Berlin: Gentrification als „Kampf um den Raum“

'Kampf um den Raum' in NY, 2008

Hartmut Häußermann, ehemaliger Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin war gestern zum Grünen Mietenkongress geladen und und durfte dort das Impulsreferat halten. Wesentliche Argumente sind auch in den Zeitschrift des Landesverbandes der Grünen „Stachlige Argumente“ nachzulesen (Leider noch nicht online verfügbar).

Er interpretiert darin die aktuellen Aufwertungsprozesse in Berlin als einen „Kampf um den Raum“  (Stachlige Argumente 177, 1/2010, 4-7) und beschreibt das Problem der Gentrification als eine Ungleichzeitigkeit räumlicher und sozialer Prozesse. Er versteht darunter die gleichzeitige Nachfrage von bestimmten Innenstadtquartieren durch Gruppen „mit ähnlichen Lebensstilen aber unterschiedlicher Finanzausstattung“. Den Kern dieser Prozesse bezeichnet Häußermann als Verdrängung:

„Verdrängung“ heißt dass hier ein Machtkampf stattfindet, das heißt, dass eine Konkurrenz um Wohnmöglichkeiten in einem Quartier zwischen Hauhalten mit ungleichen Ressourcen besteht. In einer Marktwirtschaft entscheidet dann vor allem die Verfügung über Geld, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählt.

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Berlin: Öffentlich finanzierte Verdrängung

Die Sanierungsgebiete in der Ostberliner Innenstadt stehen kurz vor der Aufhebung – in einige wurden die Sanierungssatzungen bereits aufgehoben. Mit einem ‚Durchführungsstand‘ der baulichen Erneuerungsarbeiten von etwa 70 Prozent  fällt die Bilanz der Senatsverwaltung positiv aus – die städtebaulichen Ziele seien damit erreicht worden. Die sozialen Ziele hingegen, die sich zu Beginn der Stadterneuerung an einem „Erhalt der Sozialstruktur“ in den Gebieten orientierten, wurden elementar verfehlt.

Am Beispiel der Sanierungsgebiete in Prenzlauer Berg muss eine ernüchternde Bilanz der Stadterneuerung gezogen werden. Abschließende Sozialstudien am Kollwitzplatz und in der Winsstraße zeigen: nur etwa 20 Prozent der früheren Bewohner/innen leben noch in den Gebieten, die Mieten liegen auf überdurchschnittlichen Niveau und die ehemals heterogenen Nachbarschaften wurden durch homogenen Mittelklassemilieus ersetzt.

In Diskussionen zu diesen Entwicklungen wird oft behauptet, solche Aufwertungen seien ’natürliche‘ Prozesse der Stadtentwicklung, die gar nicht zu vermeiden sind. Ein Blick auf die speziellen ökonomischen Rahmenbedingungen in den Sanierungsgebieten zeigt jedoch, dass die Aufwertungsprozesse wesentlich durch öffentliche Förderungen und Investitionsanreize ausgelöst und angetrieben wurden. Insgesamt flossen seit Anfang der 1990er Jahre mehr als 1 Mrd. Euro in die Sanierungsgebiete von Prenzlauer Berg. Bei einem solchen Mitteleinsatz wären auch andere soziale Effekte denkbar gewesen.

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Berlin: Neukölln in den Kollwitzplatz verwandeln? (Radiofeature)

Der Norden Neuköllns verändert sich rasant. Die Mieten steigen, Kneipen und Cafés eröffnen. Zahlungskräftigeres Publikum zieht her. Damit einher geht auch eine beginnende Verdrängung der bisherigen Bevölkerung. Gentrification, so nennt sich das stadtpolitische Phänomen, das ähnlich und zum Teil weiter fortgeschritten auch in anderen Berliner Bezirken wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg beobachte werden kann. Maßnahmen des Berliner Senats wie die Quartiersmanagements und die Ausrufung von Sanierungsgebieten schieben diesen Prozess an und begleiten ihn.

Um auf diese Situation aufmerksam zu machen hat sich die Avanti-Sozial-AG Ende letzten Sommers in Neukölln umgeschaut und ein Radiofeature produziert, das über die aktuelle Situation aufklären und die wichtigen Akteure benennen will. Es wurden u.a. Interviews mit dem Quartiersmanagement Reuterkiez und dem Vorsitzenden von Haus und Grund Neukölln geführt. Wir wollen so noch einmal nachdrücklich auf die Entwicklung nicht nur in Nordneukölln, sondern in Gesamtberlin aufmerksam machen: denn überall innerhalb des S-Bahn-Rings steigen die Mieten.Radiofeature zum runterladen: Nordneukölln in den Kollwitzplatz verwandeln? (53 min.).

Begleitend zum Radiofeature gibt es ein kleines Booklet (pdf) mit vielen Informationen und einer stadtpolitischen Positionierung der AVANTI-GRuppe in Berlin.

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Buchvorstellung: „Intercity Istanbul–Berlin“

Jetzt ist es soweit: Der vom Dagyeli Verlag herausgegebene Stadtreader „Intercity Berlin Istanbul“ ist fertig!

Die Beiträge berichten von Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes, Tourismus und Verkehr, Orten des Vergnügens und der Kulinaria, Architektur der Zwischennutzung und Stadtteilverdrängung, besetzten Häusern und Zivilgesellschaft. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen Berlin und Istanbul feststellen? Istanbuler und Berliner AutorInnen stellen ihre Stadt vor, in satirischen, grotesken und tragischen Momentaufnahmen, Huldigungen und Schmähungen. Sie beschreiben Szenegrößen, seltsame Heilige oder einfach nur das absurde Leben.

Ein kleiner Text von mir zu den Berliner Aufwertungsdynamiken ist  auch im Buch nachzulesen. Eine leicht veränderte Fassung des Beitrages gibt es auch hier: „Berlin: Die Karawane zieht weiter – Stationen einer Aufwertung„.

Alle, die bei der Präsentation des Buches dabei sein wollen, sei dieser Termin empfohlen:

Samstag 6. März 2010, 18-21 Uhr in der Galerie im Kurt Schumacher Haus, Müllerstraße 163, Berlin-Wedding

Im Ankündigungstext für die Buchpräsentation heisst es:

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Berlin: Hohe Mieten machen Kreuzberg pleite

Zwei statistische Berichte der letzten Tage werfen erneut ein Schlaglicht auf die zunehmende  Spaltung der Stadt und den wachsenden Verdrängungsdruck in der Innenstadt. Am Wochenende veröffentlichte die Berliner Morgenpost exklusiv die Ergebnisse einer kleinräumigen Kaufkrafterhebung durch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK): „Soviel Geld haben die Berliner zur Verfügung„.

Am höchsten ist sie danach in Dahlem  sowie Frohnau und Hermsdorf. In den beiden reichsten Postleitzahlgebieten hat jheder Einwohner mehr als 25.000 Euro jähgrlich zur freien Verfügung. Am niedrigsten ist die Kaufkraft in Kreuzberg (…) Hier sind es nur etwas mehr als 13.000 Euro.

In der Berliner Zeitung wurden die Ergebnisse des aktuellen Wohnungsmarktberichtes der Investitionsbank Berlin (IBB) veröffentlich: „Grunewald ohne Wald„.

Friedrichshain-Kreuzberg ist auf dem besten Wege für Mieter genauso teuer zu werden wie Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf mit den noblen Stadtteilen Dahlem, Grunewald und Wannsee. (…) Im Durchschnitt werden in Friedrichshain-Kreuzberg Wohnungen zu einem Preis von 6,42 Euro pro Quadratmeter angeboten. Damit liegt der Bezirk deutlich über dem Berliner Durchschnitt von 5,82 Euro

Zwei klassische Effekte der Gentrification werden mit diesen Zahlen deutlich: ein zunehmender Verdrängungsdruck für die bisherigen Bewohner/innen und die weitere Polarisierung der Bewohnerschaft in den Aufwertungsvierteln.

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Interview zur Wohnungspolitik (Die ZEIT)

Nicht dass ich mich über zu wenig Aufmerksamkeit beklagen könnte, aber Interviews in großen Wochenzeitungen sind doch eher die Ausnahme. Als Beigabe zu dem Artikel über die Kreuzberger Kriegszustände durfte ich mich von Kerstin Kohlenberg für ein kurzes Interview zur Stadt- und Wohnungspolitik in Berlin befragen lassen. Den Titel finde ich auch nach mehrmaligem Lesen etwas verwirrend, mit dem Rest bin ich ganz zufrieden. Die ZEIT: „Wohnungspolitik: Die Zukunft ist privat„.

Zur Dokumentation gibt es das Interview auch hier zu lesen:

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Quartiersmanagement: Erfolgsmodell Ausgrenzung?

Im Berliner Tagesspiegel versucht sich Ralf Schönball an einem Vergleich der Stadtteilentwicklungen in zwei Berliner Innenstadtvierteln: „Bronx bleibt Bronx: Soldiner Kiez vs. Helmholtzplatz„. Sowohl der Soldiner Kiez im Wedding als auch der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg waren lange Zeit Quartiersmanagementgebiete – doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Der Soldiner Kiez gilt weiterhin als eines der Problemgebiete der Stadt und der Helmholtzplatz hat sich im Schatten der Kollwitzplatzentwicklungen zu einem veritablen Aufwertungsgebiet gemausert. Der Beitrag im Tagesspiegel zeigt, wie das Quartiersmanagement durch aktive Ausgrenzung die Aufwertungsdynamiken unterstützte.

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Berlin: Ist das Carloft ein Kastanienbaum?

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT gibt es einen längeren Beitrag von Kerstin Kohlenberg über die das umstrittenen Luxuswohnprojekt Carloft in Kreuzberg: „Die Krieger von Kreuzberg„. Als Kriegsberichterstattung von den Brandherden städtischer  Konflikte angelegt, liest sich der Beitrag streckenweise wie eine ethnographische Studie der Neuen Mitte. Protagonist Johannes Kaukas ist der Investor des Kreuzberger Carlofts. Durch Kerstin Kohlenberg erfahren wir, welche Schuhe er trägt, wie die Appartements eingerichtet sind und was die aktuellen Trendsportarten der Oberschicht sind.

Die Aussattungsmerkmale für den Habitus der Neue Mitte in Reihenfolge ihrer Benennung im Artikel (Vorsicht Klischee!):

schwarzer Mercedes SLK – hell erleuchteten Autolift – Männer in dunklen Anzügen und Frauen in Cocktailkleidern –  futuristischen Leuchtmöbeln – Saxofonistin spielt schwungvollen Jazz – schwarzen Ledercouch in einem der hellen, warmen Carlofts – dunkelgrauer Mini mit Elektromotor – bequeme Gesundheitsschuhe, einen unauffälligen Anzug, eine einfache Uhr – offene Küche mit frisch gebrühtem Kaffee – an den Wänden lehnen großformatige Bilder – junger kolumbianischer Praktikant – 500.000 Euro Jahreseinkommen – Fußball ist »Proletensport.«, seine Kinder spielen jetzt Feldhockey, Kanupolo und machen Leichtathletik – Vater war ein Arzt –

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Berlin: Verdrängung durch Luxuswohnprojekt in Schöneberg

Verdrängung und Aufwertung haben sich zu zentralen Themen der stadtpolitischen Diskussionen in Berlin gemausert. Punk-Ikone Jello Biafra bewies auf seinem Konzert im vergangenen September, dass  diese Debatten nicht nur als piefiger Lokalkolorit zu verstehen sind, sondern auch über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen werden. Sein Eingangsstatement beim Konzert im SO36:  „Das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Berlin denke, ist Gentrifizierung.“ Natürlich ist das völlig übertreiben, dachte vielen – zumal sich die Diskussionen bisher auf eine Handvoll Innenstadtbezirke beschränkte. Neben den Ostberliner Sanierungsgebieten wurden lange Zeit allenfalls noch einige Kreuzberger Nachbarschaften und der Norden von Neukölln benannt, wenn es um Verdrängungsprognosen ging.

Doch die Gentrificationdynamiken in Berlin bleiben nicht auf den Kollwitzplatz, Marthashof und MediaSpree beschränkt. In den vergangenen Monaten sind weitere Aufwertungsgebiete ins Licht der Öffentlichkeit geraten: so werden aus Alt-Treptow und Tempelhof deutliche Aufwertungsanzeichen berichtet. Die Berliner Zeitung hat nun auch Schöneberg auf die Landkarte der Gentrification gesetzt: „Penthouse im Kiez„.  In der Barbarossstraße 59/60 soll ein 60er-Jahre-Bau abgerissen werden:

Der Baukonzern Hochtief will dort Nobelwohnungen errichten, Tiefgarage inklusive. Etliche Mieter sind schon weggezogen. Hanna Wiesniewski gehört zu den etwa 40 Bewohnern, die noch nicht gegangen sind. Die Endzwanzigerin will kämpfen: „Warum sollen wir uns vertreiben lassen?“ Mit anderen Bewohnern hat sie Flugblätter verteilt, Unterschriftenlisten liegen in Geschäften aus. Bei StudiVZ hat das Haus inzwischen rund 1 500 Freunde, bei Twitter gibt es 161 Followers.

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Berlin: Nur die Lage zählt

Am Wochenende war ich zur Klausur der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus geladen und durfte gemeinsam mit den anderen externen Referenten Sigmar Gude (Stadtplaner bei topos), Thomas Knorr-Siedow (Stadtplaner an der TU Cottbus) , Rainer Tietzsch (Rechtsanwalt und Experte für Städtebaurecht) sowie Reiner Wild (Berliner Mieterverein) den regierenden Genossen wohnungspolitisch auf die Sprünge helfen.

In meinem Beitrag habe ich mich auf die Mietentwicklungsdynamiken in Berlin konzentriert und versucht, wesentliche Faktoren der Mietpreisbildung herauszuarbeiten. Insbesondere für die Suche nach wirkungsvollen Strategien gegen steigende Mieten und sozialräumliche Spaltungen ist es zentral die Funktionen des Mietwohnungsmarktes zu kennen.

Auf der Basis vorliegender Wohnungsmarktstudien konnte ich drei Punkte herausstellen:

  • die höchsten Stiegerungsraten im Bestandsmietenbereich sind in den preiswertesten Beständen zu verzeichnen
  • Neuvermietungsmieten deutlich über den Mietspiegelmittelwerten
  • die kleinräumige Lage der Wohnung hat einen höheren Einfluss als Baualter und Ausstattung auf den Mietpreis.

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