Melbourne: Gentrification und Verdrängung in den Inner-Suburbs

Melbourne, Australien: Das neue Gesicht der Gentrification (Bild via www.kreissler.com.au)

Gentrification ist schon seit Jahren zu einem globalen Phänomen geworden und auch die traditionellen Vorstellungen, das nur viktorianische und gründerzeitliche Innenstadtviertel davon betroffen sein können, gelten längst als überholt. Beispiele von aktuellen Aufwertungsdynamiken im australischen Melbourne zeigen, dass selbst ehemalige Vorortsiedlungen nicht von der Gentrification verschont bleiben.

Rowland Atkinson, Soziologe an der Universität in York, leitete von 2005 bis 2009 die „Housing and Community Research Unit“ an der University of Tasmania und untersuchte unter anderem die Wohnungspolitik und Gentrification-Prozesse in australischen Großstädten.

In der von ihm und Kolleginnen herausgegeben Studie „Gentrification and Displacement: The Household Impacts of Neighbourhood Change“ (pdf) werden die Verdrängungsprozesse in den zwei Melbourner Stadtteilen Northcote und Maribyrnong untersucht.

Ein Zeitungsbericht in The Age fasst die zentralen Ergebnisse der Studie zusammen (Pilates, goat’s cheese: there goes the neighbourhood):

A study on gentrification has found the suburb of Northcote and the area around Maribyrnong have experienced the most rapid gentrification in Melbourne, causing rents and house prices to skyrocket, and poorer households to move out.

Weiterlesen

IJURR: Rezension zur Wohnungspolitik / Artikel zum Häuserkampf /

Gerade herausgekommen ist die aktuelle Ausgabe des International Journal of Urban and Regional Research, Vol. 35(1). Dort abgedruckt ist eine Besprechung zu John Gilderblooms Buch „Invisible City“ über einen Vergleich von verschiedenen wohnungsopolitischen Ansätzen in den USA:

Invisible City: Poverty Housing and New Urbanism – By John Ingram Gilderbloom (pages 211–213)

John Ingram Gilderbloom 2008: Invisible City: Poverty Housing and New Urbanism . Austin: University of Texas Press.

Gilderbloom’s Invisible City is written against the background of 25 years of experience in housing research in the field of US housing policies. His book, many chapters of which were written in collaboration with colleagues, is based on numerous case studies and demonstrates through different dimensions of housing that ‘the private rental market alone cannot provide affordable housing for all citizens, and this is especially true for minorities’ (p. 200). Invisible City refers to the people ‘whom we walk past every day and never truly see’: the poor, disabled, elderly and homeless. Invisible City moves beyond and past the front stage of a city and looks backstage. Moreover, Invisible City refers to solutions to solve the housing crisis that are far removed from the usual agenda of housing policy. (…)

Leider ist der Online-Zugang der Beiträge nur den Abonnent/innen der Zeitschrift vorbehalten. Aber auch einige Universitäts-Bibliotheken haben einen uneingeschränkten Zugang zu den Beiträgen.

Weiterlesen

Berlin: Protest in Kreuzberg angezettelt

Auf einem dieser englischsprachigen Berlin-Blogs war kürzlich  zu lesen, dass die Gentrification in Kreuzberg nicht mehr zu verhindern und das alten Kreuzberger Lebensgefühls nur noch in den Neubauten am Kottbusser Tor (Neues Kreuzberger Zentrum) zu finden sei.

Gentrification is a strange Dilemma. You want to have cool and interesting art and events going on around your neighbourhood, but at the same time you know that these are the things making your neighbourhood more expensive and a lucrative investement. Even if the whole Kreuzberg area is gentrificated already, there seems to be a last place which held up the Kreuzberg spirit.

Typisch Kreuzberg ist aber seit vielen Jahren nicht nur der dort zelebrierte Hipness-Faktor, sondern eine ausgeprägte Tradition der Widerständigkeit. Ganz ohne hyperlokale Stadtteilzeitungen werden wesentliche Informationen hier noch per Mundpropaganda oder über Aushänge ausgetauscht…

Neulich am Lausitzer Platz:

Hohe kommunikative Dichte der Nachbarschaft in Berlin-Kreuzberg

Danke @MN!

 

Berlin: Geschichte wird erzählt…

Besetztes Haus in der Schönhauser Allee 1990 (via Chronik der Wende)

Im journalistischen Getöse rund um den Bionade-Biedermeier und in den gerade mal wieder breit geführten Debatten, wer sich wie und an welche Vergangenheit erinnern darf, geht oft unter, dass Mitte und Prenzlauer Berg Anfang der 1990er Jahre auch die Zentren eines subkulturellen und  subversiv politischen Aufbruchs waren. In und neben den insgesamt etwa 130 besetzten Häusern in Ostberlin entstanden damals Infoläden, selbstorganisierte Kneipen und Buchläden. Einige Projekte gibt es heute noch, andere mussten längst aufgeben.

Geschichte wird nicht nur gemacht – sondern muss auch erzählt werden. Am gestrigen Freitag (14. Januar) wurden im Rahmen eines Erzählcafes Erinnerungen der Hausbesetzungsbewegung Anfang der 1990er Jahre ausgegraben.

Eingeladen hatte die Kiezgruppe der ‚Projekte in Mitte und Prenzlauer Berg (PiMP)‚ – Anlass war eine Ausstellung zur 20-jährigen Geschichte der Hausbesetzungen in den beiden Ostberliner Bezirken. Die Installationen, Fotos und Dokumente der wilden Zeit kurz nach der Wende, sind auch morgen noch im Platzhaus auf dem Teutoburger Platz zu besichtigen.

Weiterlesen

München: Die morbide Attraktivität von Giesing

Fans des Zweitligisten 1860-München gegen Mietsteigerungen in Giesing

München Giesing südlich der Innenstadt, gleich beim 1860-Stadion gelegen, galt lange Zeit als die letzte proletarische Schmuddelecke der bajuwarischen Hauptstadt. Statt Latte-Macciato-Cafés und Cocktail Bars gab es noch traditionelle Boazen (Kneipen), statt repräsentativer Gründerzeitgebäuden ist das Viertel vom Siedlungsbau der Nachkriegszeit geprägt und die preiswerten Mieten ermöglichten es überdurchschnittlich vielen einkommensschwachen Haushalten dort eine Wohnung zu beziehen.  Noch vor ein paar Jahren galt das Quartier als nicht-gentrifizierbar und wurde 2005 im Rahmen der Sozialen Stadt sogar zum „Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf“ ausgewiesen.

Vor allem Immobilienentwickler und kaufkräftige Nachfrageschichten haben das mit dem ‚besonderen Entwicklungsbedarf ‚ offenbar als Aufruf verstanden, das Gebiet in kurzer Zeit nachhaltig zu verändern. Längst macht auch das Schlagwort der Gentrification die Runde: Das Münchener Wochenblatt fragt, „Wird Geising Gentrifiziert“ und auch die taz beschreibt die „Gentrifizierung in Giesing. Avantgarde und Ausverkauf„.

Folgt man der Argumentation von Michael Gill, ist es vor allem der raue Charme von Geising, der die jungen Mittelschichtsangehörigen ins ehemalige Arbeiterviertel lockt. So werden makabre Tragödien und das Image als Scherbenviertel in Party-Events transformiert. Die jungen Kreativen spielen „Mord in Giesing – Münchens aufregendstes Stadtabenteuer“:

Neulich gab’s mal wieder Tote in Untergiesing. Am Hans-Mielich-Platz hatte man, es war schon gegen Abend und dunkel, rote Scheinwerfer aufgebaut, um die Szenerie auszuleuchten. In einem Laden namens „Café Lü“, der tagsüber seit einiger Zeit Kreativenfutter wie Reis-Ingwer-Kreationen und kreolischen Garnelen-Salat feilbietet, drängten sich Studentinnen, die allesamt aussahen, als würden sie als Berufsziel „irgendwas mit Medien“ angeben. Die Party lief auf vollen Touren, schließlich ereignete sich hier gerade „Mord in Giesing – Münchens aufregendstes Stadtabenteuer“, eine Art Schnitzeljagd-Event für Erwachsene.

Die Gentrifier von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Statt repräsentativer Bebauung und Geschichtsträchtigkeit reicht inzwischen ein bisschen Kriminalgeschichte, um das Gefühl der Authentizität zu vermitteln.

Weiterlesen

Berlin: Vom Sozialen Wohnungsbau zum Spekulationsobjekt

Sozialer Wohnungsbau in Berlin Tiergarten - lässt sich damit Geld verdienen?

Klassische Gentrification-Studien gingen regelmäßig davon aus, dass die von ihnen beschriebenen Aufwertungsprozesse in baulich attraktiven aber heruntergekommenen Altbauvierteln stattfinden. Aktuelle Berliner Beispiele zeigen nun, dass Mietsteigerungen und Verdrängungsgefahren keineswegs auf Gründerzeitquartiere beschränkt bleiben. Ausgerechnet die ehemaligen Sozialwohnungsbestände in den Innenstadtbezirken haben sich zu veritablen Spekulationsobjekten entwickelt.

Im vergangenen Jahr sorgten die drastischen Mietsteigerungen im Fanny-Hensel-Kiez für Schlagzeilen. Mieterverbände und Betroffenen waren alarmiert und warnten, dass dies kein Einzelfall sei. Sie sollten Recht behalten.

Die Berliner Zeitung berichtet unter der Überschrift „Investoren können gut verdienen“ über Mietsteigerungen von bis zu 60 Prozent in den70 Wohnungen der Pohlstraße 43-53.

6,28 Euro pro Quadratmeter nettokalt sollten die Mieter, darunter viele Migranten und Hartz-IV-Bezieher, zunächst zahlen. Bisher lagen die Quadratmeterpreise meist zwei Euro und mehr darunter, je nach individuellem Mietvertrag. Die geforderte Summe hat die Erste D.V.I. zwar nach Prüfung durch die Investitionsbank Berlin (IBB) auf 6,16 Euro je Quadratmeter reduziert.

Etliche der jetzigen Mieter/innen werden sich die neuen Mieten nicht leisten können und ausziehen. Genau darin dürfte das Kalkül der Investoren liegen. Leerstehende Wohnungen können umgewandelt und als Eigentumswohnungen verkauft werden oder werden zu höheren Preisen auf dem Mietwohnungsmarkt angeboten. Die steigenden Mietpreise in fast allen Innenstadtbezirken minimieren das Risiko einer solchen Spekulation auf die künftige Ertragslage.

Weiterlesen

Berlin: Ist die Stadt zu laut?

Zum Jahreswechsel gehört es selbst in den bürgerlichen Wohnquartieren zum guten Ton, es mal so richtig Krachen zu lassen. Rainald Grebes Parodie auf das Biofeuerwerk von Prenzlauer Berg ist witzig, verweist sie doch auf den Trend, selbst  jede noch so prollige Ausgelassenheit und Partystimmung mit dem eigenen Lebensstil zu verknüpfen. Der Traum vom ökologisch nachhaltigen Feuerwerk kann noch nicht erfüllt werden – für alle anderen Tage des Jahres erscheint eine Anpassung der Freizeitangebote an die veränderten Bedürfnisse durchaus realistisch.

Heute Nacht findet im Knaack-Club nach 59 Jahren die letzte Party statt – Anwohner/innen einer neuerrichteten Eigentumsanlage hatten erfolgreich gegen die Lärmbelästigung geklagt. In der Szene macht längst das Wort vom Club-Sterben die Runde. eine bisher unbekannte Klagewelle von Wohnungseigentümer/innen steht für einen juristisch geführten Wettbewerb um die Gestaltung und Nutzung der Stadtquartiere.  Bisherige Balancen zwischen verschiedenen Interessen werden dabei aufgekündigt.

Das Programmnagazin Berlin 030 – einer Gentrificationkritik bisher völlig unverdächtig – vermutet die dafür Verantwortlichen im Kreise der Hinzugezogenen und schlägt den aus der Trostlosigkeit der deutschen Provinz Entflohenen vor, dorthin zurück zu zeihen, statt in Berlin ihre Forderungen nach Stille zu erheben…

In der aktuellen Ausgabe des Magzins Berlin 030 heißt es:

Weiterlesen

Berlin: Deutungsgerangel um Prenzlauer Berg

Mein kleiner polemischer Artikel („Prenzlauer Berg als hyperlokale Enklave„) zum Versuch eine Lokalzeitung in Prenzlauer Berg zu etablieren hat ein erstaunliches Echo hervorgerufen. Hier gab es 10 Kommentare zum gleichen Posting beim Freitag sogar 27 Kommentare. Torsten Wahl hat in der Berliner Zeitung das Thema aufgegriffen („Mit Milchschaum vorm Mund„) und die Webseite evangelisch.de freut sich über meine schöne neuen Wortschöpfung vom „Hyper-Enklavismus“. Doch nicht allen hat mein Artikel gefallen. Peer Schader hat bei den Medienpiraten eine bissige Antwort formuliert: „Wie Berlin den Prenzlauer Berg zu hassen lernte“. Auch per twitter wurde das Thema aufgegriffen und kommentiert.

Weiterlesen

Berlin: Besinnliche Erinnerungen

Die Festtage zum Jahreswechsel boten ja in den vergangen Jahren in Prenzlauer Berg reichlich Anlass zum Spott über das weihnachtlichen Reiseverhalten der Zugezogenen. Mit Plakaten bedankten sich Ostberliner für die freien Parkplätze (Weihnachten 2005) und wünschten eine gute Heimfahrt (Weihnachten 2006).

Für alle, die nicht mehr in die Stadt ihrer Kindheitserinnerungen reisen können, hier ein paar besinnliche Bilder aus den 1980er Jahren…

Alle Fotos wurden rund um den Helmholtzplatz aufgenommen – Musik und Text sind von Reinhard Lakomy, der einigen durch seine Kinderlinder bekannt sein könnte.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=zJZViHtl0vw&feature=related]

Berlin: Post-Gentrification-Protest in Prenzlauer Berg

Neue Protestwelle in Prenzlauer Berg: "Nein zur Zerstörung der Kastanienallee!"

Gentrification wird in den stadtpolitischen Auseinandersetzungen immer mal wieder als ‚Kampfbegriff“ beschrieben. Kein Wunder, geht es doch auch um einen von verschiedenen Interessen und Gruppen umkämpften Raum. Insbesondere die drohende Verdrängung von Bewohner/innen mit geringeren ökonomischen Ressourcen löst regelmäßig Mobilisierungen der Betroffenen aus. Die breitangelegten Wir-Bleiben-Alle-Mieterproteste Anfang der 1990er Jahre in Prenzlauer Berg dürften als Prototyp solcher Anti-Verdrängungs-Mobilisierungen gelten.

Doch mit der Aufwertung der Quartiere und dem Austausch der Bewohnerschaft verschieben sich nicht nur die Anforderungen der Bewohner/innen an ihre  Nachbarschaften, sondern die Konfliktstrukturen städtischer Proteste. Stadtteilbezogene Proteste – ihre Themen, ihre Artikulationsformen und nicht zuletzt die Zusammensetzung der Aktiven – können dabei als Indikator für die Veränderungsprozesse selbst gelten.

In den aktuellen Protesten gegen die bezirklichen Umbaupläne der Gehwege in de Kastanienallee wird dies exemplarisch deutlich. Das Bezirkamt argumentiert mit den erneuerungsbedürftigen Gehwegplatten und einer mehr als unbefriedigenden Verkehrssituation insbesondere für den Fahrradverkehr. Anwohner/innen und Gewerbetreibende sehen in den Umbauplänen vor allem eine Verkleinerung der Gehwegflächen, befürchten den Verlust der einzigartigen Atmosphäre der Straße und kritisieren die mangelnde Beteiligung an den Umbauplänen.

Mit  dem Slogan der Kastanie21 versuchen die Aktiven sich zumindest rhetorisch in die Nähe der Bahnhofsproteste in Stuttgart zu stellen. Die taz greift diese Selbstdarstellung ironisch auf und berichtet über den Bürgersteigaufstand in der Castingallee. Auch die Berliner Abendschau berichtet in einem Beitrag über die Proteste in Prenzlauer Berg: Streit in der Kastanienallee.

Weiterlesen