Hamburg: Zeitmaschine der Gentrification

Zufällig bin ich im Netz auf einen Artikel von Tom Schimmeck aus dem Jahre 1988 gestoßen. Das Thema: die Aufwertung der Hamburger Innenstadt. Der Ort: das Schanzenviertel. Die Akteure: Yuppies, Künstler, Alternative. Der Titel: Lachs oder Fladenbrot. Tom Schimmeck über das Hamburger „Flora“ und die „Yuppisierung“ der Großstädte. Tom Schimmeck greift damit eine Kapitelüberschrift aus dem lange Zeit als Standardwerk geltenden Band von Hartmut Häußermann/Walter Siebel „Neue Urbanität“ von 1987 auf. Dort wurden unter dem Titel „Vom Müsli zum Kaviar oder Die Renaissance der Innenstädte“ die Lebensstilübergänge in Aufwertungsprozessen beschrieben.

In Tom Schimmecks Artikel geht es um die hanseatische Variante der Gentrification und Ausgangspunkt sind die umstrittenen und ja auch verhinderten Pläne zur Wiedererrichtung des Musical-Theaters Flora im Hamburger Schanzenviertel. Der Text versucht sich an einer stadtentwicklungspolitischen Einordnung der damaligen Proteste:

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Gentrification: (Sub)kulturelle Aufwertungslogiken

Die Frankfurter Student_innen Zeitschrift „diskus“ setzt sich in ihrer Oktoberausgabe 2009 mit dem Verhältnis linker Aktivist_innen und linker Politik mit Popkultur auseinander. Neben aufschlussreichen Gesprächen mit Frank Apunkt Schneider und Didi Neidhardt über die „Krisen der Poplinken“ sowie über die Erfahrungen mit den Frankfurter Nachttanzdemos „Krach 2009“ gibt es im Heft tiefschürfendes Theoretisieren über die Verbindung von Alltag, Kultur und Politik von Daniel Loick („Das poplinke Versprechen und die Kritik von Lebensformen: ein Verfahrensvorschlag“). Weil das in Mode geratene G-Wort in kaum einer Debatte fehlen darf, wurde ich gefragt auch etwas zum Verhältnis von (Sub)Kulturen zur Gentrification beizutragen: „Auf dem Weg zum Bionade-Biedermeier. (Sub)kulturelle Aufwertungslogiken in Gentrification-Prozessen“.

In Frankfurt/Main und Umgebung liegt das Heft kostenlos in den den einschlägigen Buchläden, Kneipen und Veranstaltungsorten aus – alle anderen können es für 2,50 Euro über diskus(at)copyriot.com bestellen. Meinen Beitrag gibt es aber auch hier im Blog zu lesen:

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Berlin: Wohnungspolitik in Kreuzberg zwischen Reformvorschlägen und zahnloser Symbolpolitik

Die Gruppe Soziale Kämpfe hatte am Montag Abend zu einer Podiumsdiskussion zur Kreuzberger Wohnsituation geladen: „Kreuzberg 36 in der Krise? Steigende Mieten, Verdrängung und die Auswirkungen auf den Kiez“.

Auf einem Podium versammelt diskutierten dort Joachim Oellerich (Berliner Mietergemeinschaft), Neriman Kurt (Kotti e.V.), Dr. Franz Schulz (Bezirksbürgermeister), Dr. Erwin Riedmann (Stadtsoziologe) sowie Vertreter/innen der Gruppe Soziale Kämpfe und ein Mitarbeiter der 2004 privatisierten Wohnungsbaugesellschaft GSW Berlin.

Berichte zur Veranstaltung gibt es u.a. hier:

Berlin: Bundessozialgericht will mehr Verdrängung für Transferhaushalte

Die Sozialpolitik der Agenda 2010 ist nicht nur katastrophal für die Betroffenen, jetzt wird auch noch das Land Berlin für seine angeblich zu softe Umsetzung der Bundesregelungen zur Kasse gebeten. Das Bundessozialgericht verurteilte gestern das Land Berlin zu einer Schadensersatzzahlung von 13 Mio. Euro: Hartz-IV-Streit: Berlin muss 13 Mio. Euro zahlen.

Hintergrund sind die höheren Ausgaben für die Übernahme der Unterkunftskosten von SGB-II-Bedarfsgemeinschaften. Bis Anfang diesen Jahres wurden Hartz-IV-Empfänger/innen, deren Mietkosten über den festgelegten Regelsätzen lag, erst nach einem Jahr zum Umzug (bzw. zur Senkung der Wohnkosten) aufgefordert. Die Berliner Regelung zielte darauf Umzüge möglichst zu vermeiden. Begründet wurde diese Politik mit der Intention, dass sich Erwerbslose besser um einen neuen Job als um eine andere Wohnung bemühen sollten.

Zugleich steigende Mieten und ein weiterhin schlechte ökonomische Position Berlins lassen nichts Gutes hoffen und verstärken den Verdrängungsdruck für ökonomisch benachteiligte Haushalte weiter.

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Freiburg: Halbwertzeit des Privatisierungsvetos

Vor ziemlich genau drei Jahren freuten sich Anti-Privatisierungsinitiativen in vielen Städten der Bundesrepublik über das klare Votum des Bürgerentscheides in Freiburg gegen den geplanten Verkauf der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft „Freiburger Stadtbau GmbH“. Zum ersten Mal war es gelungen, mit einer öffentlichen Kampagne eine Privatisierungsplan aufzuhalten.  In der Erfolgsfreude damals kaum wahrgenommen wurde die begrenzte Gültigkeit des Abstimmungsergebnisses. Die Bindungsfrist von Bürgerentscheiden beläuft sich auf lediglich drei Jahre. Und genau die sind nun abgelaufen.

Und die Freiburger Politik will offenbar auch keine weiteren Schonfristen einräumen. Schon ein paar Tage vor Ablauf der Frist gab die Stadt und ihre Wohnungsbaugesellschaft den Plan bekannt, sich von sogenanntem Streubesitz zu trennen und zunächst 24 Häuser zu verkaufen. Die Badische Zeitung titelt dazu: Reihenhäuschen im Angebot. Was dort zu lesen ist klingt ein wenig wie eine Meldung von Radio Eriwan:

Seit dem 12. November kann die Stadtverwaltung, weil die dreijährige Bindungsfrist des Bürgerentscheids abgelaufen ist, wieder Wohnungen verkaufen. Theoretisch. Praktisch soll es jedoch keine Verkäufe mehr geben, wie Oberbürgermeister Dieter Salomon im BZ-Interview bekräftigt hatte. Morgen jedoch soll eine Ausnahme gemacht werden.

Es kann also wieder privatisiert werden, aber nur theoretisch, praktisch wird es aber nicht stattfinden, außer wenn Ausnahmen gemacht werden…

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Berlin: Senat plant „erhebliche Aufwertungen“ in Neukölln

Die Retter der Stadt sind wieder da! Diesmal in Gestalt der Senatsverwaltung und des Planungsbüros PFE.  Ein Artikel in der Berliner Zeitung berichtet über die Ergebnisse der Vorbereitenden Untersuchung für die Festlegung eines Sanierungsgebietes im Gebiet Maybachufer / Elbestraße in Berlin Neukölln: „Schöner wohnen an der Sonnenallee„.

Heruntergekommene Häuser, dunkle Wohnungen, marode Straßen, ungepflegte Parks und Wege – so charakterisieren Stadtplaner das dicht besiedelte Neuköllner Wohngebiet zwischen Sonnenallee und Landwehrkanal. Allein 107 Millionen Euro wären in den kommenden Jahren nötig, um das Wohnviertel „lebendig, attraktiv und vielfältig umzugestalten“, sagt Olaf Gersmeier vom Stadtplanungsbüro PFE.

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Gentrification: Eigentümer haben’s auch nicht leicht

Per Mail erreichte mich die Bitte, die Gentrificationdebatte auch einmal aus der Eigentümerperspektive darzustellen. In der Mail heisst es:

es würde mich freuen, wenn Sie beigefügte Tabelle auf ihrem Blog veröffentlichen würden und auch gerne mal selbst bewerten könnten. Ich möchte hier mal eine Lanze für die ehrlichen Vermieter brechen, die ihr Haus in Schuss halten und eine angemessene (4%) Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals erreichen wollen. Die beigefügte Beispielrechnung basiert auf meiner jahrelangen Erfahrung im Baugewerbe, als Beirat in einem Haus wo wir in den letzten 10 jahren einen Grossteil der aufgeführten Arbeiten haben machen lassen und auf zusätzlichen Internetrecherchen etc. (…)  Die Berechnung basiert auf einem Gründerzeit-Altbau mit 10 Wohnungen a 100m² inkl. einem begrünten Hof (also dem klassischen Gentrifizierungsobjekt).

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Berlin: Die Baugruppendebatte

Baugruppenkritischer Aufkleber in Berlin

Am Mittwoch bin ich zu einer Podiumsdiskussion beim Center for Metropolitan Studies (CMS) der TU Berlin mit dem schönen Titel „Baugemeinschaften und Stadtpolitik“ eingeladen:

Podium u.a. mit: Mary-France Jallard Graetz (Projekt am Urban, Berlin), Winfried Hermann (MdB, Wahlkreis Tübingen), Dr.  Stefan Krämer (Wüstenrot Stiftung), Dr. Gerd Kuhn (Universität Stuttgart), Thorsten Tonndorf (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung), PD Dr. Christoph Bernhardt (Moderation)
Zeit: Mittwoch, 09.12.2009, 18 Uhr
Ort: TU Berlin, Raum MA 005, Straße des 17. Juni 136
Ziel der Veranstaltung ist es:

eine (kritische) Bestandsaufnahme der wachsenden Verbreitung der Baugemeinschaften, der damit verbundenen Wirkungen in der Quartiersentwicklung und der darauf ausgerichteten Strategien der öffentlichen Verwaltung vorzunehmen.

Wir dürfen also gespannt sein.

Der Zeitpunkt der akademische Debatte um die Baugemeinschaften ist dabei keineswegs zufällig, hat sich doch schon seit einigen Monaten im Schatten der allgemeinen Diskussionen um Gentrification und Verdrängung in Berlin eine regelrechte Baugruppendebatte entwickelt. Auslöser für die Diskussion waren Proteste von Kiezinitiativen in Alt-Treptow, die sich zunächst gegen die Zerstörung mehrerer Pappeln auf einem künftigen Baugruppenbaugrundstück wandten. Doch schnell wurden deutlich, dass es nicht nur um ein paar Bäume, sondern um die ganze Palette von Stadtentwicklungsthemen ging: Auswirkungen von Neubauprojekten auf die Mietentwicklung in der Nachbarschaft, soziale Exklusion in Eigentumswohnungsprojekten, eine verfehlte (bzw. nicht vorhandene) Wohnungspolitik und die Mitwirkung linker/alternativer/akademischer Milieus an Aufwertungsentwicklungen. Insbesondere die Beteiligung von einigen aktiven und ehemaligen Mitstreiter/innen der Gruppe Fels („Für eine linke Strömung“) gab den Anstoß für eine emotionale (und nicht immer sachlich geführten) Diskussion um das Verhältnis von allgemeinen politischen Einstellungen und den konkreten stadtpolitischen Handlungen.

Hier ein kleiner Überblick verschiedener Positionspapiere:

  • Gentrifizierung hat viele Gesichter – auch das von Fels?“ (pdf) (Offenen Brief an die Gruppe Fels)
  • Immer diese Widersprüche“ (pdf) (Antwort der Gruppe Fels)
  • Immer diese Linken“ (Antwort auf eine Antwort von felS)
  • Auch hier auf den gentrificationblog gab es bereits einige Artikel zum Baugruppenthema:

  • Baugruppen als freundliches Gesicht der Aufwertung?“ (15.02.2009)
  • Berlin: Kritik an Baugruppen“ (27.05.2009)
  • Berlin: Diktatur der Baugruppen“ (27.06.2009)
  • Baugruppen: Privatisierung der besonderen Art“ (20.11.2009) (Interview in der Edition LE MONDE diplomatique No. 6: „Ausverkauft. Wie das Gemeinwohl zur Privatsache wird“)
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    Radiointerview: Künstler, Stadt und Investoren

    Bereits im September anläßlich eines Aktionstages im Hamburger Gängeviertel habe ich bei Deutschlandradio Kultur ein kleines Interview zu Aufwertung, Stadtentwicklung und Alternativen gegeben. Alles nicht mehr ganz aktuell, aber es waren auch ein paar grundsätzliche Gedanken dabei. Alle die es hören mögen: „Nach den Künstlern kommen die Investoren (8:43 min)„.

    Habe es rund um die Ausstrahlung verpasst, das Gespräch hier in das Blog zu stellen, vielleicht auch, weil es mir ein wenig peinlich war, nach den Alternativen zu Großinvestoren gefragt, nur auf Genossenschaften und Baugrupppen verwiesen zu haben. Da gäbe es sicher viel mehr zu sagen und eine Perspektive von echter Vergesellschaftung anzudeuten – das hab ich verpasst. Trotzdem hier zum Nachlesen die schriftliche Fassung des Interviews:

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    Berlin: Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe

    In der aktuellen Ausgabe der Berliner Zeitung gibt es einen Artikel zu einer sozialwissenschaftlichen Studie, die die diskriminierende Vermietungspraxis von Berliner Wohnungsververwaltungen gegenüber türkischen Wohnungsbewerberinnen untersucht hat: „Mietvertrag nur für Deutsche„. Die Soziologin Emsal Kilic von der Humboldt-Universität hat für ihre Diplomarbeit hunderte Bewerbungsschreiben an Wohnungsverwaltungen in Wilmersdorf und Neukölln geschreiben um deren Vermietungsverhalten gegenüber türkischen Wohungssuchenden zu analysieren:

    „Die Reaktionen der Vermieter reichten von unterschwelliger Feindseligkeit bis zu offensichtlicher Ablehnung“, sagt Emsal Kilic. Für viele Nichtdeutsche seien diese Reaktionen längst ein „alltägliches selbstverständliches Phänomen“. Als „klare Form von Diskriminierung“ bezeichnete der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann das Ergebnis der Studie. Der Professor hatte die Studie betreut.
    Häußermann sagt, oft würden Hausverwalter und Vermieter das Argument vortragen, ihre Mieter wollten keine Migranten als Nachbarn und die Vermieter müssten ihre Mieter zufriedenstellen. „Offenbar müssen diese Mitarbeiter besser geschult werden, damit sie ihre Vorurteile abbauen“, sagte Häußermann.

    Die Wohnungswirtschaft in Berlin streitet diesen Vorwurf erwartungsgemäß ab. Interessant sind allenfalls die Begründungen:

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