Berlin: Casting auf der Kastanienallee

Rainald Grebe, nimmt sich den veränderten Lebensstilen und flexiblen Arbeitsverhältnissen in Aufwertungsgebieten an und beteiligt uns mit seinem bissigen Humor an seinen Beabachtungen auf der KastanienCastingallee. Nicht ganz so tiefgründig wie andere Lieder von ihm, aber natürlich trotzdem sehr lustig:

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Berlin: Kastanienallee 42 – Abriss und Verdrängung

In der Kastanienallee an der Grenze von Mitte und Prenzlauer Berg werden Altbauten abgerissen. Vor über zwanzig Jahren verhinderten Anwohnerproteste in der Oderberger Straße die Abrisspläne der SED – heute reicht die Wirtschaftlichkeitsberechnung eines Hauseigentümers, um eine Abrissgenehmigung zu bekommen.

Kastanienallee 42: Noch diese Woche soll der Abriss beginnen

Am Sonntag waren wir von Bekannten zu einer kleinen Abschiedsfeier in den Hof der Kastanienallee 42 eingeladen. Ab morgen soll der Abriss beginnen. Statt Buddelkisten und Bänken unter Bäumen sieht der Hof schon aus wie eine Baustelle. Die Bäume wurden bereits vor ein paar Wochen gefällt, denn das Wurzelwerk steht dem Bau einer Tiefgarage im Wege.  Die letzten Mieter/innen sind im Laufe der letzten Woche ausgezogen. Diese Woche noch beginnt die Entkernung und im Juni wird das Gebäude abgerissen.

Das Haus ist alt und zwanzig Jahre nach der Wende noch immer auf dem Stand einer DDR-Reko-Maßnahme. Aber baufällig wirkt es nicht – bis vor ein paar Monaten waren die meisten Wohnungen bewohnt. Aber ob ein Haus bewohnbar ist oder nicht, spielt für die Erteilung einer Abrissgenehmigung offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Die Zauberformel heißt „Wirtschaftlichkeitsberechnung“. In solchen Berechnung vergleichen Eigentümer die Kosten für die Sanierung mit denen für Abriss und Neubau. Übersteigen die Sanierungskosten die Finanzierung eines Neubaus, gilt die „angemessenen wirtschaftliche Verwertbarkeit des Hauses“ als gefährdet und eine Abrissgenehmigung muss erteilt werden. Mieter/innen der Kastanienallee 42 bezweifeln, dass solche Anträge im Bauamt Mitte überhaupt gründlich überprüft werden (siehe Interview, unten).

Solch eine Abrissgenehmigung hat für die Eigentümer/innen verschiedenen Vorteile: Anders als Modernisierungsankündigungen kann beim Abriss gekündigt werden, Abriss-Eigentümer müssen sich also nicht länger mit den Mieter/innen herumschlagen. Neubauprojekte können unkompliziert die aktuellen Standards auf dem Eigentumswohnungsmarkt bedienen und Tiefgaragen und Fahrstuhlanlagen anbieten. Im konkreten Fall der Kastanienallee bringt ein Neubau auch noch den Vorteil, dass mit einem Bau bis zur zulässigen Traufhöhe mindestens zwei zusätzliche Etagen gewonnen werden können.

Für die Bewohner/innen bedeuten Abrisspläne vor allem, dass sie ausziehen müssen. Obwohl die meisten gerne in der direkten Umgebung geblieben wären, sind fast alle fortgezogen. Ein paar haben in den Randlagen von Prenzlauer Berg eine Wohnung gefunden, andere sind erstmal zu Freunden gezogen oder gleich nach Neukölln.

Gentrification-Karawane: Umzugsrichtung Neukölln

Der Aufwertungskreisel in Mitte und Prenzlauer Berg brummt also weiter. Gleich gegenüber kündigt ein Bauschild neue Eigentumswohnungen auf dem Grundstück vor einer ehemaligen Kita an und ein paar Hausnummern weiter wird an einem bereits leergezogenen Haus für hochwertige Eigentumswohnungen geworben. Sollte sich herumsprechen, wie großzügig das Bauamt in Mitte mit Abrissgenehmigungen umgeht, wird das Haus in der Kastanienallee 42 nicht der letzte Kahlschlag bleiben.

UPDATE: Die Kita befindet sich im hinteren Teil der Grundstücks und wird bleiben können. Eigentumswohnungen werden trotzdem gebaut.

Kastanienalle (gegenüber): Eben noch Kita, bald Neubauprojekt

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Berlin: Aufwertung in Prenzlauer Berg – alles halb so schlimm?

Totalsanierung in der Lychener Straße (Bild: sinafilm)

Zum Dokumentarfilm über die Sanierungsfolgen in Prenzlauer Berg „Lychener 64“ gab es hier und anderenorts bereits einige Besprechungen und Reaktionen: Die taz ließ die Filmemacher zu Wort kommen, vom Filmmagazin Schnitt gab es Lob für die gelungene Dokumentardramaturgie und dem Helmholtzplatz-Blog war der Film nicht radikal genug.

Keine der Filmbesprechungen war bisher auf den Gedanken gekommen, die beschriebenen Geschichte einer Verdrängung zu bezweifeln und den paradigmatischen Charakter des Sanierungsprozesses in Frage zu stellen. Die Rolle des Gentrification-Skeptikers übernahm wieder einmal Hartmut Häußermann, ehemaliger Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität. Deutschlandradio Kultur nahm den Film zum Anlass für ein ausführliches Gespräch zu den aktuellen Veränderungen in Prenzlauer Berg: Subkultur geht, Lifestyle kommt. Überraschend am Interview war war die deutliche Abgrenzung zum Gentrification-Begriff.

Heise: Sie haben immer abgelehnt, in dem Bezirk von Gentrifizierung zu sprechen, also von Yuppisierung. Sprechen Sie inzwischen doch davon?
Häußermann: Na ja, das, was wir in dem Film sehen, das sind ja eigentlich Prozesse, wie sie in einem Haus, was so runtergekommen ist (…) überall stattfindet. Das kann man nicht als Gentrifizierung bezeichnen, sondern das ist Sanierung, Modernisierung, Renovierung.

Wie schon an anderer Stelle wird Verdrängung nicht auf einen Bevölkerungsausstausch oder eine Sozialstrukturveränderung bezogen, sondern als das Ende einer nicht mehr zeitgemäßen Wohnkultur beschrieben:

(es) betrifft nämlich Leute, die vor allem hierher gezogen sind, weil es billig war, weil es runtergekommene Wohnungen sind und deshalb billig waren, die Substandardwohnungen bevorzugen, weil es ihnen vor allem darauf ankommt, für wenig Geld zu wohnen. Und das wird durch die Sanierung und Modernisierung dadurch verhindert. Und das wird verdrängt, wenn man das Verdrängung nennen will.(…)

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Berlin: Verzogene Eltern im Kinderparadies Prenzlauer Berg

Helmholtzplatz, April 2010 (Aachen-Blog 7uhr15.ac)

Der schier unendliche Mythos vom Kinderparadies Prenzlauer Berg wird offenbar vor allem von touristischen Außenbetrachtungen genährt. Auf dem „Aachen-Blog 7uhr15.ac“ findet sich ein typisches Beispiel für die Fremdwahrnehmung. Unter der Überschrift „Prenzlauer Berg – so viele Kinder!“ verarbeitet ein ‚erfahrener Vater‘ aus der Provinz seinen Hauptstadtbesuch:

Ich kann behaupten, als erfahrener Vater schon so manchen Spielplatz in so mancher Stadt, manchem Ort, manchem Kaff und auch sonstwo kennengelernt zu haben. (…) Aber das, was ich heute am Helmholtz-Platz in Berlin, also am Prenzlauer Berg gesehen habe, übertrifft „allet bislang Dajewesene“. Kinder und ihre Gefährte, wohin das Auge reicht, Kinder, überall Kinder. Und Eltern, so viele Eltern auf einmal! Und darunter sogar Väter, ganz beachtlich viele Väter, nicht alle orientiert am Geschehen und Geschrei des Nachwuchses, sondern vielfach im iPhone vertieft, dem Rest der Welt entrückt. (…) Und wo findet man dergleichen in Aachen? Hallo!? Wie gesagt, ich habe schon viel gesehen…

In einem Kommentar zum Eintrag wird noch angefügt:

Der Prenzelberg, ja, lieber Stefan, ist bei mir genauso hängengeblieben, wie Du ihn auch beschreibst. Mir hat vor allem die Lässigkeit gefallen, mit der die jungen Familien da unterwegs sind. Und mit welcher Selbstverständlichkeit man miteinander umgeht.

Ein völlig andere Perspektive auf die lieben Kleinen präsentiert uns der Langzeitbewohner von Prenzlauer Berg  Stefan Strauss in einer Glosse der Berliner Zeitung. Unter dem Titel  „Die neue Arroganz“ beschreibt er die gar nicht so ‚lässige‘ Arroganz der zugezogenenverzogenen Eltern:

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Berlin: Innenansichten einer Umwandlungsmodernisierung (Filmtipp)

Heute Abend gibt es im Rahmen des Achtung Berlin Filmfestivals im Berliner Kino Babylon die Weltpremiere des Dokumentarfilms „Lychener 64„. Der Film dokumentiert über den Verlauf von über zwei Jahren die Modernisierungsarbeiten im gleichnamigen Haus im Sanierungsgebiet Helmholtzplatz in Berlin Prenzlauer Berg. Die Mieter/innen des Hauses werden vom ersten Schock der Modernisierungsankündigung über die Verhandlungen mit dem Eigentümer und die Beratungsgespräche der Mieterberatung bis zum bitteren Auszug begleitet. Alle wollten bleiben, keiner ist geblieben. Das Beispiel der Lychener Straße 64 zeigt eindrücklich, wie die Ökonomie der Umwandlungsmodernisierung gegen die Interessen der bisherigen Bewohner/innen durchsetzt wird. Von Beginn an war klar, dass die Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollten und  die Spielräume für die Bewohner/innen denkbar gering sein werden. In der taz gibt es ein tolles Interview mit Teresina Moscatiello und Jakob Rühle, die den Film gedreht und selbst im Haus gewohnt haben: „Den Ausschlag gab die Abfindung“.

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Der offizielle Kinostart folgt dann am kommenden Donnerstag (22.04.2010) mit einer Vorstellung um 20 Uhr ebenfalls im Babylon. In der Kurzdarstellung von Sinafilm heisst es zum Film:

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Berlin: Bio-Paradies Prenzlauer Berg

Mauren Kennedy and Paul Leonard (2001) haben in ihrer sehr allgemeinen Definition Gentrification beschrieben als:

„the process by which higher income households displace lower income residents of a neighborhood, changing the essential character and flavor of that neighborhood.“

Die Veränderungen der Sozialstruktur sind dabei relativ klar zu ‚messen‘ – aber welche Indikatoren stehen für den ‚grundlegenden Wandels des Nachbarschaftscharakters‘? Unter dem Titel „Gentrification ist Geschmackssache“ wurde hier bereits über spezifische Konsumgewohnheiten  (z.B. Cup-Cakes) diskutiert. Ein Beitrag der Deutschen Welle zeigt, dass auch die Vorsorgungsdichte von Bioläden ein guter Gradmesser für die Durchsetzung milieuspezifischer Lebensweisen ist. Gerade mit dem Ausbau des Bio-Angebotes in konventionellen Lebensmittelketten, wird der Gang in den Bioladen zu einem Statement des Lebensstil.

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Im Berliner Aufwertungsbezirk Prenzlauer Berg gibt es allein entlang der Schönhauser Alle und ihrer Umgebung über 10 Bio-Läden bzw. Bio-Supermärkte. Trotz der Krise konnten die Umsätze im vergangenen Jahr um 15 Prozent gesteigert werden. Selbst kleine Klitschen erreichen trotz der Konkurrenz der preiswerteren Bio-Supermärkte einen millionenschweren Jahresumsatz.

via: Jenz Steiner

Berlin: Gentrification als „Kampf um den Raum“

'Kampf um den Raum' in NY, 2008

Hartmut Häußermann, ehemaliger Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin war gestern zum Grünen Mietenkongress geladen und und durfte dort das Impulsreferat halten. Wesentliche Argumente sind auch in den Zeitschrift des Landesverbandes der Grünen „Stachlige Argumente“ nachzulesen (Leider noch nicht online verfügbar).

Er interpretiert darin die aktuellen Aufwertungsprozesse in Berlin als einen „Kampf um den Raum“  (Stachlige Argumente 177, 1/2010, 4-7) und beschreibt das Problem der Gentrification als eine Ungleichzeitigkeit räumlicher und sozialer Prozesse. Er versteht darunter die gleichzeitige Nachfrage von bestimmten Innenstadtquartieren durch Gruppen „mit ähnlichen Lebensstilen aber unterschiedlicher Finanzausstattung“. Den Kern dieser Prozesse bezeichnet Häußermann als Verdrängung:

„Verdrängung“ heißt dass hier ein Machtkampf stattfindet, das heißt, dass eine Konkurrenz um Wohnmöglichkeiten in einem Quartier zwischen Hauhalten mit ungleichen Ressourcen besteht. In einer Marktwirtschaft entscheidet dann vor allem die Verfügung über Geld, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählt.

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Berlin: Öffentlich finanzierte Verdrängung

Die Sanierungsgebiete in der Ostberliner Innenstadt stehen kurz vor der Aufhebung – in einige wurden die Sanierungssatzungen bereits aufgehoben. Mit einem ‚Durchführungsstand‘ der baulichen Erneuerungsarbeiten von etwa 70 Prozent  fällt die Bilanz der Senatsverwaltung positiv aus – die städtebaulichen Ziele seien damit erreicht worden. Die sozialen Ziele hingegen, die sich zu Beginn der Stadterneuerung an einem „Erhalt der Sozialstruktur“ in den Gebieten orientierten, wurden elementar verfehlt.

Am Beispiel der Sanierungsgebiete in Prenzlauer Berg muss eine ernüchternde Bilanz der Stadterneuerung gezogen werden. Abschließende Sozialstudien am Kollwitzplatz und in der Winsstraße zeigen: nur etwa 20 Prozent der früheren Bewohner/innen leben noch in den Gebieten, die Mieten liegen auf überdurchschnittlichen Niveau und die ehemals heterogenen Nachbarschaften wurden durch homogenen Mittelklassemilieus ersetzt.

In Diskussionen zu diesen Entwicklungen wird oft behauptet, solche Aufwertungen seien ’natürliche‘ Prozesse der Stadtentwicklung, die gar nicht zu vermeiden sind. Ein Blick auf die speziellen ökonomischen Rahmenbedingungen in den Sanierungsgebieten zeigt jedoch, dass die Aufwertungsprozesse wesentlich durch öffentliche Förderungen und Investitionsanreize ausgelöst und angetrieben wurden. Insgesamt flossen seit Anfang der 1990er Jahre mehr als 1 Mrd. Euro in die Sanierungsgebiete von Prenzlauer Berg. Bei einem solchen Mitteleinsatz wären auch andere soziale Effekte denkbar gewesen.

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Quartiersmanagement: Erfolgsmodell Ausgrenzung?

Im Berliner Tagesspiegel versucht sich Ralf Schönball an einem Vergleich der Stadtteilentwicklungen in zwei Berliner Innenstadtvierteln: „Bronx bleibt Bronx: Soldiner Kiez vs. Helmholtzplatz„. Sowohl der Soldiner Kiez im Wedding als auch der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg waren lange Zeit Quartiersmanagementgebiete – doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Der Soldiner Kiez gilt weiterhin als eines der Problemgebiete der Stadt und der Helmholtzplatz hat sich im Schatten der Kollwitzplatzentwicklungen zu einem veritablen Aufwertungsgebiet gemausert. Der Beitrag im Tagesspiegel zeigt, wie das Quartiersmanagement durch aktive Ausgrenzung die Aufwertungsdynamiken unterstützte.

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Berlin: Stadtteilmobilisierungen gegen Verdrängung (Veranstaltungsdankündigung)

Heute Abend bin ich zu einer Veranstaltung von Karl-Kunger-Kiezinitiative in Alt-Treptow eingeladen:

Stadtteilmobilisierungen gegen Verdrängung und Gentrification in Prenzlauer Berg (199oer Jahre), 12. Febuar, 19 Uhr, Loesje e.V., Karl-Kunger-Straße 55

Nach dem Mauerfall vollzog sich im Prenzlauer Berg eine rapide Wandlung der Kieze. Bis zu 80% der Bevölkerung wurde innerhalb weniger Jahre ausgewechselt. Eine zahlungskräftige Mittelschicht bezog den aufgehübschten und angesagten Stadtteil mit seinen (Luxus-)sanierten Wohnungen. Ein starker Protest artikulierte sich damals gegen diese Entwicklung. Er konnte sich nicht durchsetzen.
Woran scheiterte der Protest? Artikulierte sich der Protest auch als Widerstand? Ist die Entwicklung damals vergleichbar mit den Angriffen auf ärmere Schichten heute? Oder unterscheidet sich die Zeit komplett? Und
vor allem: was ist daraus zu lernen, wenn wir heute die Kieze gegen die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Luxussanierungen und
den Bau von Luxuseigentumswohnungen von sogenannten Baugruppen verteidigen müssen? Und wenn die ärmere Bevölkerung den neoliberalen rot-roten Senat als politischen Gegner hat, der ihre Verdrängung vorantreibt?
Wo können wir heute mit den Erfahrungen vom Prenzlauer Berg ansetzten, um ein “Prenzlauer Berg” in u.a. Alt-Treptow, Neukölln, Kreuzberg etc. zu verhindern?

Wir würden uns freuen euch zu treffen!

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