Berlin: Rückblick auf die Stadterneuerung

Ich bin gerade zufällig auf ein fast vier Jahre altes Interview zur Stadterneuerung in Berlin Prenzlauer Berg gestoßen: „Das Ende der Behutsamkeit„. Anlass war die Herausgabe meines Buches „Restrukturierung des Raumes“ in dem ich versucht hatte, die Machtverhältnisse in der Stadterneuerungspolitik der 1990er Jahre zu analysieren. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen insbesondere Einschätzungen und Prognosen zu den sozialen Effekten der Sanierung. Aus heutiger Perspektive erschreckend, wie deutlich die düsteren Prognosen von damals heute Realität geworden sind.

Das Interview wurde in der Sanierungszeitschrift VorOrt abgedruckt, die seit 1992 von der Mieterberatungsgesellschaft Prenzlauer Berg herausgegeben wird und mittlerweile eine unendlich informative Chronik der Stadterneuerung darstellt. Die Ausgaben seit September 2005 sind auch online abrufbar.

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Berlin: Berlusconi lässt die Mieten steigen

Die korrupte und manipulative Politik des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi hat Berichten von Spiegel Online zu Folge eine regelrechte Auswanderungswelle ausgelöst. Viele – so der Beitrag „Berlino gegen Berlusconi“ – der regierungsfeindlichen Italiener/innen zeiht es nach Berlin. Knapp 15.000 seien es offiziell – realistische Schätzungen sprechen von 50.000. Beliebteste Wohngebiete seien Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte:

In Berlino, wie die Italiener die Stadt nennen, hat sich eine Art Exil-Opposition gegen die Regierung Berlusconi gebildet. Es sind Schauspieler und Schriftsteller, Restaurantbesitzer und Ladenverkäufer, die nicht nur italienisch essen und reden, sondern wollen, dass sich endlich etwas ändert. (…)

„Viele junge Leute fliehen vor Berlusconi nach Berlin“, sagt die Künstlerin Giovanna Salabè. Es kommen neue Studenten und auch Touristen, die länger bleiben.

So verständlich die Abneigung gegen Berlusconi ist, so aufwertungsaffin liest sich die Aufzählung der italienischen Regierungsfeinde: Schauspieler, Schriftsteller, Studierende, Tourist/innen, die länger bleiben wollen – das klingt wie eine typische Beschreibung von Gentrification-Pionieren.

Eine erst jüngst veröffentlichte Wohnungsmarktstudie verwies als Beleg für den immobilienbwirtschaftlichen Aufschwung in Neukölln ausgerechnet auf eine Italienerin:

Bezahlt werden die hohen Mieten vor allem von Neuberlinern, die in der Stadt eine Beschäftigung finden. Viele seien aus anderen Ballungsgebieten hohe Mieten gewohnt, so der IVD. Ein Beispiel: Eine Italienerin schrecke auch nicht vor 8,50 Euro Miete pro Quadratmeter in der Leinestraße von Neukölln zurück. Dies zeige, dass die Kreuzberger Mischung aus Off-Kultur und Multikulti zu einer Art Immobilien-Mehrwert auch in Teilen von Neukölln geführt habe.

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Berlin: Eigentümer-Paradies in der Mieterstadt

Gerade heute habe ich wieder in einer wissenschaftlichen Arbeit lesen müssen, dass der Gentrification-Befund in Prenzlauer Berg gar nicht wirklich gesichert sei, weil Verdrängung nicht als einfache Ableitung von steigenden Mieten und Bevölkerungsaustausch beschrieben werden könne. So wichtig kulturelle und wahrnehmungsbezogene Aspekte für das Verständnis von stadträumlichen Veränderungen auch sein mögen – im Kern kann Gentrification durchaus als Verdrängung im Gefolge immobilienwirtschaftlicher Inwertsetzung beschrieben werden.

Als ein relativ eindeutiger Indikator für solche Formen der ökonomischen Verdrängung erscheint mir die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, denn nur die wenigsten der früheren Bewohner/innen können sich den Erwerb einer Eigentumswohung leisten.

In einem aktuellen Beitrag zum Marthashof-Projekt in Prenzlauer Berg kommt mit Andreas Purrer unter anderem ein Immobilienberater bei Engel & Völkers zu Wort und berichtet, das der Markt für Eigentumswohnungen in den letzten Jahren ‚explodiert‘ sei:

Konnte man noch vor etwa zehn Jahren für 1000 bis 1500 Euro pro Quadratmeter eine Wohnung erwerben, müsse der Käufer gegenwärtig mit Preisen von mindestens 2500, in guten Lagen wie etwa am Kollwitzplatz oder am Wasserturm sogar mit bis zu 5000 Euro pro Quadratmeter rechnen, sagt der Experte. Die hohe Nachfrage nach Wohneigentum im Prenzlauer Berg spiegelt sich auch in den Zahlen wider. „Bereits 30 Prozent der Wohnungen sind Eigentumsapartments“, sagt Andreas Purrer. Tendenz stark steigend.

Zur Erinnerung: Berlin gilt als die Mieterstadt und hat im Durchschnitt nur knapp 14 Prozent Eigentumswohnungen (alle Eigenheimsiedlungen in den städtischen Randlagen mit einberechnet).  Weiterlesen

Berlin: Anglophone Gentrification in Neukölln

Englischsprachige Anti-Gentrification-Plakate am Herrfurthplatz in Berlin Neukölln (Herbst 2010)

Die Berliner Tourismusindustrie wird dieses Jahr voraussichtlich die 20-Millionen-Marke knacken. Fast die Hälfte der Besucher/innen kommen aus dem Ausland. Auch unter Studierenden, jungen Akademiker/innen und Künstler/innen erfreut sich Berlin einer internationalen Beliebtheit. Stadtentwicklung in Berlin ist zunehmend durch Zuzüge und temporäre Anwesenheiten eines internationalen Erlebnispublikums und Bildungsbürgertums gekennzeichnet.

Auch die Gentrification ist von einer wachsenden Zahl internationaler Aufwertungspioniere geprägt. Neukölln wurde lange Zeit als Beispiel für eine Parallelgesellschaft integrationsunwilliger Migrant/innen durch die öffentlichen Debatten getrieben und als ‚Klein Istanbul‘ stigmatisiert. Die Zeiten sind offenbar vorbei: Das neue Neukölln spricht Englisch. Die New York Times wirbt auf ihren Webseiten für den ‚creative place‘, enttäuschte Wirte hinterlassen ihrem englischsprachigen Publikum eine Videobotschaft im Internet und Stadtteilinitiativen kleben ihre Aufrufe mittlerweile in englischer Sprache : „be active against gentrification“.

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Berlin: „Hartz IV geht raus aus Neukölln“

Gerade war es wieder in der Zeitung zu lesen: Nord-Neukölln ist auf dem Weg der Aufwertung. Die Gegend um den Reuetplatz ist längst als Kreuzkölln zur Vorzugslage von Immobilienmaklern erhoben worden und im Schillerkiez befürchtet die taz sogar Verhältnisse wie in Prenzlauer Berg: Willkommen in „Prenzlkölln“:

Altbauwohnungen in dem Neuköllner Viertel sind inzwischen begehrt. Vermieter nutzen die Nachfrage aus: Sie erhöhen die Mieten kräftig – und werben mit platten Schlagworten.

Die Aufwertung des Viertels wird sehr anschaulich aus der Perspektive von Immobilienmakler/innen beschrieben. Während eine Maklerin, die namentlich nicht genannt werden sollte sich über die vielen Studierenden und Künstler/innen freut, die immer höhere Preise akzeptieren, berichtet Immoblienmakler Cemal Düz von 800 Suchaufträgen von Hartz-IV-Empänger/innen, für die er keine Wohnungen mehr im Kiez findet.

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Gentrification: Egoistische Proteste gegen die Aufwertung?

Keine Woche ohne eine neue Gentrification-Story… Auf ZeitOnline gibt es jetzt ein Interview mit mir zu lesen. Das Gespräch wurde telefonisch geführt und von mir auch ordentlich abgesegnet. Allein auf die Überschrift hatte ich keinen Einfluss: Statt differenzierter Analyse klingt es jetzt nach einseitiger Protest-Kritik: „Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal!“. Insgesamt natürlich trotzdem großartig, dass es weiterhin ein so breites Interesse an städtischen Entwicklungen und Proteste gibt!

Im Einleitungstext heißt es:

Warum wird in Deutschland so heftig über Gentrifizierung gestritten? Ein Gespräch mit dem Soziologen Andrej Holm über das Hamburger Gängeviertel, den Wandel Neuköllns und egoistischen Protest.

Das Zitat des Titels ist dabei ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Aus der der Sowohl-als-auch-Antwort im Gespräch wird dabei eine einseitige Bewegungsschelte:

ZEIT ONLINE: Werden also die eigentlichen Verlierer dieser Aufwertung – sozial Schwache und Migranten – von diesen Pionieren der Gentrifizierung instrumentalisiert?

Holm: Mit Sicherheit gibt es bei den Protesten häufig die Haltung: Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal! In Berlin zeigt das die Debatte um „Mediaspree“: Viele der Clubs haben sich dem Protest angeschlossen, mittlerweile auch das Tacheles, das selbst von der Räumung bedroht ist. Es gibt aber auch andere Initiativen, etwa das Hamburger Bündnis Recht auf Stadt. Dort haben Künstler das Gängeviertel besetzt und sehr deutlich gesagt: Es geht uns nicht nur um uns, unsere Galerie- und Arbeitsräume, wir wollen tatsächlich eine andere Stadtpolitik und bemühen uns, auch mit anderen sozialen Gruppen in Kontakt zu kommen.

Das gesamt Interview gibt es auf ZeitOnline und auch gleich hier:

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Floridarisierung des Widerstands – Kultur in Anti-Gentrification-Protesten

Die in Wien erscheinende Zeitschrift MALMOE beschäftigt sich in ihrer Ausgabe 51 auf einer Doppelseite mit dem Spannungsverhältnis von „Kunst & Gentrifizierung. Kreative Trüffelschweine im Aufwertungsprozess“.

Bernhard Wernitznig beschreibt unter der Überschrift „Gürtelnightwalks vs. Donaukanaltreiben“ die Aufwertzungsbestrebungen der so genannten kreativen Klasse in Wien. In den Fördergebieten des Gürtelbereiches setze die Stadtverwaltung explizit auf „Rahmenbedingungen für alternative kulturelle und soziale Nutzungen“ um eine Aufwertung der Quartiere anzuregen.  In den zentral gelegenen Teilen der Leopoldstadt hingegen braucht es keine Alternativkultur um eine Gentrification in Gang zu setzen: hier übernimmt der kommerzielle Kulturbetrieb (Prater-Eventmeil, Entertainment-Schlauch Donaukanal, Sängerknaben im Augarten) die Schmiermittelfunktion und beschleunigt die Herausbildung eines Immoblilien-Tourismus-Kulturindustrie-Komplex.

Franziska Frielinghaus hinterfragt die Rolle von Kunst in in städtischen sozialen Kämpfen: „Organisiert Urban Kämpfen!“.  Am Hamburger Beispiel von ‚Park Fiction‘ diskutiert sie die widersprüchlichen Effekte von künstlerischen Interventionen (Luxuswohnbebauung verhindert vs. kulturelle Attraktivierung von St. Pauli vorangetrieben). Sie schlägt vor „Kunst- und Kulturindustrie als Teil des Unternehmens Stadt zu erkennen“ und wünscht sich eine „Kunst, die im Sinnen sozialer Kämpfe ‚weh tut'“. Dissidente Kreativität – so Franziska Frielinghaus – solle sich stärker in die Organisierung kollektiven Engagements in heterogenen Nachbarschaften einbringen.

Klaus Ronneberger wurde auch interviewt („Aktive Minenhunde“) und findet die Beschreibung von Künstler/innen als Minenhunde der Aufwertung zu simpel: „Die meisten ‚Kulturschaffenden‘ sind prekäre Selbständige, die auf preiswerten Wohn- und Arbeitsraum angewiesen sind. Der städtische Raum ist ihr Produktionsort. Die räumliche Existenz eines Künstler/innenmilieus löst nicht automatisch einen Gentrifizierungsprozess aus. Das hängt davon ab, wie der lokale Bodenmarkt reguliert ist, welche Bebauungs- und Nutzungsvorschriften existieren oder wie die jeweilige Stadtregierung in den Wohnungsmarkt eingreift.“

Auch ich durfte mich im Rahmen des kleinen Schwerpunkts zum Verhältnis von Kunst und Gentrification  einbringen („Floridarisierung des Widerstandes“)… Weiterlesen

Berlin: … wie es hier vor 20 Jahren ausgesehen hat

„Prenzlauer Berg, Prenzlauer Berg –  das weiß doch heute keiner mehr wie das hier noch vor 20 Jahren ausgesehen hat“ (Reinald Grebe, Prenzlauer Berg)

Die aktuelle Ausgabe der GEO schweift nicht in ferne Länder sondern beschäftigt sich mit den hiesigen Veränderungen in den 20 Jahren seit dem Beitritt. Eine beeindruckende Fotoreportage zeigt am Beispiel der Hufelandstraße in Berlin Prenzlauer Berg, wie sehr sich Sanierung und Bevölkerungsaustausch ins Bild des Stadtteils eingegraben haben: Eine deutsche Straße im Wandel. Kurzzusammenfassung:

Ausgetauscht: Fassaden, Geschäfte, Anwohner. Geschichte, Heimat, Gedächtnis.

Der Fotograph Harf Zimmermann lebte in den 1980er Jahren selbst in der Straße und ist nach über zwanzig Jahren zurückgekehrt um Bilder von den Orten seiner damaligen Fotos aufzunehmen. Die Hufelandstraße galt im Gegensatz zu anderen Teilen Prenzlauer Bergs als eher bürgerliche Straße mit vielen kleinen privaten Geschäften. Kontinuitäten zur neuen Bürgerlichkeit im Bezirk sind dennoch kaum vorhanden.

Im Text von Andreas Wenderoth heißt es:

„Das war nicht Proleten-, sondern Vorderhaus-Prenzlauer Berg“, sagt Zimmermann. Er wollte mit seinen Bildern die Schönheit des Quartiers bewahren, weil er annahm, dass sie sich bald verflüchtigen würde.23 Jahre später sucht er nun nach den Menschen, die er damals fotografiert hat, weil er sie jetzt in derselben Umgebung noch einmal vor die Kamera stellen möchte. Er klopft an Türen, klingelt, fragt. Sucht nach Spuren des Alten, aber findet fast nur Neues. Ungläubig betrachtet er jenen Ort, der ihm entglitten ist, in den Jahren, da er ihn nicht mehr betrat. Es ist ja nicht so, dass hier Gebäude zerstört worden wären, im Gegenteil, mit viel Geld wurde herausgeputzt und verschönt, und dennoch scheint es, als hätte eine große Welle alles weggespült, was einmal die Substanz der Straße war.

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Gentrification im Radio

Gleich zwei längere Radiobeiträge zum Lieblingsthema meines Blogs gab es in den letzten Tagen.

  • Bei Radio.Einheit durfte ich zwei Stunden mit Jochen Becker über die widersprüchliche Rolle von Kulturschaffenden in städtischen Aufwertungsprozessen und Perspektiven einer künstlerischen Intervention  diskutieren: „The Gentrification Show with Jochen Becker & Andrej Holm

Berlin: Aufwertung und Verdrängung in der Berliner Innenstadt

Das Berliner Straßen- und Obdachlosenmagazin strassenfeger beschäftigt sich im Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe mit „Schöner Wohnen“. Ich wurde angefragt,  einen kleinen Überblick zu den Aufwertungstendenzen in Berlin zu geben. In Berlin wird der strassenfeger u.a. in U-und S-Bahn verkauft.

Für alle anderen gibt es den Beitrag auch hier zu lesen:

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