Lesetip: Gentrification-Debatte neu aufgelegt

Seit sich die Gentrification zum Modebegriff des Feuilletons entwickelt hat, habe ich mehrfach die damit einhergehende Banalisierung des Erklärungsmodells für städtische Inwertsetzungsprozesse und ihre Folgen kritisiert. Umso höher sind die Versuche einzuschätzen, sich tiefergehender und auch auf einer theoretischen Basis mit den Erklärungsansätzen der Gentrification-Forschung zu beschäftigen.

In den letzten Monaten hatte ich die Gelegenheit gleich in zwei unterschiedlichen Kontexten über die Reichweite von Gentrification-Theorien zu diskutieren.

Die entgrenzt (Studentische Zeitschrift für Geographisches) hat sich in ihrer zweiten Ausgabe unter dem Titel „Burn, Bonze, Burn! – soziale und ökologische Aspekte der Gentrifizierung im 21. Jahrhundert“ (pdf) dem Thema der umkämpften Räume in den Städten zugewandt. Darin enthalten ein relativ ausführliches  Gespräch mit Jan Glatter und mir:

  • Jan Glatter & Andrej Holm: Wir sollten uns nicht damit zufrieden geben, wenn städtische Veränderungen als ganz natürlicher Zyklus der Stadtentwicklung beschrieben werden (S. 5-17)
  • Stephan Diesel: Das liberalisierte Recht auf Stadt (S.18-25)
  • Cosima Werner: Grüner Daumen gegen graue Stadt – urbane Gärten und urbane Landwirtschaft (S.26-36)
  • Noah Quastel: Understanding Neighborhood Gentrification as Socio­-Ecological Processes (S. 37-43)

Die zweite Diskussion hat sich an einem Vortragstext der Gruppe Jimmy Boyle zur Gentrification (Juni 2006) entwickelt. Im Mittelpunkt der Argumentation steht eine eher polit-ökonomische Erklärung von Gentrificationprozessen. Weil die Autor/innen sich explizit auf einige meiner Beiträgen bezogen, habe ich über einen Kommentar zum Vortrag einige Argumente versucht noch einmal zu schärfen. Jimmy Boyle haben mit einer Antwort auf meinen Kommentar und einer überarbeitetet Fassung des Ursprungsbeitrages die Diskussion fortgeführt, so dass sich eine ziemlich spannende Debatte über die Grundlagen der Gentrification entwickelt haben.

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Vancouver: Die Grenzen der Aufwertung

David Ley einer der etabliertesten Gentrificationforscher in Kanada hat kürzlich den 50. Jahrestag der Gentrificationforschung eingeleutet. Auf einer Vorlesung präsentierte er bisher unveröffentlichte Manuskripte von Ruth Glass, die als die Urheberin des Gentrificationbegriffs gilt. Nicht erst 1964 in ihrer Untersuchung zu den Veränderungen in London Islington, sondern schon 5 Jahre zuvor soll sie den Begriff für die von ihre beobachteten Verdrängungsprozesse benutzt haben.

Doch die Zusammenfassung der Vorlesung „Are there limits to gentrification? Evidence from Vancouver“ bietet mehr als eine wissenschaftshistorische Randnotiz. Über die Gentrification in kanadischen Städten parlierend, ging David Ley auch auf die aktuellen Aufwertungsbefürchtungen in Vancouver (Downtown East) ein:

Bereits vor dreißig Jahren waren viele Voraussetzungen für eine Aufwertung gegeben: historische Bausubstanz, Nähe zum Wasser und baumgesäumte Straßen. Eigentlich ist also der komplette stadtplanerische Kriterienkatalog für eine Gentrification erfüllt, trotzdem zähle das Gebiet heute immer noch zu den ärmsten in ganz Kanada. Auf die Frage, wie denn die Nachbarschaft der Aufwertung solange widerstehen konnte, hat David Ley zunächst eine kurze Antwort parat:

A complex local sense of place which is unfriendly to gentrification.

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CupCakes in New York: Sahnehäubchen der Aufwertung

Für alle jene, denen die Gentrification-Debatten auf den Keks gehen, weil ja doch immer wieder nur von Verwertungslücken, Investitionsstrategien und Aufwerungsökonomien die Rede ist, gibt es nun eine echte Alternative: den CupCake.

Im Sommer gab es hier auf dem Blog unter dem Titel „Gentrification ist Geschmackssache“ eine angeregte Diskussion um lebensstilvermittelte Indikatoren für die Aufwertung von Quartieren. Anlass war die Ankündigung eines kleinen Forschungsprojektes in New York. Kathe Newman wollte in einem  Seminar zusammen mit den Studierenden die Verkaufsstellen der immer beliebter werdenden CupCakes in New York kartieren und überprüfen, ob sie einen brauchbaren Indikator für die Aufwertungsdynamiken darstellen. Nun scheinen erste Ergebnisse vorzuliegen.

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Gentrification ist Geschmackssache

Die Gentrificationforschung hat es nicht leicht. Lieb gewonnene Klischees von Aufwertungsprozessen müssen hinterfragt werden. Längst sind es nicht nur Singles, Yuppies und DINKS (Double Income No Kids), die einen Gentrificationsprozess tragen, sondern auch Familien und Alleinerziehende mit Kindern, die in den aufgewerteten Nachbarschaften bessere Chancen sehen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Hier müssen insbesondere die traditionellen statistischen Kriterien für ‚Pioniere‘ und ‚Gentrifier‘ einer Revision unterzogen werden.

Doch auch die Indikatoren für die kulturellen Wandlungsprozesse in den Nachbarschaften müssen ständig erneuert werden. Galt in den 1980er in den Studien von Jörg Blasius der Verzicht auf klassische Gardinen noch als sicheres Zeichen für den Pionierstatus der Bewohner/innen, wären vergleichbare Zuordnungen heute nur noch schwerlich zu treffen. Bezogen auf die nachbarschaftlichen Infra- und Gewerbestrukturen galten lange Zeit Sushi-Bars, Starbucks, vegetarische Restaurants oder Ökoläden als beliebte Indikatoren für die Aufwertung. Doch mit der Überführung ehemals distinktionsfähiger Konsumangebote in einen urbanen Mainstream ist die notwendige Trennschärfe der Indizes verloren gegangen.

Frage an alle: was könnte ein zeitgemäßer Ersatz für den Sushi/Starbucks/Öko-Index zur Verortung von Gentrificationprozesse sein?

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