Hamburg: Recht-auf-Stadt-Chronologie

Geschichte, die nicht niedergeschrieben wird, hat nicht stattgefunden. So ungefähr lässt sich die Motivation der Autor/innen einer sehr ausführlichen Dokumentation städtischer Protestaktionen in Hamburg zusammenfassen. Auf dem Internetportal indymedia wurden bereits Anfang des Monats die ersten zwei Teile einer Hamburger Protestchronologie veröffentlicht. Für alle, die sich kaum noch erinnern können, wann da eigentlich wann was stattgefunden hat, bietet der Text eine gute Fundgrube. Völlig frei von Bewertungen oder einer Darstellung von Positionierungen und Debatten innerhalb des Recht-auf-die-Stadt-Bündnisses werden in chronologischer Abfolge die Stationen des Stadtprotestes im vergangenen Jahr aufgelistet und im Nachrichtenstil beschrieben. In einer wahren Fleißarbeit wurden über 200 Zeitungsmeldungen und Artikel zu den verschiedenen Kampagnen und Aktionen verlinkt und ausgewertet.  Klingt trocken – ist es aber nicht. Allein die ungeheure Anzahl von Aktionen gibt einen Eindruck von der enormen Dynamik des Hamburger Protestes.

Nachzulesen gibt es die Protestchronologie hier:
Hamburg: „Recht auf Stadt“-Bewegung (Teil 1)
Hamburg: „Recht auf Stadt“-Bewegung (Teil 2)

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Hamburg: Creative City jenseits von Florida?

Die Besetzung des Gängeviertels durch Künstler/innen und das von verschiedenen Kulturschaffenden initiierte Manifest „Not in our Name – Marke Hamburg“ hat für einige stadtpolitische Aufregung gesorgt und auch der Diskussion um das Konzept einer ‚creative class‘ und einer ‚creativ city‘  des kanadischen Stadtplaner Richard Florida neuen Schwung gebracht. Im Manifest der Hamburger Künstler/innen wandten diese sich gegen die Vereinnahmung ihrer Aktivitäten durch eine unternehmerische Stadtpolitik.

Hintergrund der Kritik sind die Thesen Floridas, der unter dem Stichwort der ‚creative city‘ Stadtkultur und Alternativszenen in ‚weiche Standortfaktoren‘ des Städtewettbewerbs verwandelt, um den Zuzug von Unternehmen und Leistungsträger/innen der Wissensökonomie zu fördern.

Volker Kirchberg – Professor für für Kulturvermittlung und Kulturorganisation an der Leuphana-Universität Lüneburg – wurde von der taz zum Thema befragt: „Kreativität kann man nicht planen„. Darin setzt er sich kritisch mit den Thesen Richard Floridas auseinander und plädiert – unter Berufung auf Charles Landry für ein anderes Verständnis von kreativer Stadtentwicklung. Statt der Funktionalität für eine unternehmerische Strategie sollte Kreativität als Kriterium für den Innovationsgehalt von Stadtpolitik verstanden werden.

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Hamburg: Anti-Gentrification jetzt völlig abgehoben

Hamburgs städtische Proteste werden immer ungewöhnlicher. Das Immobilien-Symposium Hamburg 2010 gab den willkommenen Anlass für eine bisher unbekannte Protestform: der Psychokinese gegen Gentrification.  Unter dem Motto „Das Empire hebt ab“ versuchten ein paar Dutzend Aktivist/innen mit lustigen orangenen Umhängen und lauter Musik ihre psychokenetische Energie  auf das Gebäude des Immobilien-Meetings wirken zu lassen.

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Was albern aussah, hatte eine erhebliche Wirkung: fast alle Hamburger Zeitungen berichteten von den Protesten gegen das  Symposium der selbsternannten „Macher, Denker und Entscheider“. Auf den Seiten von Es regenet Kaviar – Aktionsnetzwerk gegen Gentrification gibt es einen ausführlichen Pressespiegel. Die schönsten Zitate können auch hier direkt gelesen werden.

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Berlin: Clubkultur und Gentrification

Am Samstag fand im Hebbel am Ufer (HAU 2) die Veranstaltungsreihe LIFE IS LIVE statt. Im ersten Panel diskutierten verschiedene Musiker, Konzert- und Tourneeveranstalter/innen und eine Musikkuratorin über die Auswirkungen der Tonträgerkrise auf die Eventbranche der Musikindustrie. Richtig Geld verdient werden kann – so in etwa der Tenor – eigentlich nur noch mit Life-Events. Die bestehende Vielfalt von Konzertagenturen und Veranstaltern gerät dabei zunehmend unter den Monopolisierungsdruck internationaler Player der Branche wie Life Nation.  Eine höhere Frequenz an Auftritten und die verstärkte Orientierung am Spektakel sind ebenso Folgen dieser Entwicklung wie die Etablierung von Life-Events durch größere Konzerne (wie z.B. der Telekom) die mit solchen Ereignissen ihr Zielgruppen-Portfolio erweitern wollen. Vieles habe sich verändert, aber die neuen Entwicklungen bieten auch neue Chancen – so die Argumentation auf dem Podium. Worin diese neuen Chancen bestehen, habe ich aber nicht verstanden.

Im zweiten Panel ging es dann um die räumlichen Auswirkungen der Clubkultur: unter dem Motto „Das Event,  die Stadt und das Eigentum“ diskutierten hier Gerrit Schultz (Betreiber vom WMF-Club), Tobias Rapp (Kulturjournalist, Spiegel), Ted Gaier (Musiker, Goldene Zitronen) und Björn Böhning (Politiker, SPD). Christoph Gurk (Musikkurator HAU) und Jens Balzer (Kulturjournalist, Berliner Zeitung) moderierten die Debatte und ich durfte die Rolle des Wissenschaftlers spielen…

UPDATE: hier ein kleiner Artikel zur Diskussion in der taz: Die Kleinen und die Bösen:

Dem (der Gentrification) möchte der Stadtsoziologe Andrej Holm durch Strategien der Dislokation begegnen, in dem man boomenden Vierteln bewusst aus dem Weg geht, oder durch De-Attraktivierung von beliebten Orten. So viel wurde bei „Life is live“ klar: Die Stadt der Zukunft muss sich ihre Lebbarkeit aufs Neue erkämpfen, Popmusik wird dabei eine zentrale Rolle spielen.

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Hamburg: Zeitmaschine der Gentrification

Zufällig bin ich im Netz auf einen Artikel von Tom Schimmeck aus dem Jahre 1988 gestoßen. Das Thema: die Aufwertung der Hamburger Innenstadt. Der Ort: das Schanzenviertel. Die Akteure: Yuppies, Künstler, Alternative. Der Titel: Lachs oder Fladenbrot. Tom Schimmeck über das Hamburger „Flora“ und die „Yuppisierung“ der Großstädte. Tom Schimmeck greift damit eine Kapitelüberschrift aus dem lange Zeit als Standardwerk geltenden Band von Hartmut Häußermann/Walter Siebel „Neue Urbanität“ von 1987 auf. Dort wurden unter dem Titel „Vom Müsli zum Kaviar oder Die Renaissance der Innenstädte“ die Lebensstilübergänge in Aufwertungsprozessen beschrieben.

In Tom Schimmecks Artikel geht es um die hanseatische Variante der Gentrification und Ausgangspunkt sind die umstrittenen und ja auch verhinderten Pläne zur Wiedererrichtung des Musical-Theaters Flora im Hamburger Schanzenviertel. Der Text versucht sich an einer stadtentwicklungspolitischen Einordnung der damaligen Proteste:

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Radiointerview: Künstler, Stadt und Investoren

Bereits im September anläßlich eines Aktionstages im Hamburger Gängeviertel habe ich bei Deutschlandradio Kultur ein kleines Interview zu Aufwertung, Stadtentwicklung und Alternativen gegeben. Alles nicht mehr ganz aktuell, aber es waren auch ein paar grundsätzliche Gedanken dabei. Alle die es hören mögen: „Nach den Künstlern kommen die Investoren (8:43 min)„.

Habe es rund um die Ausstrahlung verpasst, das Gespräch hier in das Blog zu stellen, vielleicht auch, weil es mir ein wenig peinlich war, nach den Alternativen zu Großinvestoren gefragt, nur auf Genossenschaften und Baugrupppen verwiesen zu haben. Da gäbe es sicher viel mehr zu sagen und eine Perspektive von echter Vergesellschaftung anzudeuten – das hab ich verpasst. Trotzdem hier zum Nachlesen die schriftliche Fassung des Interviews:

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Hamburg: Naturgesetz der Aufwertung?

In der Ausgabe des Hamburger Abendblattes vom 27.11.2009 ist ein bemerkenswerter Gastbeitrag von Willfried Maier (GAL), dem ehemaligen Stadtentwicklungssenator von Hamburg (1997-2001) zu finden: „Das Lebensgesetz moderner Städte schlecht verstanden„.

In seinem Text setzt er sich mit dem Manifest „Not in our Name“ auseinander und streitet vehement den Vorwurf einer stadträumlichen Spaltung in Hamburgs Innenstadt ab.

Die Auseinandersetzungen um das Gängeviertel, um das Bernhard-Nocht-Quartier in St. Pauli, um die Ikea-Ansiedlung in Altona sind nicht Resultat räumlicher Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Sondern Begleiterscheinungen einer Neubelebung der inneren Stadt.

Niemand würde ernsthaft bezweifeln wollen, dass die aktuellen Konflikte Resultat einer forcierten Innenstadtentwicklung sind, doch warum sich eine „Neubelebung der inneren Stadt“ und eine „räumliche Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen“ ausschließen müssen, bleibt erst einmal ungeklärt. Vielleicht ist das eine ja nur ein euphemistischer Ausdruck des anderen?

Der unglückliche Begriff der „Neubelebung“ ist dabei offenbar kein rhetorischer Fehltritt, sondern Prinzip. Am Ende des Beitrags wird uns noch ein „Lebensgesetz der modernen Städte“ präsentiert. Was kommt da als nächstes an biologistischen Methaphern auf uns zu:  ‚Keimzellen der Entwicklung‘, ‚Krebsgeschwüre der Armut‘ oder ein  ‚Lebensborn der kreativen Klasse‘?

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Hamburg: Stadt. Globalisierung. Partizipation (Veranstaltungsankündigung)

Das Eine-Welt-Netzwerk-Hamburg hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geographie der Universität Hamburg eine Tagung rund ums Thema Soziale Bewegungen und Teilhabe an städtischen Entwicklungen vorbereitet:

Soziale Bewegungen, lokale Initiativen und städtische Teilhabe

Freitag, 27.11.2009, 14:00 Uhr

Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften (ZMAW -Hörsaal 022/023), Bundesstraße 53, 20146 Hamburg

Programm

  • Einleitung
    Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge, Universität Hamburg
    Jonna Tikkanen, Eine Welt Netzwerk Hamburg e.V.
  • “Städtische Bewegungen der Gegenwart“
    Prof. Dr. Marcelo Lopes de Souza,
    Bundesuniversität Rio de Janeiro, Brasilien
  • „Soziale Bewegungen und städtische Teilhabe im deutschen Kontext“
    Dr. Andrej Holm, Goethe Universität Frankfurt am Main
  • „Stadtteilentwicklung und Partizipation im Quartier Osdorfer Born“
    Wolfgang Oehler, Büro CONVENT – integrierte Stadt- und Regionalentwicklung
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    Gentrification: Trend zur Zombietown oder Politökonomie?

    Die Proteste gegen die unternehmerische Stadtpolitik in Hamburg haben ein erhebliches mediales Echo ausgelöst. Das Anti-Gentrification-Manifest „Not In Our Name – Marke Hamburg“ hat es bis in die Zeit und die Süddeutsche Zeitung geschafft, inzwischen berichtet sogar die taz über das Gängeviertel (siehe unten) und das traditionell konservative Hamburger Abendblatt hat sich inzwischen sogar fast schon der Hofberichterstattung des Protestes verschrieben. In der Wochenendausgabe ist dort unter dem Titel „Der Kampf um das Leben in der Stadt Hamburg“ ein ausführlicher Bericht über die Vielfalt der städtischen Proteste in Hamburg zu finden, der wesentliche Argumentationen von Aktivist/innen zu Wort kommen lässt:

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    Hamburg: „Die Stadt gehört ja eigentlich allen“ (Mitschnitt)

    Von der Diskussionsveranstaltung am vergangenen Dienstag (17.11.) im Gängeviertel gibt es inzwischen einen Mitschnitt vom Radio FSK: [Podcast] „Die Stadt gehört ja eigentlich allen“.

    Mitschnitt der Diskussionsveranstaltung vom 17. November 2009 aus der Jupi-Bar im Hamburger Gängeviertel, unter anderem mit Andrej Holm, Ingrid Breckner und Christoph Schäfer, der am Mittwoch in der Sendung „Die Stadt gehört ja eigentlich allen“ lief.

    Download  bei Freie Radios.Net unter http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=30781 (100 min)

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