über unsere Holtz Immobilien GmbH. Die Wohnungsgrößen liegen zwischen ca. 71 m² bis ca. 182 m². Preise der Wohnungen belaufen sich zwischen 200.000 Euro bis ca. 540.000 Euro. Der Rohbau ist fertig und gemeinsam mit dem Bauherrn laden wir Sie zum Richtfest auf der Baustelle ein. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit hat seine Teilnahme angekündigt und wird ein Grußwort an die Bauschaffenden richten.
Die Teilnahme ist kostenlos. Wir bitten aber um Anmeldung, telefonisch oder per E-Mail: info@holtz-estate.net.
Die AnliegerInitiative Marthashof (AIM) hat die Gelegenheit genutzt um mit einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister darauf Aufmerksam zu machen, dass „dieses Projekt (wie auch die benachbarten rechts und links der „Kastaniengärten”) von einer Vielzahl von Bürgern keineswegs willkommen geheißen wird, und wir es somit als ausgeschlossen betrachten, dass Sie dessen Investoren in unserem, der Bürger und Nachbarn Namen willkommen heißen können.“
Der Offene Brief im Wortlaut:
Kreuzberg: Aufwertung ohne Fast-Food
Dass Mietsteigerungen und Aufwertungen auch um Kreuzberg keinen Bogen machen, wurde hier im gentrification blog schon an der einen oder anderen Stelle beschrieben: steigende Mietpreise im Reichenberger Kiez, Car Loft und Zwangsversteigerungen bestimmten die Schlagzeilen auf Webseiten und linken Postillen. Ganz anders die Berichterstattung der Mainstreampresse. Die Welt hat den Kiezkampf für sich entdeckt, doch Mieten und Investitionen spielen dabei keine Rolle. Statt dessen geht um Hassattacken gegen US-Fastfood-Ketten. Im dem Medium üblichen Alarmismus wird eine eingeschlagene Scheibe und eine gesprühte Parole am neuen Sandwichladen der Subway-Kette zur Schlagzeile „Extremisten zertrümmern Existenz eines Kleinunternehmers in Kreuzberg“ hochgepusht. Andere sprechen sogar von Terror in Kreuzberg und
hoffen, daß sich die Tendenz zur Aufwertung (Gentrification) dieses Bezirks fortsetzt und der Terror gegen Gastronomen nur das letzte Aufbäumen der linksradikalen Szene darstellt.
Berlin: Demo gegen Verdrängung (29.11.08)
Hop Hop Hop – Mieten Stop!
Demonstration gegen steigende Mieten, Stadtumstrukturierung, Verdrängung & Ausgrenzung
Samstag, 29.11.08, 14 Uhr Falckensteinstraße
(U Schlesische Straße)
Billige Mieten für alle in Kreuzberg 36, Neukölln und überall – Wohnen ist Menschenrecht!
Mieterhöhungen boykottieren – Zwangsumzüge stoppen – Verdrängung angreifen!
Keine weitere Privatisierung – die Häuser denen, die drin wohnen!
Luxuswohnungen verhindern – alternative Projekte verteidigen – sinnlosen Leerstand besetzen!
Gegen rassistische Polizeikontrollen, Ordnungsamtschikanen, Kameraüberwachung!
Vorläufige Route: Start ist in der Falckensteinstraße Ecke Schlesische Straße, von dort geht die Demo über Wrangelkiez, Lausitzer Platz, Bethanien, Kotti, Kottbusser Damm in den Reichekiez und endet vor den sogenannten CarLofts in der Reichenberger Straße und damit auch vor dem akut bedrohten Hausprojekt Reiche 114.
Alle Gruppen, Hausprojekte, Initiativen, Projekte und Läden, die den Aufruf zur Demonstration unterstützen möchten, mögen uns doch bitte bis spätestens 05.11.08 eine kurze Mail schicken (spreepiratinnen(at)gmx(dot)net).
Und wer Lust hat, sich bei der Vorbereitung der Demo einzubringen, sei herzlich zu unseren wöchentlichen offenen Vorbereitungstreffen eingeladen: jeden Dienstag um 19 Uhr in der NewYorck im Bethanien-Südflügel, Mariannenplatz 2, Kreuzberg. Und natürlich freuen wir uns auch über alle, die Lust haben, die Demo auf ihre Route mit kreativen Aktionen willkommen zu heißen.
mehr Informationen: Die Spreepirat_innen
Berlin: Hoffnung Finanzkrise?
Annett Gröschner fragt in der aktuellen Ausgabe des Freitag, ob die Pleite auf der Baustelle gegenüber was mit der Finanzkrise zu tun haben könnte. Das wäre ja bei all den neugeplanten Bauprojekten mal ein positives Zeichen. Zumindest ist der Wurm drin:
Als nächstes ging der Bauherr des Grundstücks nebenan pleite. (…) Der Rohbau sieht nun schlimmer aus als die Ruine, die seit 1945 an derselben Stelle stand. Die war nämlich wenigstens noch aus Ziegeln und nicht aus Hohlblocksteinen. Es ist auch anzunehmen, dass hier nicht so schnell enttrümmert werden wird. Die Website des Bauträgers verspricht nach wie vor die Zusammenarbeit mit renommierten Banken. Wahrscheinlich hatten Fannie und Freddie ihre faulen Kredite im Spiel. Und uns bleiben bis auf weiteres zwölf neue nervige Neubötzowviertler nebst Anhang erspart. Die Kreditkrise hat eben mitunter auch etwas Gutes. Besser wäre allerdings gewesen, die Blase wäre schon beim Bau des Kellerfundaments geplatzt.
Definitiv zu spät kommt die Finanzkrise aber für die bereits fertiggestellten Luxuswohnanlagen in Prenzlauer Berg. Ulrike Steglich begab sich auf die Suche nach einem Wohnen ohne Kompromisse. Gefunden hat sie die von den vielen Reportagen genervten Bewohner/innen und eine erschreckende Monotonie in den Townhouses und Urban Villages:
Berlin | Zürich: Gentrification light?
Gentrification ist ein „dirty word“ (Neil Smith). Auch aktuelle Beispiele zeigen, dass vor allem Stadtverwaltungen und die Immobilienwirtschaft in eine Rhetorik der Verharmlosung verfallen, wenn es darum geht, Verdrängungsprozesse zu beschreiben.
Beispiel Zürich: Die Neue Züricher Zeitung argumentiert im Artikel Übertriebene Angst vor «Yuppisierung» an der Langstrasse, dass die Verdrängung nicht so drastisch sei, wie wahrgenommen. Zwar habe es größere soziale Veränderungen gegeben, aber die könne nicht als Verdrängung beschrieben werden, schließlich seien die früheren Bewohner/innen aus anderen Gründen ausgezogen… (mehr)
Beispiel Berlin Prenzlauer Berg: Um den Erfolg der Berliner Stadterneuerungspolitik zu demonstrieren wählte die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ausgerechnet den Kollwitzplatz in Prenzlauere Berg aus. Nein, es ging ihr nicht um die magere soziale Bilanz von 15 Jahren Sanierung (mehr dazu hier im gentrificationblog) sondern um die Vorstellung des Campus der Grundschule am Kollwitzplatz als ‚gelungenes Beispiel für eine familiengerechte Stadterneuerung‘. Um solche Erfolge zu zelebrieren, wird das verpassten Sanierungsziel einer sozial verträglichen Modernisierung einfach ausgeblendet. Auch eine Variante, sich eine Realität zu schaffen. Im Neuen Deutschland ist die Jubelveranstaltung anschaulich beschrieben: Respekt vor Kindern am Kollwitzplatz.
Beispiel Berlin Neukölln: Eine kürzlich vorgestellte Studie zur boomenden Kreativwirtschaft hat gerade wieder Neukölln und sogar Teile von Wedding als künftige hot-spots der Aufwertung identifiziert. In der Berliner Morgenpost (Studie sagt Berlins Kreativwirtschaft starkes Wachstum voraus) heisst es:
Bereits durch diese erste Studie werde deutlich, welche Impulse von den Kreativen ausgingen und wie Kunst und Kultur Stadtteile, auch im sozialen Bereich, verändern könnten. Als Beispiel nannte sie „Szene-Quartiere“ wie Nord-Neukölln und Wedding.
Um nicht auf den Gedanken zu kommen, solche Impulse könnten irgendwas mit Aufwertung oder Verdrängung zu tun haben, gibt es den Plötz-Immoblienführer: In Neukölln muss man steigenden Miete nicht fürchten (Berliner Morgenpost). Na, dann wird ja alles gut…
Sonderausschuss MediaSpree
Der Duden bietet für Aus|schuss, der; -es, Ausschüsse gleich mehrere Bedeutungen an: Neben der Fachkommission unter anderem auch das Abfallprodukt. Im Fall des hier beschriebenen Sonderausschusses MediaSpree scheint es sich um beides zugleich zu handeln. Nach einer langen Sommerpause und etwa 11 Wochen nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren gegen das Investorenprojekt MediaSpree hat sich nun diese Woche der lange geplante Sonderausschuss der Bezirksverordneten- versammlung Kreuzberg-Friedrichshain konstituiert. Bei der radiokampagne.de Berlin gibt es ein Interview mit Karsten Jost von MediaSpreeVersenken.
Im Sonderaussschuss, der am 8. Oktober mit seiner eigentlichen Arbeit beginnen wird, sollen für die einzelnen Grundstücke des MediaSpree-Geländes Vorschläge zur Umsetzung des Bürgerentscheides diskutiert werden. Ob in einer solchen kleinteiligen Vorgehnsweise, die von vielen befürchteten Verdrängungsprozesse und Auswirkungen auf die anliegenden Wohngebiete angemessen diskutiert werden können, bleibt fraglich. Zumindest eine direkte Umsetzung des Bürgervotums sähe anders aus. Insofern ist der Ausschuss eben nicht nur Fachgremium, sondern auch eine Mischung von Verlegenheitslösung und Abfallprodukt des Bürgerentscheids…