Berlin Prenzlauer Berg: „Zeit zu gehen“

Erst am Wochenende habe ich über das Ende des Knaack-Clubs und die Reprivatisierung des Hirschhofs gebloggt. In der Montagsausgabe der Berliner Zeitung wird der Abschied der Musik- und Partyszene aus dem Aufwertungsgebiet Prenzlauer Berg sogar mit einem Aufmacher auf der Seite Drei gewürdigt: „Mach`s gut, Prenzl Berg. Immer mehr Clubs flüchten aus dem früheren Szenebezirk„.

Die Partyszene ist auf der Flucht aus Prenzlauer Berg, und meistens sind Klagen wegen Ruhestörung dafür die Ursache. (…) „Zeit zu gehen“, hieß es knapp, als der Magnet von der Greifswalder Straße wegzog. Die Interessen von Vermieter und Club-Betreiber ließen sich in diesem bürgerlichen Viertel nicht länger vereinbaren.

Der Magnetklub ist bereits  nach Kreuzberg umgezogen, der Knaack-Club wird ihm wohl noch dieses Jahr folgen.

Mittlerweile kämpft hier nahezu jeder Club, dessen Sound den Geräuschpegel einer Eisdiele überschreitet, mit Klagen der Nachbarn, auch solche Institutionen der Gegend wie Duncker, Wohnzimmer, Kulturbrauerei oder Zum Schmutzigen Hobby. Fast immer geht es um Lärmbelästigung.

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Berlin: Gutsherren der Gentrification

Bei den Versuchen, den Gentrification-Begriff ins Deutsche zu übertragen, brachte Anna Fischhaber in der Süddeutschen Zeitung (Teuer, teurer, München) den Begriff der Veradelung ins Spiel. Diese wörtliche Übersetzung des Wortspiels mit den ‚gentry‘ (niederer Adel), die in die Städte zurückkehren, hat sich bisher nicht durchsetzen können. Zwei aktuelle Entwicklungen im Berliner Aufwertungsgebiet Prenzlauer Berg ziegen nun, dass mit der Gentrification tatsächlich eine quasifeudale Gutsherrenmentalität Einzug gehalten hat.

Die taz berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe über die Klage von Wohnungseigentümern in einer neugebauten Wohnanlage gegen den seit über Jahren dort ansässigen Knaack Klub (Früher Clubber – heute Kläger)  und die Umwandlung des seit 1980 nachbarschaftlich organisierten und genutzten Hirschhofs in Privatgärten von Wohnungserwerber/innen (Anwohner wollen Park für sich). In beiden Fällen leiten die (überwiegend) neuzugezogenen Wohnungserwerber/innen aus ihren Eigentumstiteln einen auf die Wohnumgebung bezogenen Gestaltungsanspruch ab, der in den Beispielen langgewachsene (Knaack Klub) und kollektiv erkämpfte (Hirschhof) Strukturen der Nachbarschaften in Frage stellt. Gereon Asmuth fordert in einem engagierten Kommentar daher völlig zurecht die Enteignung der Neueigentümer/innen (Enteignet die Spinner!).

UPDATE: Inzwischen wurden weitere Berichte in Berliner Tagsezeitungen zur Hirschhof-Privatisierung veröffentlicht.

Berliner Zeitung: Gericht sieht im Hirschhof keine Grünfläche mehr

Tagesspiegel: Hofgericht in Prenzlauer Berg

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Berlin: Biennale löst Gentrification-Debatte aus

Streetart in der Boxhagener Straße in Berlin-Friedrichshain - Foto: Henning Onken via http://www.artmagazine.cc/

Am vergangenen Wochenende startete die Berliner Biennale für zeitgenössische Kunst. Neben zwei Ausstellungsorten in Mitte (Kunst-Werke in der Auguststraße und Neue Nationalgalerie) haben sich die Kurator/innen für gleich vier Standorte in Kreuzberg entschieden. Die Verlagerung der Biennale-Aktivitäten nach Kreuzberg hat sowohl unter Künstler/innen als auch in der Nachbarschaft selbst Debatten um das Gentrification-Thema ausgelöst.

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Berlin-Wedding: Im Schatten der Aufwertung

Anti-Gentrification-Torte, VoKü Schererstraße 8, Berlin-Wedding (Bild: annalist)

Am Donnerstag Abend fand unter der Frage „Gentrifizierung im Wedding?“ eine Veranstaltung im Polit-Cafè im Hausprojekt Schererstraße 8 im Wedding statt. Die gut besuchte Veranstaltung (etwa 70 Leute) diskutierte nach einer kleinen Einführung, ob und welche Aufwertungsanzeichen im Wedding zu beobachten sind. In einer kleinen Einführung zu den aktuellen Aufwertungsdynamiken in Berlin hatte ich vorgeschlagen, folgende Auslöser bzw. Motoren der Aufwertung zu unterscheiden:

  • Politisch initiierte Gentrification (z.B. Sanierungsgebiete oder gezielte Quartiersaufwertungen)
  • Symbolische Aufwertung durch Enklavenbildungen von Pioniernutzungen
  • Mietsteigerungen durch Umzüge aus anderen Aufwertungsgebieten (Umzugskettenaufwertung)
  • Aufwertung durch Nachbarschaftseffekte von Neubauprojekten

In der anschließenden Diskussion wurden entlang von diesen Aufwertungsaspekten viele Beobachtungen und Einschätzungen aus verschiedenen Stadtteilen zusammengetragen. Auch wenn eine solche Diskussion sicher nicht den Charakter einer repräsentativen Untersuchung hat, wurden Aufwertungsindizien für alle Bereiche vorgetragen.

Auf dem nächsten Treffen am 10. Juni (Donnerstag) soll über Strategien diskutiert werden, wie Mietsteigerungen und Verdrängungseffekte im Wedding möglichst frühzeitig verhindert werden können.

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München: Champagner zur Currywurst

In der Süddeutschen Zeitung schreibt Beate Wild eine Kolumne über das Münchener Nachtleben (After Eight), in der sie seit ein paar Monaten das Ende des Glockenbachviertels betrauert. Artikel wie Requiem für ein Viertel (14.01.2010) und Der nächste Todesstoß (25.03.2010) stehen für die Wahrnehmung einer urbanen Apokalypse des ehemaligen Szeneviertels.

Das Glockenbachviertel – so die Beobachtungen von Beate Wild –  verliert den Charme von Coolness und Happienes der vergangenen Jahre. Lange Zeit als Standort einer Schwul-Lesbischen-und-Nachtclubszene gefeiert schließen nun viele der angesagten Clubs und Kneipen. Stattdessen etabliere sich im Viertel ein schnöder Vergnügungskommerz. Aufhänger ihrer Geschichte ist die neue Speisekarte einer Currywurstbude, die unter anderem eine kleine Flasche Champagner für 59 Euro empfiehlt.

Curry heißt der Laden schlicht. Weniger schlicht ist das Angebot. Und genau hier liegt das Problem. Champagner in einer Currywurst-Bude? Und das im wahnsinnig lässigen Glockenbach, dem Szeneviertel Münchens schlechthin? Das ist der Anfang vom Ende dieses Viertels. Das Ende der Coolness, das Aus für die Subkultur, das Amen für die In-Lokale.

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Wien: Dezentralisierung der Aufwertung

Im Wiener Journal gibt es einen spannenden Beitrag über den kleinen Boom von Trendquartieren in der österreichischen Hauptstadt: Griss um die Trendviertel.   „Griss“ bedeutet dabei so viel wie Andrang:

Der Traum von jungen Wienern in urbanen Bildern: Frühstücken vor der Haustür am Naschmarkt, gegen Sonnenuntergang Abendessen auf der eigenen Dachterrasse mit Blick über Wien. Keine Frage, in Wien gibt es mit Naschmarkt, Karmelitermarkt, Yppenplatz und Spittelberg gefragte Stadtviertel.

Die Beschreibung der Wiener Pionierzonen städtischer Aufwertung klingt wie solche Entwicklungen in hunderten internationalen Studien beschrieben werden:

Diese Pioniere setzen Kulturinitiativen, gründen Lokale oder übernehmen Geschäfte. Nach einiger Zeit werde dieser Stadtteil dann entdeckt, „wodurch die Immobilienpreise steigen und die ‚Pioniere‘ letztlich verdrängt werden“.

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Berlin: Clubkultur und Gentrification

Am Samstag fand im Hebbel am Ufer (HAU 2) die Veranstaltungsreihe LIFE IS LIVE statt. Im ersten Panel diskutierten verschiedene Musiker, Konzert- und Tourneeveranstalter/innen und eine Musikkuratorin über die Auswirkungen der Tonträgerkrise auf die Eventbranche der Musikindustrie. Richtig Geld verdient werden kann – so in etwa der Tenor – eigentlich nur noch mit Life-Events. Die bestehende Vielfalt von Konzertagenturen und Veranstaltern gerät dabei zunehmend unter den Monopolisierungsdruck internationaler Player der Branche wie Life Nation.  Eine höhere Frequenz an Auftritten und die verstärkte Orientierung am Spektakel sind ebenso Folgen dieser Entwicklung wie die Etablierung von Life-Events durch größere Konzerne (wie z.B. der Telekom) die mit solchen Ereignissen ihr Zielgruppen-Portfolio erweitern wollen. Vieles habe sich verändert, aber die neuen Entwicklungen bieten auch neue Chancen – so die Argumentation auf dem Podium. Worin diese neuen Chancen bestehen, habe ich aber nicht verstanden.

Im zweiten Panel ging es dann um die räumlichen Auswirkungen der Clubkultur: unter dem Motto „Das Event,  die Stadt und das Eigentum“ diskutierten hier Gerrit Schultz (Betreiber vom WMF-Club), Tobias Rapp (Kulturjournalist, Spiegel), Ted Gaier (Musiker, Goldene Zitronen) und Björn Böhning (Politiker, SPD). Christoph Gurk (Musikkurator HAU) und Jens Balzer (Kulturjournalist, Berliner Zeitung) moderierten die Debatte und ich durfte die Rolle des Wissenschaftlers spielen…

UPDATE: hier ein kleiner Artikel zur Diskussion in der taz: Die Kleinen und die Bösen:

Dem (der Gentrification) möchte der Stadtsoziologe Andrej Holm durch Strategien der Dislokation begegnen, in dem man boomenden Vierteln bewusst aus dem Weg geht, oder durch De-Attraktivierung von beliebten Orten. So viel wurde bei „Life is live“ klar: Die Stadt der Zukunft muss sich ihre Lebbarkeit aufs Neue erkämpfen, Popmusik wird dabei eine zentrale Rolle spielen.

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Berlin: Zweierlei Aufwertungsperspektiven

In der taz von heute gibt es zwei Beiträge, die zumindest in ihren Überschriften ankündigen, sich mit Gentrification zu beschäftigen. Jan Feddersen erklärt in seiner Kolumne: „Gentrification – na, prima!„, Peter Nowak beschreibt in seinem Beitrag: „Eine türkische Familie unter Druck. Wie Migranten mit der Gentrifizierung zurechtkommen„.

Kurz zusammengefasst fragt sich Jan Feddersen, der selbst im Aufwertungsverdachtsgebiet Nord-Neukölln wohnt, was denn an der Aufwertung eigentlich schlecht sei und lässt uns an seinen Vorstellungen von einer „guten Stadt“ teilhaben:

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Berlin: Galeristen entdecken eine „Neue Mitte“

Pionierphasen der Aufwertung gehen oft mit dem Mythos der neu entdeckten In-Viertel einher. Hier ein neues Cafe, dort ein Galerie und schon ändert sich der Ruf des Quartiers. Dieser idealtypische Beginn einer Aufwertung funktioniert jedoch nur, wenn es ein Medium gibt, diese symbolischen Veränderungen in die Welt zu tragen.

Ein gutes Beispiel für solche eine symbolische Aufwertung ist auf Spiegel Online zu finden. Unter dem Titel „Berliner Kunstszene: Glamour für die Potse“ wird die beginnende Verwandlung der bisher als Schmuddelecke rezipierten Gegend um die Potsdamer Straße in Schöneberg zur „Neuen Mitte“ herbeigeschrieben. Anlass sind eine handvoll Neueröffnungen von Galerien: Weiterlesen

Berlin: Die Karawane zieht weiter – Stationen einer Aufwertung

Räumliche Verlagerung von Pionierphasen der Gentrification in Berlin (1987-2007)

Räumliche Verlagerung von Pionierphasen der Gentrification in Berlin (1987-2007)

Für einen im Herbst erscheinenden Istanbul-Berlin-Stadtreader anlässlich der 20jährigen Städtepartnerschaft Berlin Istanbul wurde ich eingeladen, die Berliner Aufwertungsdynamiken zu beschreiben. Ein ausführliche Version des für den Reader geschriebenen Textes  gibt es schon vorab hier auf dem Gentrificationblog zu lesen (siehe unten).

Eine wirklich empfehlenswerte Veranstaltung im Zusammenhang des Jahrestages der Städtepartnerschaft ist die vom August-Bebel-Institut und dem Forum Berlin Istanbul organisierte Konferenz »Zivilgesellschaft(en) in Berlin und Istanbul« (6.-9. Oktober 2009, Berlin). Thema dort ist explizit die „Stadt als Ort zivilgesellschaftlichen Engagements“.

Aber jetzt zum versprochenen Text zu den Stationen der Berliner Aufwertung:

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