Berlin: Geschichte wird erzählt…

Besetztes Haus in der Schönhauser Allee 1990 (via Chronik der Wende)

Im journalistischen Getöse rund um den Bionade-Biedermeier und in den gerade mal wieder breit geführten Debatten, wer sich wie und an welche Vergangenheit erinnern darf, geht oft unter, dass Mitte und Prenzlauer Berg Anfang der 1990er Jahre auch die Zentren eines subkulturellen und  subversiv politischen Aufbruchs waren. In und neben den insgesamt etwa 130 besetzten Häusern in Ostberlin entstanden damals Infoläden, selbstorganisierte Kneipen und Buchläden. Einige Projekte gibt es heute noch, andere mussten längst aufgeben.

Geschichte wird nicht nur gemacht – sondern muss auch erzählt werden. Am gestrigen Freitag (14. Januar) wurden im Rahmen eines Erzählcafes Erinnerungen der Hausbesetzungsbewegung Anfang der 1990er Jahre ausgegraben.

Eingeladen hatte die Kiezgruppe der ‚Projekte in Mitte und Prenzlauer Berg (PiMP)‚ – Anlass war eine Ausstellung zur 20-jährigen Geschichte der Hausbesetzungen in den beiden Ostberliner Bezirken. Die Installationen, Fotos und Dokumente der wilden Zeit kurz nach der Wende, sind auch morgen noch im Platzhaus auf dem Teutoburger Platz zu besichtigen.

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Berlin: Vom Sozialen Wohnungsbau zum Spekulationsobjekt

Sozialer Wohnungsbau in Berlin Tiergarten - lässt sich damit Geld verdienen?

Klassische Gentrification-Studien gingen regelmäßig davon aus, dass die von ihnen beschriebenen Aufwertungsprozesse in baulich attraktiven aber heruntergekommenen Altbauvierteln stattfinden. Aktuelle Berliner Beispiele zeigen nun, dass Mietsteigerungen und Verdrängungsgefahren keineswegs auf Gründerzeitquartiere beschränkt bleiben. Ausgerechnet die ehemaligen Sozialwohnungsbestände in den Innenstadtbezirken haben sich zu veritablen Spekulationsobjekten entwickelt.

Im vergangenen Jahr sorgten die drastischen Mietsteigerungen im Fanny-Hensel-Kiez für Schlagzeilen. Mieterverbände und Betroffenen waren alarmiert und warnten, dass dies kein Einzelfall sei. Sie sollten Recht behalten.

Die Berliner Zeitung berichtet unter der Überschrift „Investoren können gut verdienen“ über Mietsteigerungen von bis zu 60 Prozent in den70 Wohnungen der Pohlstraße 43-53.

6,28 Euro pro Quadratmeter nettokalt sollten die Mieter, darunter viele Migranten und Hartz-IV-Bezieher, zunächst zahlen. Bisher lagen die Quadratmeterpreise meist zwei Euro und mehr darunter, je nach individuellem Mietvertrag. Die geforderte Summe hat die Erste D.V.I. zwar nach Prüfung durch die Investitionsbank Berlin (IBB) auf 6,16 Euro je Quadratmeter reduziert.

Etliche der jetzigen Mieter/innen werden sich die neuen Mieten nicht leisten können und ausziehen. Genau darin dürfte das Kalkül der Investoren liegen. Leerstehende Wohnungen können umgewandelt und als Eigentumswohnungen verkauft werden oder werden zu höheren Preisen auf dem Mietwohnungsmarkt angeboten. Die steigenden Mietpreise in fast allen Innenstadtbezirken minimieren das Risiko einer solchen Spekulation auf die künftige Ertragslage.

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Berlin: Ist die Stadt zu laut?

Zum Jahreswechsel gehört es selbst in den bürgerlichen Wohnquartieren zum guten Ton, es mal so richtig Krachen zu lassen. Rainald Grebes Parodie auf das Biofeuerwerk von Prenzlauer Berg ist witzig, verweist sie doch auf den Trend, selbst  jede noch so prollige Ausgelassenheit und Partystimmung mit dem eigenen Lebensstil zu verknüpfen. Der Traum vom ökologisch nachhaltigen Feuerwerk kann noch nicht erfüllt werden – für alle anderen Tage des Jahres erscheint eine Anpassung der Freizeitangebote an die veränderten Bedürfnisse durchaus realistisch.

Heute Nacht findet im Knaack-Club nach 59 Jahren die letzte Party statt – Anwohner/innen einer neuerrichteten Eigentumsanlage hatten erfolgreich gegen die Lärmbelästigung geklagt. In der Szene macht längst das Wort vom Club-Sterben die Runde. eine bisher unbekannte Klagewelle von Wohnungseigentümer/innen steht für einen juristisch geführten Wettbewerb um die Gestaltung und Nutzung der Stadtquartiere.  Bisherige Balancen zwischen verschiedenen Interessen werden dabei aufgekündigt.

Das Programmnagazin Berlin 030 – einer Gentrificationkritik bisher völlig unverdächtig – vermutet die dafür Verantwortlichen im Kreise der Hinzugezogenen und schlägt den aus der Trostlosigkeit der deutschen Provinz Entflohenen vor, dorthin zurück zu zeihen, statt in Berlin ihre Forderungen nach Stille zu erheben…

In der aktuellen Ausgabe des Magzins Berlin 030 heißt es:

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Berlin: Deutungsgerangel um Prenzlauer Berg

Mein kleiner polemischer Artikel („Prenzlauer Berg als hyperlokale Enklave„) zum Versuch eine Lokalzeitung in Prenzlauer Berg zu etablieren hat ein erstaunliches Echo hervorgerufen. Hier gab es 10 Kommentare zum gleichen Posting beim Freitag sogar 27 Kommentare. Torsten Wahl hat in der Berliner Zeitung das Thema aufgegriffen („Mit Milchschaum vorm Mund„) und die Webseite evangelisch.de freut sich über meine schöne neuen Wortschöpfung vom „Hyper-Enklavismus“. Doch nicht allen hat mein Artikel gefallen. Peer Schader hat bei den Medienpiraten eine bissige Antwort formuliert: „Wie Berlin den Prenzlauer Berg zu hassen lernte“. Auch per twitter wurde das Thema aufgegriffen und kommentiert.

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Berlin: Besinnliche Erinnerungen

Die Festtage zum Jahreswechsel boten ja in den vergangen Jahren in Prenzlauer Berg reichlich Anlass zum Spott über das weihnachtlichen Reiseverhalten der Zugezogenen. Mit Plakaten bedankten sich Ostberliner für die freien Parkplätze (Weihnachten 2005) und wünschten eine gute Heimfahrt (Weihnachten 2006).

Für alle, die nicht mehr in die Stadt ihrer Kindheitserinnerungen reisen können, hier ein paar besinnliche Bilder aus den 1980er Jahren…

Alle Fotos wurden rund um den Helmholtzplatz aufgenommen – Musik und Text sind von Reinhard Lakomy, der einigen durch seine Kinderlinder bekannt sein könnte.

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Berlin: Post-Gentrification-Protest in Prenzlauer Berg

Neue Protestwelle in Prenzlauer Berg: "Nein zur Zerstörung der Kastanienallee!"

Gentrification wird in den stadtpolitischen Auseinandersetzungen immer mal wieder als ‚Kampfbegriff“ beschrieben. Kein Wunder, geht es doch auch um einen von verschiedenen Interessen und Gruppen umkämpften Raum. Insbesondere die drohende Verdrängung von Bewohner/innen mit geringeren ökonomischen Ressourcen löst regelmäßig Mobilisierungen der Betroffenen aus. Die breitangelegten Wir-Bleiben-Alle-Mieterproteste Anfang der 1990er Jahre in Prenzlauer Berg dürften als Prototyp solcher Anti-Verdrängungs-Mobilisierungen gelten.

Doch mit der Aufwertung der Quartiere und dem Austausch der Bewohnerschaft verschieben sich nicht nur die Anforderungen der Bewohner/innen an ihre  Nachbarschaften, sondern die Konfliktstrukturen städtischer Proteste. Stadtteilbezogene Proteste – ihre Themen, ihre Artikulationsformen und nicht zuletzt die Zusammensetzung der Aktiven – können dabei als Indikator für die Veränderungsprozesse selbst gelten.

In den aktuellen Protesten gegen die bezirklichen Umbaupläne der Gehwege in de Kastanienallee wird dies exemplarisch deutlich. Das Bezirkamt argumentiert mit den erneuerungsbedürftigen Gehwegplatten und einer mehr als unbefriedigenden Verkehrssituation insbesondere für den Fahrradverkehr. Anwohner/innen und Gewerbetreibende sehen in den Umbauplänen vor allem eine Verkleinerung der Gehwegflächen, befürchten den Verlust der einzigartigen Atmosphäre der Straße und kritisieren die mangelnde Beteiligung an den Umbauplänen.

Mit  dem Slogan der Kastanie21 versuchen die Aktiven sich zumindest rhetorisch in die Nähe der Bahnhofsproteste in Stuttgart zu stellen. Die taz greift diese Selbstdarstellung ironisch auf und berichtet über den Bürgersteigaufstand in der Castingallee. Auch die Berliner Abendschau berichtet in einem Beitrag über die Proteste in Prenzlauer Berg: Streit in der Kastanienallee.

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Berlin: Prenzlauer Berg als hyperlokale Enklave

Was, sie kennen das Wort Hyperlokalismus noch nicht? Dann könnten Sie einen der wirklich wegweisenden Netzwerk- und Medientrends des kommenden Jahres verpassen:

Nennen Sie es, wie Sie wollen. Hyperlokal, sublokal, local based oder wie auch immer. Einer der Trends für 2011 wird (…) das Thema “Lokales” sein. Also das, was in meiner direkten Umgebung geschieht, abgebildet, zu finden, zu bewerten – über das Internet. Das bedeutet dann: Hyperlokal.

Auch 10 Journalist/innen und Medienschaffende aus Prenzlauer Berg wollten den Trend auf keinen Fall verpassen und sind Anfang Dezember mit dem Projekt „Prenzlauer Berg Nachrichten“ (PBN) Online gegangen – natürlich auch irgendwie hyperlokal:

Prenzlauer Berg Nachrichten sind eine kleine, aber innovative hyperlokale Online-Lokalzeitung für den Prenzlauer Berg

Das Online-Medium selbst hat bisher einen begrenzten Informationswert für alle, die sich tatsächlich mit der Bezirkspolitik beschäftigen wollen, bietet aber einen prima Untersuchungsgegenstand für ethnologische Studien zu den diskursiven Raumaneignungsstrategien von Hinzugezogenen in Prenzlauer Berg. Die Themenauswahl und der Grundton der Berichterstattung wirken wie ein Spiegel der neu entstandenen Bildungsbürger-Enklaven. Von den bisher 17 Beiträgen in der Rubrik Politik beschäftigen mehr als die Hälfte mit den Themen der Schule und der Gehwege in der Kastanienallee.

Die Macher/innen des Projektes sind den eigenen Angaben nach mit jeder Menge Berufserfahrung ausgestattet – trotzdem darf der Gründer der Prenzlauer Berg Nachrichten gegenüber SpiegelOnline ein irgendwie merkwürdiges Gründungsmotiv vorstellen:

„Die Berliner Blätter ziehen sich aus der Lokalberichterstattung immer mehr zurück“, sagt Philipp Schwörbel. Er lebt seit 2003 in Prenzlauer Berg, hat für Gesine Schwan gearbeitet, als die Bundespräsidentin werden wollte. „Ich wusste nicht, wer der Bürgermeister von meinem Bezirk ist und was der überhaupt macht“, sagt Schwörbel – in der Berliner Presse fand er keine Antwort.

Ich habe von Lokal-Journalismus nicht wirklich viel Ahnung, finde es aber merkwürdig, dass sich ausgerechnet die Leute dazu berufen fühlen, eine hyperlokale Stadtteilzeitung zu machen, die nicht einmal wissen, wer gerade Bürgermeister im Bezirk ist.

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Berlin: Zorniges Theater über Verlust von Haus und Heimat

Das Maxim Gorki Theater hat den Zorn als Thema entdeckt. Armin Petras bearbeitet und inszenierte die „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck. Der 1939 veröffentlichte Roman  erzählt die Geschichte einer Familie, die in Folge der Großen Depression ihr Haus und Grund verloren hat und sich auf die Flucht begeben muss. Die Fragen der Krisenbewältigung sind dabei hoch aktuell. Im vom Maxim Gorki Theater herausgegeben Gorki Planet heisst es:

Je länger die Familie Joad auf dem Weg ist, umso mehr löst sich die Solidarität unter den Flüchtenden auf – Vereinzelung und Egoismus sind die Folgen. Steinbeck formuliert in dem Text die Frage, inwiefern Kollektive in Krisenzeiten überhaupt noch handlungsfähig sind. Er malt ein schwarzes Bild einer Gesellschaft, die im Angesicht der wirtschaftlichen Depression immer mehr zerfällt. Proteste formieren sich, werden aber immer wieder niedergeschlagen oder schlicht übergangen. Beobachtet man die heutigen Reaktionen auf die gegenwärtige Wirtschaftskrise, scheinen sich wesentliche Motive aus dem Roman in der Wirklichkeit zu wiederholen.

Die Premiere von „Früchte des Zorns“ ist für den 18. Dezember angekündigt.

Begleitend zum Spielplan hat das Gorki Planet eine Ausgabe unter dem Titel „Manko Zorn“ (pdf) herausgegeben. Neben einer kurzen Einführung in das Theaterstück sind dort vier spannende Gespräche zu lesen, die sich aus sehr unterschiedlichen Perspektiven mit der Frage beschäftigen wie gesellschaftliche  Ohnmachtserfahrungen produktiv in Zorn, Protest und Widerstand transformiert werden können. Andres Veiel und Astrid Proll diskutieren über die Macht der Bilder bei der Kanalisierung gesellschaftlicher Wut. Ludger Schwarte und Rüdiger Zill vermessen die Geschichte des Zorns in der Geschichte und Elias Bierdel und Philipp Buch wundern sich, das in Deutschland Zehntausende für einen Bahnhof auf die Straßen gehen, während 4.000 Tote am den europäischen Außengrenzen niemanden hinter dem Ofen hervorlocken…

Ich hatte die Gelegenheit mit dem Intendanten des Gorki Theaters Armin Petras zu diskutieren. Herausgekommen ist ein ziemlicher Rundumschlag, der sich im weitesten Sinne um das Thema städtischer Konflikte dreht.

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Berlin: Spekulation mit Hausprojekt (K86)

Die Kastanienallee 86 soll für 1,3 Mio. Euro verkauft werden (Bild: pimp)

Die unsanierte Fassade mit den Transparenten und Polit-Installationen („Kapitalismus normiert – zerstört – tötet“) wirkt in der pastellfarbenen Umgebung von Prenzlauer Berg schon jetzt wie eine letzte Reminiszenz des Aufbruchs der Hausbesetzungen Anfang der 1990er Jahre. Kurz nach der Wende besetzt, bietet die Kastanienallee 86 bis heute für etwa 40 Bewohner/innen einen Freiraum und ein Dach über den Kopf. Wohngemeinschaften, Veranstaltungsräume und das stadtbekannte Tuntenhaus würde es ohne die durch die Hausbesetzung erlangten Mietkonditionen nicht geben.

Doch der Kapitalismus – hier in Gestakt des Immobilienmarktes – macht auch um ein politisches Hausprojekt keinen Bogen. Die bisherigen Eigentümer sind mit ihren Sanierungsplänen gescheitert und wollen das Haus nun wieder verkaufen.

Über die Allgemeine Immobilien-Börse (Sitz: Hubertusalle 45, 14193 Berlin-Grunewald) wird das Haus in der Kastanienallee für 1,3 Mio. Euro zum Kauf angeboten. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von fast 950 Euro/qm – für ein weitgehend unsaniertes Haus ein stolzer Preis.

Die momentanen Jahreseinnahmen (Netto-Kalt-Mieten) werden mit 51.800 Euro angegeben – das entspricht einer durchschnittlichen monatlichen Kaltmietbelastung von 3,11 Euro/qm.  In Aussicht gestellt werden den potentiellen Käufer/innen Jahreseinnahmen von 170.000 Euro. Das würde einer monatlichen Kaltmiete von über 8 Euro/qm entsprechen. Schlecht für die jetzigen Bewohner/innen – gut für die künftigen Eigentümer/innen: Die Soll-Rendite wird mit 13,1 Prozent angegeben. Ein rundum lohnendes Angebot, dem eigentlich nur noch die jetzigen Bewohner/innen im Wege stehen.  Weiterlesen

Berlin: 20 Jahre Räumung der Mainzer Straße

Am 14. November 1990 wurden 13 besetzte Häuser in der Mainzer Straße von etwa 4.000 z.T. bundesweit zusammengefahrenen Polizeibeamten geräumt. Es war der erste größere Einsatz westdeutscher Polizeieinheiten in Ostberlin und für viele  Ostberliner der erste Kontakt mit der neuen Demokratie.

Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990 (Foto: Umbruch Bildarchiv)

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