Berlin: Räumung soll Rendite aus dem Keller holen

Vor ein paar Jahren hat Karin Baumert die Gentrification als Terror beschrieben – wie bei jedem gut organisierten Verbrechen kommt irgendwann die Zeit der Spurenbeseitigung. In Berlin werden gerade die letzten Artefakte des politisch und subkulturellen Aufbruchs Anfang der 1990er Jahre  abgeräumt. Allein in Mitte und Prenzlauer Berg sind etliche Projekte davon betroffen:  das Hausprojekt in der Brunnenstraße 183 wurde bereits geräumt, der Linienhof soll einer Baugruppe weichen, dem Schokoladen in der Ackerstraße wurde gekündigt, das ACUD in die Insolvenz getrieben und selbst das weitgehend kommerzialisierte Tacheles soll einer Neubauinvestition weichen…

In diese Kette von Kündigungen, Schließungen und Räumungen von Einrichtungen einer vor zwanzig Jahren in der Nachwendezeit entstandenen Alternatiiv- und Subkultur reiht sich nun auch der gestrige Räumungsversuch gegen den Umsonstladen in den Kellerräumen der Kastanienallee 86 ein. Mit Hubschraubereinsatz und einer Polizeihundertschaft wollte einen Räumungstitel des Berliner Landgerichts für den Hauseigentümer durchsetzen. Nach der Vermittlung durch die lokale Politprominenz (u.a. Volker Ratzmann, Stefan Liebig) wurde sich auf den ‚Kompromiss‘ geeinigt, die Räume versiegeln zu lassen, aber an einem ‚Runden Tisch‘ nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen…

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Berlin: Auf dem Weg in die Zitadellenökonomie

Wir schreiben das Jahr 2010 und der Oktober rückt immer näher. Und mit ihm die unweigerlichen Erinnerungssendungen, Jubelveranstaltungen und Sachbuchvorstellungen zum 20. Jahrestag der sogenannten Wiedervereinigung. Den Reigen der Bilanzen hat ausgerechnet der telegraph (ostdeutsche zeitschrift) eröffnet. In knapp zwanzig Beiträgen wird eine linke Rückschau auf zwei Dekaden vereinigtes Deutschland präsentiert. In der taz (Grundhaltung bewahrt) und dem Neuen Deutschland (Linke ostdeutsche Opposition) gab es zwei wohlwollende Rezensionen von Peter Nowak. Das Thema Stadtentwicklung und Verdrängung durfte dabei nicht fehlen:

In der aktuellen Ausgabe ist der Mix aus Theorie und Praxis gelungen. Dort zieht der Stadtsoziologe Andrej Holm eine ernüchternde Bilanz von 20 Jahre Stadtsanierung in Prenzlauer Berg: „All die Aufwertungsprognosen der Vergangenheit haben sich erfüllt – aber ,recht haben‘ ist keine Kategorie des politischen Erfolges. Leider.“ (taz)

Der Stadtsoziologe Andrej Holm beschreibt die Entwicklung des Prenzlauer Berg vom kulturanarchistischen Utopia der frühen Wendejahre zur Hochburg der Bionade-Bourgeoisie aus Sicht der Bewohner mit geringem Einkommen. Nicht alle starben aus Gram über ihre aus ökonomischen Zwängen verlassenen Wohnungen, wie der Fotograf Peter Woelck. Aber an den Stadtrand wurden viele verdrängt. »All die Aufwertungsprognosen der Vergangenheit haben sich erfüllt – aber Recht haben ist keine Kategorie des politischen Erfolges. Leider«, so Holms bitteres Resümee. (Neues Deutschland)

Meine Rückschau auf zwanzig Jahre Stadterneuerung in Berlin Prenzlauer Berg gibt es auch hier zu lesen.

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Berlin: Zwangspartnerschaften am Kollwitzplatz

Eisladen am Kollwitzplatz (http://www.kastanienallee15.de)

In der taz veröffentlichte Julia Niemann kürzlich einem bemerkenswerten Artikel über die spezifischen Problemen alleinerziehender Frauen in Prenzlauer Berg: Die verlassenen Macchiato-Mütter.

Das neue, gut ausgebildete Bürgertum tappt in alte Geschlechter-Fallen. Mit der Trennung vom Partner beginnt der soziale Abstieg der Mütter.

Neben einigen Einblicken in die Alltagspraxis des neuen Milieus in Prenzlauer Berg vermittelt der Artikel vor allem, welch normativen Einfluss die hohen Wohnkosten des Aufwertungsgebietes auf die dortigen Lebensmodelle haben. Insbesondere eine Trennung von Partnerschaften mit Kindern sei in Prenzlauer Berg kaum noch finanzierbar.

Seit sie zwei Haushalte finanzieren müssen, sich die Mieten in Berlin aber nahezu verdoppelt haben, haben beide erhebliche finanzielle Probleme – vor allem sie. Sie muss jetzt 800 Euro für eine Wohnung zahlen, die für drei eigentlich zu klein ist. Strom, Telefon, Heizung, Kitagebühren, Hortbeiträge, Versicherungen, Musikschule, Zusatzbeiträge für Krankenkassen kommen dazu. Übrig bleiben 125 Euro in der Woche für sich und die Kinder. Für eine günstigere Wohnung müsste sie den glamourösen Bezirk verlassen

Im Bezirk der Selbständigen (die Sanierungsbiete weisen berlinweit den höchsten Anteil von Selbständigen auf) und Selbstbewussten wird eine Selbstverständlichkeit wie eine Scheidung offenbar zum Problem. Den romantischen Verklärungen der Gentrification zum Trotz, scheint sich die Emanzipation vom suburbanen Hausfrauendasein in neue Formen von Partnerschaftszwängen in Eigentumswohnungen aufzulösen.

In Eigentumswohnungen rund um den Platz leben die – so beschriebenen – zugezogenen, wohlhabenden Familien und pflegen einen Ökochic-Lebensstil. Sie trinken Latte macchiato und lassen ihre Kinder gut angezogen, zucker- und laktosefrei aufwachsen.

Eine Trennung vom Partner scheint mit dem Verlust der Wohnperspektive einherzugehen – denn auch die größeren (kindergerechten) Mietwohnungen richten sich in ihren Mietpreisen überwiegend an Doppelverdienerhaushalte.

UPDATE: Simone Schmollack (taz) findet, das die ‚Macchiato-Mütter‘ selbst Schuld an ihrer Situation sind: „Selbstmitleid im Scenecafé

Macchiato-Mütter verkörpern das spät- und spießbürgerliche Westdeutschland. Sie machen allein ihre Geschlechterdifferenz, über die Frauen wie ich aus dem Osten nicht einmal nachdenken, zum Maßstab. Nur wenige Ostfrauen kämen auf die Idee, sich über einen Mann und die soziale Absicherung durch ihn zu definieren.

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Berlin: Gentrification in Prenzlauer Berg (Audio)

Ich war mal wieder beim Küchenradio und durfte 90 Minuten über mein Lieblingsthema plaudern.

Gentrification in Prenzlauer Berg, Küchenradio mit Andrej Holm (94 min)

Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Uni Oldenburg, war schon mal im Küchenradio. Damals ging es ausschließlich um das jahrelange und von vielen Absurditäten geprägte Verfahren der Bundesanwaltschaft gegen ihn. Dieses Verfahren wurde jetzt nach vier Jahren eingestellt. Anlass, uns wie versprochen einmal ausführlich Andrejs eigentlichem Thema zu widmen: der Gentrifizierung. Bei einem kleinen Spaziergang durch den Prenzlauer Berg erläutert Andrej die vier Phasen der Gentrifizierung dieses Stadtteils und sagt auch, was dem nächsten Hypestadt-Quartier bevor steht (Neukölln) und wie es sich vom P-Berg unterscheidet. Freuen uns wie immer auf Eure Kommentare. Viel Spaß.

Berlin: Innenansichten der Gentrification

Auf Foxxis-Blog habe ich einen lesenswerten Beitrag eines Wohunngseigentümers in Prenzlauer Berg gefunden. Foxxibaer beschreibt darin seine Rolle als Gentrifier wider Willen: Talkin‘ bout my Gentrification.

Es gibt wenig Blogs bei deren Lektüre ich mich so unbehaglich fühle wie beim Gentrification Blog von Andrej Holm. Das liegt natürlich zunächst einmal am Thema selber und seinem unmittelbaren Niederschlag in meiner örtlichen Umgebung, was aber wirklich schmerzt ist das permanente Fremdschämen, den schließlich bin ich ein Teil dieser Fehlentwicklung…

Foxxibaer beschreibt sehr anschaulich die symbolische Verwandlung von Prenzlauer Berg in eine beliebte Wohnadresse für westdeutsche Studierende Anfang der 1990er Jahre.

Als ich 1990 zum Studium nach Berlin kam wohnte ich, wie die meisten meiner Kommilitonen aus Wetsdeutschland irgendwo in Westberlin. Tempelhof, Lankwitz, Steglitz, Friedenau etc. … Die ersten Wochen war unser bevorzugtes Revier Kreuzberg, schließlich kannten wir uns da aus und nach kürzester Zeit lernten wir Menschen kenne, die schon längere Zeit dort wohnten und dementsprechend den Niedergang Kreuzbergs bejammerten …folgerichtig verlagerten wir, nun um die Kreuzberger Freunde verstärkt, unsere außeruniversitären Aktivitäten immer mehr Richtung Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain…

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Berlin: Luxuswohnprojekt mit „sozialer Verantwortung“ (KolleBelle II)

Erst kürzlich habe ich hier über die Neubauplanungen im Bereich Metzer/Belforter/Straßburger Straße (Nähe Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg) geschrieben: Nach der Sanierung ist vor dem Neubauboom. In einem gut recherchierten Artikel in der Berliner Zeitung präsentiert Stefan Strauß nun noch ein paar spannende Details des Bauvorhabens: Die Angst der alten Mieter vor dem Investor.

Der Artikel beschreibt die große Verunsicherung der Bewohner/innen in den 110 Wohnungen der 60er Jahre Siedlung.

Die Bewohner wissen, dass sie in diesem sehr begehrten Wohnviertel immer noch sehr geringe Mieten zahlen. Eine Zweieinhalbzimmerwohnung mit 56 Quadratmetern kostet etwa 300 Euro kalt. Es sind die letzten bezahlbaren Wohnungen im Kollwitzplatzgebiet, sagt Michail Nelken (Linke), Stadtrat für Stadtentwicklung.

Viele der Mieter/innen leben schon lange in ihren Wohnungen, einige sind über 70 Jahre alt und fürchten den geplanten Eingriff in ihr Wohnumfeld oder sogar eine Verdrängung durch die Immobilienfirma Econ Cept. Die will…

die Freiflächen an der Straßburger Straße mit einem Wohnhaus bebauen, geschlossene Blockrandbebauung nennen das Fachleute. Eine Tiefgarage mit 120 Plätzen ist geplant, Dachgeschosswohnungen sollen auf den bestehenden Häusern entstehen.

Etwa 20 der 110 Wohnungen sollen abgerissen werden, Bewohner/innen werden zum Auszug Abfindungen angeboten. Econ Cept Geschaftsführer Rainer Bahr – einst Gründungsmitglied der Grünen – nennt es eine „ansprechende städtebauliche Lösung“.

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Berlin: Nach der Sanierung ist vor dem Neubauboom

KolleBelle II in der Belforter Straße geplant?

Alle Skeptiker der Berliner Sanierungspolitik dürfen sich bestätigt fühlen. Führte schon die Stadterneuerung der letzten Jahre zu erheblichen Aufwertungs- und Verdrängungseffekten, so wurden mit der Aufhebung der Sanierungssatzungen nun auch verstärkt Neubauprojekten Tür und Tor geöffnet. Allein im April diesen Jahres wurden Anträge für 130 Neubauwohnungen in den ehemaligen Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg gestellt (Dringlichkeitsantrag der Grünen,  BVV Pankow). Luxuswohnprojekte wie der Marthashof oder das Palais Kolle Belle zeigen dabei, wohin die Reise geht.

Um lästige Sanierungsgenehmigungen zu umgehen, konzentrierten sich die Neubauaktivitäten bisher außerhalb der Sanierungsgebiete oder setzten eine vorfristige Entlassung aus den Sanierungssatzungen voraus (durch die vorfristige Zahlung der Ausgleichsbeträge).

Ein Neubauprojekt wird vom KolleBelle-Investor Econ-Cept auf den benachbarten Grundstücken zwischen Belforter-, Metzer- und Straßburger Straße geplant. Informationen von Mieter/innen zufolge soll entlang der Straßburger Straße der Blockrand mit einem siebenstöckigem Wohnhaus geschlossen werden. Dazu sollen jeweils die ersten Aufgänge von zwei Wohnscheiben (Siedlungsbau aus den 1960er Jahren) abgerissen werden. Mehrere alte Bäume müssen dem Bau einer Tiefgarage weichen. Im Flugblatt der Mieterinitiative werden die mit dem Projekt verbundenen Befürchtungen formuliert:

Zudem sehen die Mieter der Häuser die Gefahr, dass durch die Bauarbeiten eine so große Beschädigungen entstehen,dass die Häuser dann komplett abgerissen werden müssen und die zum Teil seit mehr als 50 Jahren hier wohnenden Mieter zum Auszug gezwungen werden. Das Bauprojekt ist für einen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren geplant. Das heißt: Schmutz, Staub, Baulärm, durch Baustelleneinrichtung blockierte Parkplätze und genervte Nachbarn für 2-3Jahre.

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Berlin: Gutsherren der Gentrification

Bei den Versuchen, den Gentrification-Begriff ins Deutsche zu übertragen, brachte Anna Fischhaber in der Süddeutschen Zeitung (Teuer, teurer, München) den Begriff der Veradelung ins Spiel. Diese wörtliche Übersetzung des Wortspiels mit den ‚gentry‘ (niederer Adel), die in die Städte zurückkehren, hat sich bisher nicht durchsetzen können. Zwei aktuelle Entwicklungen im Berliner Aufwertungsgebiet Prenzlauer Berg ziegen nun, dass mit der Gentrification tatsächlich eine quasifeudale Gutsherrenmentalität Einzug gehalten hat.

Die taz berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe über die Klage von Wohnungseigentümern in einer neugebauten Wohnanlage gegen den seit über Jahren dort ansässigen Knaack Klub (Früher Clubber – heute Kläger)  und die Umwandlung des seit 1980 nachbarschaftlich organisierten und genutzten Hirschhofs in Privatgärten von Wohnungserwerber/innen (Anwohner wollen Park für sich). In beiden Fällen leiten die (überwiegend) neuzugezogenen Wohnungserwerber/innen aus ihren Eigentumstiteln einen auf die Wohnumgebung bezogenen Gestaltungsanspruch ab, der in den Beispielen langgewachsene (Knaack Klub) und kollektiv erkämpfte (Hirschhof) Strukturen der Nachbarschaften in Frage stellt. Gereon Asmuth fordert in einem engagierten Kommentar daher völlig zurecht die Enteignung der Neueigentümer/innen (Enteignet die Spinner!).

UPDATE: Inzwischen wurden weitere Berichte in Berliner Tagsezeitungen zur Hirschhof-Privatisierung veröffentlicht.

Berliner Zeitung: Gericht sieht im Hirschhof keine Grünfläche mehr

Tagesspiegel: Hofgericht in Prenzlauer Berg

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Berlin: Street Reading Immobilienwerbung

Sollte es noch eines Arguments dafür bedürfen, dass der Wohnungsmarkt in Berlin kein einheitlicher ist, so sei an dieser Stelle auf die unterschiedlichen Werbebotschaften der Wohnungsunternehmen an verschiedenen Stellen der Stadt verwiesen. In der Ethnologie gibt es seit ein paar Jahren Ansätze einer „Street-Reading“ benannten Methode, um Strukturen und Konflikte in Nachbarschaften zu erfassen und zu deuten. Grundidee ist das systematische Erfassen von allen Zeichen im Raum und deren anschließende Auswertung.  Vielleicht gar keine schlechte Idee – schon eine kleine Auswahl von solchen „Raumzeichen“ (hier Immobilienwerbungen im öffentlichen Raum) provoziert viele Fragen und signalisiert deutlichen Unterschiede zwischen einzelnen Gebieten…

Bei einer kleinen Irrfahrt durch den Stephanskiez (Moabit) ist uns diese hübsche Kundenwerbung aufgefallen. Kernbotschaft: preiswerte Wohngelegenheit.

Immobilienwerbung in Moabit

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Berlin: Abrissgenehmigung als Kündigungsinstrument

Vor ein ein paar Wochen gab es hier einen Beitrag zum Abriss der Kastanienallee 42 mit einem ausführlichen Interview mit einer Mieterin. Zur Erinnerung: Mit einer Wirtschaftlichkeitsberechnung hatte der Eigentümer einen Abriss des Hauses begründet und konnte auf dieser Grundlage die Mietverträge kündigen. Anders als bei Modernisierungsankündigungen gilt ein Abriss aus Wirtschaftlichkeitsgründen als regulärer Kündigungsanlass und bedarf keiner Zustimmung durch die Mieter/innen. Mit solchen Abrissgenehmigungen verschiebt sich das durch Mietrecht halbwegs ausbalancierte Kräfteverhältnis zwischen Mieter/innen und Eigentümer/innen also deutlich zugunsten der Eigentümer/innen und gibt ihnen eine extralegales Kündigungsinstrument in die Hand.

In der taz von heute wurde die Geschichte aufgegriffen. Unter der Überschrift Ein Haus muss weichen lässt Manuela Heim neben der Mieterin auch die Hausverwaltung und die Leiterin des zuständigen Stadtplanungsamtes zu Wort kommen.

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