Berlin Nordneukölln: „es gibt sogar schon Diplomaten hier“

In der erst kürzlich auch hier besprochenen Artikelserie „Soziale Stadt“ in der taz gibt es heute ein aufschlussreiches Interview mit einem Hausverwalter in Nordneukölln, der den Aufschwung der letzten Jahre aus seiner Perspektive darstellt: „Vertreibungsgefahr ist nicht so groß“.

Während selbst kleinräumige Statistiken bisher nicht geeignet waren, die symbolischen Aufwertungen und den Imagewandel von Nordneukölln auch empirisch zu bestätigen und Verdrängungswarnungen oft mit dem Vorwurf einer nur „gefühlten Gentrification“ konfrontiert waren, gibt es nun ein paar handfeste und glaubwürdige Indizien für die beginnende Gentrification dort. Bernd Girke, Hausverwalter von vier Häuser in der Umgebung des Weichselplatztes benennt im Interview gegenüber der taz, eine steigende Nachfrage nach Wohnungen im Gebiet, höhere Neuvermietungsmieten und eine wachsende Investitionsbereitschaft der Eigentümer als klare Merkmale des Wandels.

Unabhängig von den spannenden Informationen zum Vermietungsgeschäft im Neuköllner Norden gibt es ein wunderschönes Zitat zur fast schon sympathischen Piefigkeit des alten Westberlin:

taz: (…) Sie haben am Weichselplatz einen schönen Spielplatz, es gibt ein kinderfreundliches Café, einen Bio-Eisladen, Kindermodegeschäft. Manche sagen, der Weichselplatz ist schon bald der Kollwitzplatz von Neukölln.

Antwort Girke: Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war noch nie am Kollwitzplatz, zumindest ist den letzten 20 Jahren nicht. Darum weiß ich auch nicht, ist das was Positives, was Negatives? Jedenfalls freue ich mich, wenn ich nach Hause komme und sehe, dass das Café voll ist und überall Fahrräder stehen und auf dem Spielplatz voller Betrieb ist.

Passend zum Thema hab ich auch folgenden Blogeintrag bei Allexander Korte gefunden: Reuterkiez kommt?

Als Mitte-Boy muss ich mit ansehen wie unser Viertel vermainstreamt und die Karawane der Jungen und Schönen (=Gentrification) weiterzieht in ein mir fernes und unbekanntes Land. Sie nennen es Kreuzkölln oder Neukölln-Nord. (www.korte.de)

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Berlin: Senat plant „erhebliche Aufwertungen“ in Neukölln

Die Retter der Stadt sind wieder da! Diesmal in Gestalt der Senatsverwaltung und des Planungsbüros PFE.  Ein Artikel in der Berliner Zeitung berichtet über die Ergebnisse der Vorbereitenden Untersuchung für die Festlegung eines Sanierungsgebietes im Gebiet Maybachufer / Elbestraße in Berlin Neukölln: „Schöner wohnen an der Sonnenallee„.

Heruntergekommene Häuser, dunkle Wohnungen, marode Straßen, ungepflegte Parks und Wege – so charakterisieren Stadtplaner das dicht besiedelte Neuköllner Wohngebiet zwischen Sonnenallee und Landwehrkanal. Allein 107 Millionen Euro wären in den kommenden Jahren nötig, um das Wohnviertel „lebendig, attraktiv und vielfältig umzugestalten“, sagt Olaf Gersmeier vom Stadtplanungsbüro PFE.

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Berlin: Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe

In der aktuellen Ausgabe der Berliner Zeitung gibt es einen Artikel zu einer sozialwissenschaftlichen Studie, die die diskriminierende Vermietungspraxis von Berliner Wohnungsververwaltungen gegenüber türkischen Wohnungsbewerberinnen untersucht hat: „Mietvertrag nur für Deutsche„. Die Soziologin Emsal Kilic von der Humboldt-Universität hat für ihre Diplomarbeit hunderte Bewerbungsschreiben an Wohnungsverwaltungen in Wilmersdorf und Neukölln geschreiben um deren Vermietungsverhalten gegenüber türkischen Wohungssuchenden zu analysieren:

„Die Reaktionen der Vermieter reichten von unterschwelliger Feindseligkeit bis zu offensichtlicher Ablehnung“, sagt Emsal Kilic. Für viele Nichtdeutsche seien diese Reaktionen längst ein „alltägliches selbstverständliches Phänomen“. Als „klare Form von Diskriminierung“ bezeichnete der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann das Ergebnis der Studie. Der Professor hatte die Studie betreut.
Häußermann sagt, oft würden Hausverwalter und Vermieter das Argument vortragen, ihre Mieter wollten keine Migranten als Nachbarn und die Vermieter müssten ihre Mieter zufriedenstellen. „Offenbar müssen diese Mitarbeiter besser geschult werden, damit sie ihre Vorurteile abbauen“, sagte Häußermann.

Die Wohnungswirtschaft in Berlin streitet diesen Vorwurf erwartungsgemäß ab. Interessant sind allenfalls die Begründungen:

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Berlin: Zweierlei Aufwertungsperspektiven

In der taz von heute gibt es zwei Beiträge, die zumindest in ihren Überschriften ankündigen, sich mit Gentrification zu beschäftigen. Jan Feddersen erklärt in seiner Kolumne: „Gentrification – na, prima!„, Peter Nowak beschreibt in seinem Beitrag: „Eine türkische Familie unter Druck. Wie Migranten mit der Gentrifizierung zurechtkommen„.

Kurz zusammengefasst fragt sich Jan Feddersen, der selbst im Aufwertungsverdachtsgebiet Nord-Neukölln wohnt, was denn an der Aufwertung eigentlich schlecht sei und lässt uns an seinen Vorstellungen von einer „guten Stadt“ teilhaben:

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Berlin: „kleinsträumige Gentrification“ in Neukölln

Im Neuen Deutschland gibt es zwei Artikel zu den aktuellen Stadtentwicklungstendenzen in Neukölln. DerAustellungsbericht  „Auf Dauer kommen Reiche“ stellt die Austellung „Wer macht die Stadt für wen?“ (pdf) der Kiezgruppe Neukölln vor (noch bis zum 31.8. im »New Yorck«, Mariannenplatz 2 in Kreuzberg zu sehen:

»Wer macht die Stadt für wen?«, lautet der Titel einer Ausstellung, in der es um die Veränderungen in Neukölln, insbesondere im Norden, geht. Seit zwei, drei Jahren mausert sich der einstige »Schmuddelbezirk« zum neuen In-Kiez, rund um Reuter- und Weserstraße eröffnen Galerien, Ateliers, Szenekneipen und Cafés. Doch schon machen sich Ängste breit: Droht eine Gentrifizierung, also eine Aufwertung des Kiezes mit Mieterhöhungen und der Verdrängung alteingesessener Bewohner? Inwieweit ist die Entwicklung von der Politik gesteuert und wie kann man ihr entgegenwirken?

Mit diesen Fragen hat sich eine Gruppe von (Nord-)Neuköllnern beschäftigt, die als Studierende und Akademiker selbst Teil dieses »Aufwertungsprozesses« sind und sich dennoch – oder eben deshalb – gegen die Gentrifizierungstendenzen in ihrem Kiez wehrt. Ihre These: Die Aufwertung von Stadtteilen wird immer auch von der Politik mit angestoßen, zum Beispiel über die Festlegung von Sanierungsgebieten und die Förderung von Projekten, die den Kiez positiv in die Medien bringen und so das Image verbessern sollen.

Als Kontrast zu den Thesen der Ausstellung gibt es in der selben Ausgabe des Neuen Deutschland noch ein Interview mit Sigmar Gude: „Gentrifiziertes Neukölln? Sigmar Gude sieht keine Verdrängungstendenzen“. Weiterlesen

Landeanflug der Aufwertung. Was ist vom Flughafengelände Tempelhof zu erwarten?

Flughafen Tempelhof. Kaum ist der Flugbetrieb eingestellt, beginnt schon das Gerangel um die Verwertungsmöglichkeiten. Das ehemalige Hauptgebäude ist mit einem Handstreich des Regierenden Bürgermeisters an die internationale Modemesse „Bread & Butter“ vergeben, der Bund als Miteigentümer will sich die Übertragung seiner Liegenschaftsanteile an das Land Berlin satte 40 Mio. Euro kosten lassen und dass ausgerechnet die Edelarchitekten von GRAFT die Planungen für das neu entstehende Wohngebiete Columbiaquartier übertragen bekommen sollen, lässt auch nicht Gutes erwarten. Anwohner/innen befürchten schon jetzt, dass statt der Flugzeuge künftig die Mieten in den Himmel steigen.

Es lohnt sich also ein Blick auf die stadtentwicklungspolitischen Effekte der Zukunftsplanungen auf dem ehemaligen Flughafengelände. Wie bei alle Großprojekte sind auch hier die Projektebene selbst, die Auswirkungen auf die unmittelbare Nachbarschaft und der städtischen Gesamtkontext zu hinterfragen.

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Berlin | Zürich: Gentrification light?

Gentrification ist ein „dirty word“ (Neil Smith). Auch aktuelle Beispiele zeigen, dass vor allem Stadtverwaltungen und die Immobilienwirtschaft in eine Rhetorik der Verharmlosung verfallen, wenn es darum geht, Verdrängungsprozesse zu beschreiben.

Beispiel Zürich: Die Neue Züricher Zeitung argumentiert im Artikel Übertriebene Angst vor «Yuppisierung» an der Langstrasse, dass die Verdrängung nicht so drastisch sei, wie wahrgenommen. Zwar habe es größere soziale Veränderungen gegeben, aber die könne nicht als Verdrängung beschrieben werden, schließlich seien die früheren Bewohner/innen aus anderen Gründen ausgezogen… (mehr)

Beispiel Berlin Prenzlauer Berg: Um den Erfolg der Berliner Stadterneuerungspolitik zu demonstrieren wählte die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ausgerechnet den Kollwitzplatz in Prenzlauere Berg aus. Nein, es ging ihr nicht um die magere soziale Bilanz von 15 Jahren Sanierung (mehr dazu hier im gentrificationblog) sondern um die Vorstellung des Campus der Grundschule am Kollwitzplatz als ‚gelungenes Beispiel für eine familiengerechte Stadterneuerung‘. Um solche Erfolge zu zelebrieren, wird das verpassten Sanierungsziel einer sozial verträglichen Modernisierung einfach ausgeblendet. Auch eine Variante, sich eine Realität zu schaffen. Im Neuen Deutschland ist die Jubelveranstaltung anschaulich beschrieben: Respekt vor Kindern am Kollwitzplatz.

Beispiel Berlin Neukölln: Eine kürzlich vorgestellte Studie zur boomenden Kreativwirtschaft hat gerade wieder Neukölln und sogar Teile von Wedding als künftige hot-spots der Aufwertung identifiziert. In der Berliner Morgenpost (Studie sagt Berlins Kreativwirtschaft starkes Wachstum voraus) heisst es:

Bereits durch diese erste Studie werde deutlich, welche Impulse von den Kreativen ausgingen und wie Kunst und Kultur Stadtteile, auch im sozialen Bereich, verändern könnten. Als Beispiel nannte sie „Szene-Quartiere“ wie Nord-Neukölln und Wedding.

Um nicht auf den Gedanken zu kommen, solche Impulse könnten irgendwas mit Aufwertung oder Verdrängung zu tun haben, gibt es den Plötz-Immoblienführer: In Neukölln muss man steigenden Miete nicht fürchten (Berliner Morgenpost). Na, dann wird ja alles gut…

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Berlin: Der Aufwertungszirkel

Eigentlich sind Meldungen über längst Bekanntes keine Zeitungsartikel wert, doch der Tagesspiegel in Berlin erinnert uns dankenswerter Weise in seiner aktuellen Ausgabe an eine unbeliebte Tatsache: Wohnen wird teurer. Zitiert wird diesmal eine Studie von Jones Lang LaSalle (JLL), die ein sogenanntes „Residential City Profile Berlin“ vorgelegt haben. Allein in den letzten sechs Monaten seien die Mieten in Berlin um 2,5 Prozent gestiegen. Doch interessant ist nicht nur der Fakt der Preissteigerungen, sondern deren raum-zeitliche Entwicklung. Die Geographie der Aufwertung in Berlin lässt sich für die vergangenen 18 Jahre als fast geschlossener Kreis über den Innenstadtbezirken darstellen…

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Zu schlecht für die Aufwertung?

Fast möchte man von einem kleinen Boom sprechen: Gentrification ist im Laufe des letzten Jahres als Begriff in der deutschsprachigen Öffentlichkeit bekannt geworden. Karin Baumert hat sich in weiser Voraussicht schon im vergangenen Sommer beim BKA für diesen Popularitätsschub bedankt und festgestellt: „Gentrifizierung ist Terror“.

Doch nicht nur, dass nun alle Welt zu wissen scheint, was es mit der Gentrification auf sich hat, der Begriff wird auch noch fast inflationär gebraucht. War es lange Zeit selbst bei eindeutiger Sach- und Faktenlage umstritten, die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse beim Namen zu nennen, wird heutzutage gefühlt jede Neueröffnung einer Galerie oder In-Location und jeder Eigentümerwechsel mit einer Gentrifcationanalyse verbunden. Insbesondere in bisher eher als Problemviertel gehandelten Nachbarschaften wie Hamburg Wilhelmsburg oder Berlin Neukölln wirkt dies für viele überraschend. Doch was ist dran an der Aufwertung in bisher abgehängten Stadtlagen?

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