Prag: Unangepasst gegen Verdrängung

Aufruf zur Aktionswoche der Unangepassten in Prag

Aufruf zur "Aktionswoche der Unangepassten" in Prag

In der aktuellen Ausgabe der Straßenzeitung „Novy Prostor“ (Neuer Raum), die in vielen tschechischen Städten von Obdachlosen verkauft wird, geht es unter anderem um Aufwertungstendenzen und Verdrängung: als internationales Beispiel wird Berlin verhandelt. Tomas Havlin hat einen Artikel geschrieben, den ich leider nur in der tschechischen Version gelesen habe (und deshalb nicht genau verstanden habe, was eigentlich drinsteht). Dazu gibt es ein Interview mit mir: „Berlín míří k Paříži“ (dt. Fassung: „Berlin auf dem Weg nach Paris„).  Das ist ein etwas überspitztes Zitat aus dem Interview:

Vor allem in den Ostberliner Innenstadtgebieten entwickeln sich Inseln des Luxuswohnens. Schon jetzt finden Hartz-IV-Haushalten (Hartz IV ist das deutsche Modell von sozialen Transferleistungen) keine Wohnungen mehr. In Westberliner Innenstadtbezirken und auch in den Großsiedlungen am Stadtrand hingegen konzentrieren sich die ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Noch gibt es in Berlin keine Pariser Verhältnisse (reiche Innenstadt/ausgegrenzte Banlieues), aber ohne politische Eingriffe und eine Rückkehr zu einer sozialen Stadtpolitik geht die Entwicklung in genau diese Richtung.

Soweit ich Tomas Havlin richtig verstanden habe, wurde der Schwerpunkt der Ausgabe nicht ohne Grund gewählt, denn auch in Prag gibt es deutliche Aufwertungstendenzen und eine zunehmende Verdrängung von ‚unangepassten Gruppen‘ aus der Innenstadt. Bei Gelegenheit hoffentlich demnächst auch hier im Blog mal einen ausführlichen Bericht zur Situation in Prag.

Für alle, die kurzfristig Zeit finden, lohnt sich vielleicht eine Reise nach Prag. Vom 12. bis 19. Septmember findet dort eine stadtpolitische Aktionswoche unter dem Motto „Všichni jsme nepřizpůsobiví“ statt – übersetzt in etwa: „Wir alle sind unangepasst„. Weiterlesen

Berlin: NIMBY-Proteste in Kreuzberg und Mitte

NIMBY – Not In My Backyard – sind Formen von Protestbewegungen, die in der Regel im Eigeninteresse von Anwohner/innen und/oder Eigentümer/innen allgemeine städtische Nutzungen in ‚ihren‘ Vierteln verhindern wollen. Oftmals werden solche NIMBY-Mobilisierungen von Haus- und Grundstückseigentümer/innen getragen, die im Bau einer Müllverbrennungsanlage, einer psychatrischen Einrichtung oder eines Obdachlosentreffpunkts nicht nur eine Verschlechterung der Lebensqualität sehen, sondern auch einen Wertverlust ihrer Grundstücke befürchten.

Solche Aufstände der Mittelklasse verfolgen im Gegensatz zu den oftmals politischen Forderungen sozialer Bewegungen vorrangig eine „quality of life“-Agenda und werden meist von artikulationsfähigen und ressourcenstarken Mittelschichten getragen.

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Berlin: Lohnende Brandstiftung?

rigaer_graffiti3-1Rigaer Straße 84, Rückblende April 2007:,

Am 28.04.2007 ist bei einem Brand in der Rigaer Straße 84 der Lebensraum von 48 Menschen und Platz für internationale Gäste, Voküs, Kino, politische Arbeit, Konzerte und Kneipe zerstört worden. Wir, die BewohnerInnen, haben über Stunden hilflos mit ansehen müssen, wie der gesamte Dachstuhl und Teile des Frauenstockes in der 4.Etage dem Feuer zum Opfer gefallen sind.

Gut zwei Jahre nach dem BrandstiftungDachstuhlbrand im damals noch bewohnten, ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 84 wird nun das ausgebaute Dachgeschoss vermietet: „Einzigartig mit 4 (VIER) Dachterassen – Für den luxeriösen Anspruch!

Update: Nach Hinweise vom Scheckkartenpunk, ist die Brandursache wohl nicht so eindeutig, wie von dem Polizeisprecher im verlinkten ND-Artikel angegeben. KLar ist nur, es brannte wenige Woche nachdem die Besetzergruppe ein eigenes Kaufinteresse anmeldeten um die geplante Modernisierung zu verhindern. Im Verlauf der Sanierungsarbeiten löste sich die Gruppe auf und einzelne Bewohner/innen nahmen Entschädigungszahlungen für den Auszug an. Was bleibt: der Dachstuhlbrand legte die Voraussetzung für die unkomplizierte Durchführung der späteren Modernisierungsaktivitäten. Weiterlesen

Berlin: Alle gegen Alle?

Die Diskussion um die Berliner Stadtpolitik nimmt immer skurrilere Züge an. Die CDU und der rbb sprechen vom „Roten Terror“ (Video), Volker Ratzmann sieht „Kieztaliban“ am Werk und die jungle world macht es nicht unter den „Roten Khmer“. Aufhänger sind fast immer die Brandanschläge auf Autos, gemeint sind vielfach jedoch die notwendigen Diskussionen um die Miet- und Verdrängungsdynamiken in den Berliner Innenstadtbezirken (siehe Interview mit Aktivist/innen der „wir-bleiben-alle“-Kampagne)

Wurde vor ein paar Wochen noch über steigende Mieten, Verdrängungseffekte und Hartz-IV-freie Zonen geschrieben, hat sich zumindest die öffentliche Debatte deutlich in einen vorgeblichen Sicherheitsdikurs verlagert. Den Artikeln der letzten Woche folgend, bietet Berlin ein Bild zwischen Belfast und Beirut: umkämpfte Räume und unübersichtliche Akteurskulissen: Linke gegen Reiche, Alteingesessene gegen Jungfamilien, Ossis gegen Schwabe und die FDP gegen Hartz IV. Wenn das so weitergeht, wird Ulfkotte bald seinen nächsten Bestseller schreiben müssen…

Nun hat der Tagesspiegel auch noch einen Brand auf der Baustelle der Baugruppe „Börse“ in Prenzlauer Berg in den Kontext von Stadtteilprotesten gestellt („Wachschutz für Ökohaus“) und die Debatte um die Baugruppen neu entfacht. Die taz hat darin auch gleich einen neuen Konflikt entdeckt: Linke gegen Linke und schreibt über „Die verdrängte Debatte„:

Ruhender Pol und Stimme der Vernunft in all dem Chaos: die Diakonie! Die hält sich nicht mit Scheinkonflikten auf sondern fordert sinnvollerweise für Berlin flexible und ortsteilspezifische Richtwerte für Hartz-IV-Wohnungen: „Ich will so wohnen, wie ich will“

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Bürgerkriegsszenarien für die Kehrseiten der Aufwertung

Der von Medien zum Terrorismus-Experten hochgeschriebene Ulf Ulfkotte ist bisher vor allem durch seine Versuche, das „Abendland vor der islamistischen Gefahr zu retten“ aufgefallen. In seinem neuesten Buch zeichnet er ein Szenario von sozialen Unruhen in Folge der Krise: Vorsicht Bürgerkrieg!: Was lange gärt, wird endlich Wut. Mit dieser Panikmache steht Ulfkotte nicht allein: bereits Ende April hat der Focus eine Umfrage zitiert, derzufolge sagenhafte 32 Prozent der Befragten bereit seien, angesichts der Krise an Demonstrationen teilzunehmen. Titel des Artikels: Deutsche fürchten soziale Unruhen. Denn „54 Prozent der Befragten rechneten mit sozialen Unruhen in Deutschland“…

Für alle, die wissen wollen, wo diese Unruhen stattfinden werden, hat Ulf Ulfkotte nun einen „Atlas der Wut“ erstellt, der seinem Buch beiliegt. Die Leipziger Volkszeitung weiss mehr darüber: Weiterlesen

Hamburg: „Das schlechte Gewissen des Reichtums heißt von jeher Sanierung“

Einen bemerkenswerten Artikel gibt es in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung: Stadt der Tiefgaragen. In dem Beitrag geht es um die Sanierung am Valentinskamp im Hamburger Gängeviertel.

Die Süddeutsche Zeitung nimmt die Sanierungspläne zum Anlass für eine sehr grundsätztliche Kritik an der Sanierungspolitik der Hansestadt und ordnet die aktuellen Pläne in die Geschichte einer revanchistischen Stadtpolitik ein:

Hamburg ruiniert das urbane Gängeviertel – und nennt das ¸¸Sanierung‘. (…)  Große Städte schämen sich ihrer Arbeiterkultur wie einer schmutzigen, unsittlichen Herkunft. Die Erinnerung an die engen, übervölkerten Quartiere, in denen die Menschen lebten, die den Wohlstand der Stadt erarbeitet haben, wurden im Laufe der Stadtplanungsgeschichte erst hinter Prachtfassaden versteckt, dann Schritt für Schritt ganz zerstört.

Ihm folgten Legionen von Stadtplanern, mal eher feudal, mal eher revolutionär denkend, mal faschistisch, mal bürgerlich-modern geprägt, die mit den immer gleichen hygienischen und pseudo-sozialen Argumenten die Geschichte der Städte entsorgten. Das unverfängliche Wort für dieses schlechte Gewissen des Reichtums heißt von jeher „Sanierung“.

Es ist vor allem Verlust von Urbanität der von der Süddeutschen Zeitung befürchtet wird und die Perspektrive auf die künftige Bewohnerschaft ist nichte gerade liebevoll:

Zwar wird in Hamburg schon seit Jahrzehnten geklagt, dass das Zentrum nach Geschäftsschluss vollkommen ausgestorben ist, aber ebenso konsequent wird hier – wie in vielen anderen Großstädten auch – Künstlern, Galeristen, Studenten, Kneipiers, originellen Einzelhändlern und allen anderen Menschen, die eine Stadt jung und abwechslungsreich halten, jede Grundlage entzogen, sich zu annehmbaren Preisen anzusiedeln und auszutoben. Die Klientel, die man mit teurem Wohn- und Büroraum in die Innenstadt holt, bevölkert aber bekanntermaßen nur Tiefgaragen und Dachterrassen.

Das zentral gelegene Gängeviertel war traditionell des Arme-Leute-Viertel von Hamburg und seit den 1930erJahren seit Ende des 19. Jahrhunderts Ziel verschiedene Stadterneuerungswellen. .. Weiterlesen